Bo Bowen

AMANDA


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mein erstes Interesse gilt der Damentoilette. Ehe ich mich ins Getümmel stürze, will ich meine Adjustierung verbessern. Allein der Vorraum des WCs ist größer als mein Wohnzimmer. Eine ältere Dame trägt zusätzliches Make-Up auf und eine andere zieht gerade ihre Lippen nach.

      Ich betrete eine Kabine und ziehe die halterlosen Seidenstrümpfe an. Gut, dass ich sie noch eingesteckt habe. Leider sind sie nicht ganz so lange, wie ich gehofft habe, und so lugt der Ansatz des spitzenbesetzten Bandes unter meinem Saum hervor, sobald ich mich bewege und aus dem seitlichen Schlitz blitzt Haut, aber das liegt wohl weniger an den Strümpfen, als an meinen langen Beinen und dem kurzen Kleid. Egal, jetzt kann ich das sowieso nicht mehr ändern, also kann ich es genauso gut voll Stolz tragen. Ich überprüfe meine Haltung, besinne mich des richtigen Schritts und marschiere aus der Toilette, als ginge es auf den Catwalk von Mailand hinaus. Wieder treffen mich missbilligende Blicke, aber diesmal kümmern sie mich wenig: So viel Neid muss man sich erst einmal verdienen.

      Jetzt ist es an der Zeit, mich mit einem Aperitif zu bewaffnen und dann stolziere ich die Freitreppe hinauf, die in das nächste Geschoss führt. Die gesamte Galerie besticht durch offene klare Linien, die einen angemessenen Rahmen liefern ohne von den großflächigen Bildern des mir unbekannten Fotografen abzulenken.

      Ich sehe mich nach Yvonne um, kann sie aber nirgends entdecken. Stattdessen bleibt mein Blick an einer lebensgroßen Fotografie hängen. Es zeigt den Rücken einer nackten, dunkelhäutigen Frau mit langem schwarzem Haar. Sie sieht zur Seite und zeigt uns damit ihr ausdrucksvolles Profil, das gleichermaßen Sehnsucht und Erfüllung ausdrückt. Langsam gehe ich näher, fasziniert von dem perfekt in Szene gesetzten Bild und ständig versucht nach links zu sehen, auf der Suche nach dem, was die Unbekannte dermaßen zu fesseln vermag.

      „Unbenannte Sehnsucht und ihre Erfüllung“ steht auf dem Schild neben der Fotografie. „BEN HARDWORTH 2014; Kunstdruck 70.000€“

      Im Normalfall kann ich mit konstruierten Kunsttiteln wenig anfangen, doch dieser spiegelt genau die Worte, die auch mir in den Sinn gekommen sind, stelle ich verblüfft fest. Wer ist der Mann, dass er hier ausstellen kann und noch dazu derartig unverschämte Preise verlangt? Der Name schreit förmlich nach einem Pseudonym und es ist vermutlich kein Zufall, dass sich weder auf der Einladung noch hier im Raum ein Bild des Künstlers findet.

      Solcherart neugierig geworden, vertiefe ich mich in die Ausstellung. Die meisten Bilder sind in Schwarzweiß und zeigen weibliche oder männliche Akte, die nackte Haut mit Accessoires aus Seide und Spitze, Pelz oder Leder ästhetisch in Szene setzen. Mehr als einmal ertappe ich mich dabei, wie ich mich gedanklich in die Rolle des einen oder anderen Models versetze um das erotische Moment auszukosten.

      Eine der Frauen, die mehrfach als Motiv auftaucht, erinnert mich in Vielem an mich selbst. Ein vergleichsweise kleines Bild zeigt sie auf einer Terrasse die gut hundert Meter oberhalb des ionischen Meeres liegt, zumindest lässt die Umgebung auf die griechischen Inseln schließen. Bis auf Manschetten, die ihre Handgelenke aneinanderfesseln, und ein Halsband aus Leder ist sie nackt. Lange blonde Haare wehen ihm Wind und ihre Miene zeigt eine Selbstsicherheit, die mich augenblicklich in ihren Bann schlägt. Natürlich habe ich schon von Bondage gehört und von anderen abartigen Spielarten, aber bislang habe ich Derartiges immer mit gebrochenen Opfern und sinnloser Gewalt assoziiert und als pervers abgetan. Jetzt ist da diese Frau auf dem Bild, die eine Kraft und eine Schönheit ausstrahlt, als wäre sie die Herrin der Situation. Ich stelle mich in die gleiche lässige Grätsche, hebe die aneinander gelegten Hände vor meine Brust und versuche sogar, den Zug ihres leicht geöffneten Mundes zu imitieren. Es fühlt sich gut an. Zuletzt werfe ich meine Haare zur Seite – und vermeine einen Moment lang den warmen Hauch des griechischen Sommers zu verspüren.

