Niko Arendt

Chicago Affair


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      „Also telefonierst du allgemein zu viel, anstatt zu arbeiten.“

      „Aber ich telefoniere doch nur mit dir“, gab Sean verzweifelt zu bedenken.

      „Du brauchst die Schuld nicht auf mich abzuwälzen. Wenn du keine Zeit für meine Anrufe hast, kannst du das sagen.“

      „Dafür hast du doch kein Verständnis.“

      „Wie bitte?“

      Sean ließ den Kopf hängen. Er hatte nicht die Absicht mit ihr zu streiten, so miserabel wie er sich momentan fühlte. Eigentlich wollte er nur ein wenig Ruhe. Ruhe, um Nachdenken zu können.

      „Als Ehefrau darf ich wohl ab und zu auch mal anrufen. Ansonsten vergisst du noch, dass ich existiere.“

      „Das würde ich nie, Amanda.“ Seans Stimme nahm einen flehenden Ton an. „Du rufst einfach zu oft an.“

      „Sei nicht albern“, antwortete sie. Eine ihrer Lieblingsfloskeln in ihren Gesprächen. „So oft rufe ich gar nicht an. Du telefonierst nebenbei bestimmt noch mit anderen Frauen.“

      Sean hatte die Befürchtung, das Ganze könnte in einem verdammten Streit um seine Treue ausarten, weshalb er sein ramponiertes Nokia Handy hervorholte und ihr auf dem noch schwarz-weißen Bildschirm die Anrufliste zeigte. An manchen Tagen verzeichnete die Chronik beinahe alle 10 Minuten einen eingehenden Anruf.

      „Aber Schatz, ich telefoniere nur mit dir. Sieh dir die Liste an. Du hast mich letzten Dienstag insgesamt 27 Mal angerufen.“

      Sie machte eine wegwerfende Handbewegung, mit der sie - wie Sean inständig hoffte - das Handy versehentlich aus seiner ausgestreckten Hand fegte. Er traute sich nicht, es aufzuheben. Nicht einmal mit Snake würde er sich dann noch ablenken können.

      „Du gehst jetzt zurück und regelst das! Wenn du dich dafür ein bisschen demütigen lassen musst, dann tut das deinem Ego nur gut.“

      Der Blonde stieß einen winselnden Laut aus. Ihre Zweideutigkeiten bereiteten ihm Bauchschmerzen. Aus ihrem Mund klang alles so banal und einfach.

      „Nicht heute.“

      „Sofort.“

      Sie drängte ihn mit aggressiver Zielstrebigkeit in Richtung Haustür.

      „Du setzt keinen Fuß in dieses verdammte Haus. Nicht bevor du diese Angelegenheit geregelt hast. Und zwar zufriedenstellend. Für alle!“

      Das waren ihre letzten Worte, bevor die Tür mit ohrenbetäubenden Lärm ins Schloss fiel. Sie wusste ja gar nicht, was sie da redete. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in Seans Magen aus. Irgendwie hatte er gehofft, die Situation würde besser laufen. Besser für ihn.

      Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich ergeben ins Auto zu setzen und davon zu fahren. Eine ganze Weile fuhr er ziellos umher.

      Er könnte zu Bob, seinem früheren Chef fahren. Ihn darum bitten, ihm seinen alten Job zu geben. Allerdings war es sehr unwahrscheinlich, dass er ihn wieder aufnehmen würde. Für Bob waren seine Mitarbeiter wie eine Familie und er nahm ihnen eine Kündigung furchtbar übel.

      Und Amanda würde ihn trotzdem nicht ins Haus lassen. Sie hasste Bob. Und sie hasste sein Gehalt dort.

      Spätabends lenkte er seinen Wagen auf einen ausgestorbenen Parkplatz in der City. Der Motor erstarb ächzend nach der langen Fahrt. Die Tankanzeige bewegte sich im unteren Bereich und erinnerte ihn dezent daran sein Gefährt zu füttern. Mit einem lauten Knurren revoltierte Seans Magen in der Stille.

      Sean blickte aus dem Fenster und bemerkte, wo er geparkt hatte. Die Computerfirma, in der er arbeitete, erhob sich wie ein riesiges, gläsernes Ungetüm in den sich verdunkelnden Abendhimmel. Erhaben thronte es über all die anderen Gebäude in Chicago hinweg. Morra Bourdain Systems stand in großen Lettern auf der glatten Außenfassade.

