Niko Arendt

Chicago Affair


Скачать книгу

loszureißen. Doch der Griff um seine Krawatte war fester als erwartet, und Bourdain zog ihn zielstrebig immer näher zu sich herunter. Die gutturalen Laute, die er dabei ausstieß, waren ziemlich verstörend. Sanft streichelte Bourdains warmer Atem Seans Wange.

      Lodernde Hitze breitete sich in Seans Mund aus und betäubte seine Sinne gänzlich, sodass seine Beine unter ihm nachzugeben drohten. Er klammerte sich ungewollt an den Armlehnen des Bürosessels, in der trüben Hoffnung nicht gleich ohnmächtig zu werden.

      Eigenartige Gefühle rumorten in seinem Bauch. Fragen nach dem Grund des unerwarteten Kusses, bis hin zu pornografischen Visionen, davon wie Bourdain ihn leidenschaftlich auf dem teuren Mahagonitisch seines Büros nahm. Angesichts der Hand, die sich zwischen seine Beine geschlichen hatte, war diese Vorstellung gar nicht abwegig.

      Japsend kämpfte Sean sich los, doch Bourdain war schneller, umfasste mit langen Fingern seinen Nacken in einem so eisernen, harten Griff, dass Sean schwarz vor Augen wurde. Mit den Fingerspitzen streifte er sein blondes Haar und verhakte seine Finger darin.

      Mit einiger Gewalt hielt Sean Bourdains andere Hand davon ab, erneut seinen Oberschenkel entlang zufahren.

      Sobald Sean zu der Erkenntnis kam, dass er um einiges muskulöser als sein Chef und somit stärker war, schaffte er es endlich sich loszureißen. Nicht aber ohne mit dem rechten Arm die Hälfte des Büromaterials vom Tisch zu fegen, die Topfpflanze mit seinem breiten Rücken niederzumähen und einen Teil der Rollläden herunter zu reißen. Vielleicht hatte er Bourdain auch mit der Hand am Kopf erwischt. Er hoffte es. Verdient hätte es dieser Perverse allemal.

      Hektisch rappelte Sean sich auf, penetrant darauf achtend dem anderen nicht in die Augen zu blicken. Ohne ein weiteres Wort hechtete er Richtung Tür, stolperte unglücklich, öffnete die Tür schneller, als das er ausweichen konnte und donnerte schmerzhaft dagegen. Es verstrichen noch einige verhängnisvolle Sekunden, in denen er mit Bourdain alleine in einem Raum eingepfercht war.

      Vorbei an den verdutzten Blicken der Sekretärin sprintete Sean mit Mordstempo den Flur entlang und die Treppe herunter. Er hielt erst an, als er völlig außer Atem, die Tiefgarage des mehrstöckigen Gebäudes erreichte. Es grenzte an ein Wunder, dass er sich bei der Geschwindigkeit nicht das Genick gebrochen oder wenigstens einen Fuß verstaucht hatte. Aber das konnte Amanda sicherlich noch für ihn übernehmen.

      Auf dem Heimweg beachtete Sean die Verkehrsregeln kaum, nahm anderen Autofahrern die Vorfahrt und riss beinahe eine dürre Frau von ihrem Sportrad. Seine Gedanken kreisten unfokussiert in seinem Kopf herum, kamen jedoch immer wieder zu einem jähen Ende, als er an Bourdains Lippen dachte. Er konnte ihn auf seiner Zunge schmecken, an seinem Hemd riechen und seine Finger in seinem Haar spüren.

      Die Fahrt war die reinste Qual für seinen Geist, aber viel schlimmer, war das, was ihn zu Hause erwartete. Noch bevor er richtig in die Einfahrt gefahren war, wurde die Haustür aufgerissen und eine zierliche Frau mit langen, blonden Haaren kam ihm entgegen. Aber nicht vor Sorge, das wusste Sean zu gut.

      Sein Chihuahua Anakin rannte voller Vorfreude zur Tür, bemerkte aber schnell die Anspannung und verzog sich schneller als Sean blinzeln konnte wieder ins Innere. Anakin hasste es, wenn sie stritten.

      „Was in Teufels Namen hast du hier zu suchen?“, schleuderte sie ihm zischend entgegen, obwohl sie ihn freudig anstrahlte und ihm sogar einen Kuss auf die Wange drückte. Alles Show, falls ein Nachbar zufällig aus dem Fenster blicken sollte.

      „Hast du gekocht, Schatz?“, fragte Sean unschuldig und lenkte bewusst vom Thema ab, als er ihre Schürze und das Messer in ihrer Hand bemerkte. Ihr Lächeln wurde um einiges breiter. Es war so falsch, wie ihre gespielte Zärtlichkeit.