      Ich riskiere einen Blick auf das Schild neben der Fotografie. „Diana, Bande der Leidenschaft; BEN HARDWORTH 2015; Kunstdruck 15.000€“

      Warum schaue ich überhaupt nach, denke ich. Soweit kommt‘s noch, dass ich mir eine Nackte in die Wohnung hänge. Was glaubt der Kerl denn, wer er ist? Das Bild ist gerade einmal in A2-Größe und vielleicht habe ich insgeheim auf einen auch für mich erschwinglichen Preis gehofft. Und ja verdammt, mir gefällt das Bild, mir gefällt die Ästhetik und mir gefällt die Frau, trotz der Lederfesseln – wegen der Lederfesseln?

      Ich kann mit dem Smartphone ein Bild knipsen. Das ist zwar verboten, aber es muss ja niemand mitbekommen. Vorsichtig sehe ich mich um, ob mich jemand beachtet. Es sind drei: Einer kann seine Augen gar nicht von mir lassen, ein anderer schielt immer wieder herüber, sobald er glaubt, seine Begleiterin sei abgelenkt und ein dritter gibt sich uninteressiert, obwohl er beinahe schon sabbert. Offensichtlich ist mein Auftritt nicht gerade unauffällig.

      „Amanda“, höre ich eine Stimme hinter mir, die ich sofort wiedererkenne. „Schön, dass du gekommen bist.“

      Ich zippe die Tasche zu, ehe sie mein aufnahmebereites Handy sieht, setze ein unverbindliches Lächeln auf und wappne mich für den ersten Waffengang. „Yvonne, Darling. Freut mich, dich zu sehen. Wie geht es dir?“

      „Danke, und Dir?“ Wir umarmen uns und ich muss mich ein wenig hinabbeugen, ehe wir die obligatorischen Wangenküsschen austauschen. Sie ist kleiner als in meiner Erinnerung, aber das mag auch an meinen hohen Hacken liegen.

      „Super“, antwortet sie und bleibt dabei ebenso oberflächlich wie ich.

      Sie tritt einen Schritt zurück und wir mustern uns gegenseitig. Yvonne ist so attraktiv wie eh und je, obwohl sich an ihren Augenwinkeln schon deutliche Lachfältchen zeigen. Ihre Haare trägt sie nach wie vor lang, aber die schmalen Zöpfe, die oberhalb der Ohren nach hinten verlaufen, verleihen ihr zusätzlich Raffinesse. Sie trägt einen hochgeschlossenen dunkelblauen Hosenanzug, der die Schultern freilässt, ihre reichliche Oberweite aber mehr kaschiert als betont. Auch die schmalen Ohrringe und das natürlich wirkende Make-Up sind dezent – und wollen damit so gar nicht zu der Yvonne passen, die ich gekannt habe.

      „Was machst du so?“, komme ich ihr zuvor, als sie zu einer Frage ansetzt.

      „Alles Mögliche und Unmögliche“, antwortet sie. „Ich arbeite als Personal Assistent.“

      Aha, Sekretärin, denke ich. Da hat’s fürs Medizinstudium wohl doch nicht gereicht. „Was verdient man da so?“, rutscht es mir über die Lippen, obwohl ich mir der Taktlosigkeit dieser Frage durchaus bewusst bin.

      „Geht so“, weicht sie aus. „Wohnung, Urlaube, Auto – viel mehr brauch ich ja nicht“, und mehr bringe ich auch nicht aus ihr heraus.

      „Für wen arbeitest du?“, setze ich nach, doch sie ignoriert meine Frage, nimmt mich am Arm und winkt einen Kellner mit einem Tablett voller Champagnergläser herbei.

      Ich will abwehren, doch sie hat schon zwei Flöten in der Hand und reicht mir eine davon, nachdem sie mir mein eigenes, fast leeres Glas abgenommen hat. „Komm schon“, sagt sie. „Amüsier dich. Der Abend ist jung und wir sind es auch. Wie ist’s bei dir gelaufen? Modelst du noch?“

      Ich schüttle den Kopf. „Nein, nicht mehr. Das ist vorbei. Ich arbeite als Wirtschaftsanwältin und das passt nicht zusammen.“

      Yvonne legt den Kopf schief. „Was soll da nicht zusammenpassen? Die Termine?“

      „Nein, da geht’s ums Image.“ Ich weiche ihrem forschenden Blick aus. „Die Kanzlei erwartet ein seriöses Auftreten und die Kunden ebenfalls. Da kann ich nicht gleichzeitig Unterwäsche präsentieren. Das ziemt sich nicht.“

      „Stimmt“, pflichtet sie mir bei. „Die hübschesten Fische schwimmen in privaten Teichen und bleiben der gut zahlenden Kundschaft vorbehalten.“

      „Blödsinn“, begehre ich auf. „Ich bin eine gute Anwältin.“

      „Schnapp nicht gleich ein“, beschwichtigt sie. „Ich hab nie behauptet, du wärst schlecht in deinem Job. Ich wollte nur …“

      Sie bricht ab, doch mein Kopfkino läuft ohnehin schon: Meetings mit Vorständen, Geschäftsführern und Aufsichtsräten, die allesamt mindestens doppelt so alt sind wie ich, Vorbesprechungen, in denen es primär darum geht, welche Frisur und welche Art