      In einem der oberen Etagen brannte Licht. Sean seufzte. Bourdain war noch da. Aber sein Mut reichte nicht aus, um zu ihm zu gehen. Während er über seine missliche Lage grübelte, verschiedene Möglichkeiten in seinem Kopf abspielte, die allesamt nicht zu seinem Vorteil endeten, nickte er ein. Seine schweren Augenlider schlossen sich ganz automatisch und forderten endlich die Ruhe ein, die er seinem Geist den Tag über verwehrt hatte.

      Ein plötzliches Klopfen ließ ihn hochschrecken. Dabei stieß er sich das Knie am Lenkrad seines Wagens an. Mit schmerzverzogenem Gesicht suchte er nach der Ursache für das unsanfte Erwachen. Ein erneutes Klopfen lenkte seine Aufmerksamkeit in die richtige Richtung. Und was er sah, gefiel ihm gar nicht.

      In der diffusen Dunkelheit des Parkplatzes, der zwar durch zahlreiche Lampen beleuchtet war, dessen Schein aber nicht ausreichte, um etwas zu erkennen, erhob sich eine schemenhafte Gestalt.

      Verwirrt beobachtete Sean, wie die Gestalt ihren Arm zur Autotür hin bewegte. Und diese öffnete. Unbewusst machte er sich auf einen Angriff gefasst, bis er eine ihm vertraute Stimme wahrnahm.

      „Was machen Sie noch hier?“ Sean war sich sicher, dass Bourdain nicht die Stimme erhoben hatte, aber in seinem Zustand schien es ihm, als würde er ihn anbrüllen. Mit einer nervösen Bewegung fuhr er sich über das Gesicht und dann durch das dichte, dunkelblonde Haar.

      „Ich wollte-,“ stotterte Sean und blickte in das im Dunkel verborgene Gesicht. Es war schwer zu lesen, was sein Chef von ihm dachte. Er selbst fand sich ziemlich erbärmlich. Vermutlich sah Bourdain das genauso.

      „Ich wollte mit Ihnen reden“, gab er dann mit etwas mehr Festigkeit in der Stimme zurück und stieg ungeschickt aus dem Auto aus. Bourdain trat einen Schritt zurück, stand aber für Seans Geschmack trotzdem nicht weit genug von ihm entfernt.

      „Und worüber?“, fragte Bourdain, als Sean selbst nach einigen Minuten noch nichts sagte.

      „Ich will meinen Job zurück.“ Nervös strich Sean sich über seinen Bauch, während Bourdain lässig die Arme vor der Brust verschränkte. Das Blau seiner Augen wirkte jetzt düster, die Andeutung eines Lächelns sarkastisch.

      „Sagten Sie nicht, Sie würden alles für den Job tun? Das taten Sie aber nicht.“

      „Damit meinte ich sicher nicht, dass ich Ihre kleine Büroaffäre werde“, flüsterte Sean leise und verschwörerisch, als habe er Angst von jemandem gehört zu werden, obwohl sie ganz alleine waren. Nicht einmal Insekten schwirrten durch die Nacht.

      „Wieso nicht?“, fragte Bourdain unverblümt und Sean wunderte sich wieder einmal über dessen Unverfrorenheit. „Alles, bedeutet alles. Oder sehe ich das falsch?“

      Darauf konnte Sean nichts erwidern. Das sagte man eben so. Das sagten alle so.

      „Sie hätten die Dinge, die Sie nicht bereit sind für den Erhalt Ihres Arbeitsplatzes zu erbringen, ausklammern müssen.“ Bourdain machte den Schritt, den er zurückgetreten war, wieder vor, sodass Sean sich ungewollt fester in das unnachgiebige Metall der Autotür presste. ‚Ich tue alles für den Job, außer mit Ihnen zu schlafen.‘ Warum haben Sie denn nicht das gesagt, Mr. Grandy?“

      Ein Kloß in der Größe einer rollenden Schneelawine bildete sich in seinem Hals und erschwerte Sean das Schlucken erheblich.

      „Ich denke bei dieser Aussage doch nicht gleich daran, dass Sie mir die Zunge in den Hals stecken“, erwiderte Sean empört, erhob aber nicht die Stimme.

      „Warum nicht?“

      „Weil ich ein Mann bin.“

      „Und ich darf Sie nicht attraktiv finden, weil Sie ein Mann sind?“

      „Sie finden mich attraktiv?“ Das schien Sean zu amüsieren. Unmerklich blähte sich seine Brust vor Stolz auf.

      Bourdain lehnte sich ein wenig zu ihm. „Oder ich bin sexuell frustriert.“

      Und die Luft war schneller raus, als aus einem Luftballon, der in der Sonne gelegen hatte.

      „Und da finden Sie niemand Williges für Ihre Fantasien?“,