      „Sei nicht albern. Und lenk nicht vom Thema ab.“

      Sie hatte ihn schnell durchschaut.

      „Also, was hast du angestellt?“

      Kapitel 2

      „Was?“, schrie sie mit hoher Stimme. „Was soll das heißen?“

      „Dass ich mir einen neuen Job suchen muss“, antwortete er. Leider wieder falsch.

      „Willst du mich provozieren?“

      „Natürlich nicht, Schatz.“

      „Wir haben hart dafür gearbeitet, damit du diese Stelle bekommst. Opfer gebracht.“

      Sean fand, dass sie übertrieb. Er hatte nicht das Gefühl, dass sie das gemeinsam durchgestanden hätten. Allerdings wusste er sehr wohl, wie wichtig ihr seine Stelle gewesen war. Wie sie vor den Nachbarn und ihren Freundinnen angegeben hatte. Sie war es auch, die darauf bestanden hatte, dass er sich dort bewarb.

      Um keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, verlegten sie ihr hitziges Gespräch vom Vorgarten ins Esszimmer. Jetzt musste Amanda nicht einmal das falsche Lächeln aufrechterhalten und tobte mit voller Wucht. Dabei befand sich das Messer noch immer in ihrer Hand. In regelmäßigen Abständen zerteilte sie die Luft, um ihrer Wut die entsprechende Glaubhaftigkeit zu verleihen.

      „Schatz, bitte leg das Messer weg. Du könntest dich verletzen.“ Oder mich. Sean sah sich nach Anakin um, konnte ihn aber nirgends entdecken. Er würde ihm auch keine Hilfe sein.

      „Ich kann damit umgehen. Und du lenkst schon wieder vom Thema ab“, schimpfte sie. Plötzlich hielt sie inne und starrte ihn mit ihrem kritischen Blick nieder. „Wie siehst du überhaupt aus?“

      Kopflos war er aus dem Büro gestürmt und nach Hause gefahren, ohne einen letzten Blick in den Spiegel zu werfen. Gut, dass Bourdain keinen Lippenstift trug, ansonsten hätte sie ihn sofort einer Affäre bezichtigt. Bestimmt war sein Haar zerzaust, das Jackett verknittert und die Krawatte verrutscht. Vergeblich versuchte er sie zu richten, konnte aber nicht mehr viel retten.

      „Ich will nicht mehr zurück“, sagte er stattdessen mit fester Stimme. Zumindest glaubte er, sie sei es. Es war nicht gut ihre Fragen zu ignorieren, aber ihr würde er gewiss nicht erzählen, was passiert war.

      „Ist das so eine ich-bin-ein-Mann-und-viel-zu-stolz-Sache?“

      Nein. Es war eine ich-bin-ein-Mann-aber-mein-Chef-will-mich-trotzdem-vögeln-Sache.

      Ihn übermannte das schlechte Gewissen, obwohl er in dieser Situation eindeutig das Opfer war. Schließlich hatte Bourdain ihn geküsst und nicht umgekehrt. Er konnte diesem Mann nicht mehr ins Gesicht blicken, ganz egal, was seine Frau von ihm erwartete. Das, was sein Chef von ihm erwartete, war um Einiges schlimmer.

      „Das hat mit Stolz nichts zu tun“, erwiderte er matt. Den besaß er schon lange nicht mehr.

      „Es hat immer mit Stolz zu tun.“

      „Bourdain ist mit meiner Arbeit nicht zufrieden. Er will-.“

      „Etwas anderes habe ich jetzt auch nicht erwartet.“ Sie zeigte mit der Messerspitze auf ihn, während sich der Zeigefinger ihrer anderen Hand schmerzhaft in Seans Brust bohrte. „Du musst dich mehr engagieren, dann nimmt er dich auch wieder zurück!“

      Die Version von sich selbst und Bourdain, nackt, auf dessen Büroschreibtisch schob Sean schnell beiseite, als diese bei Amandas Worten vor seinem inneren Auge auftauchte.

      „Wenn du wüsstest, was er getan hat“, flüsterte er mehr zu sich selbst, als zu ihr gewandt, doch natürlich hatte sie wieder alles mitbekommen.

      „Das sind doch alles nur Ausreden, Sean. Wenn du wolltest, dann hättest du viel mehr erreicht. Immer muss ich dir vorher in den Arsch treten, damit du dich bewegst“, wütete sie.

      „Dann solltest du mich während der Arbeit nicht mehr anrufen.“

      „Was hat das mit mir zu tun?“

      „Er meinte, ich telefoniere zu viel mit dir.“

      „Hat er das so gesagt? Und lüg mich nicht an, ich sehe, wenn du lügst.“

      „Nicht direkt, aber-.“

      „Das