Sanne Prag

... und dann geschah es


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war. Die Spitzendeckchen vergilbt, und alles von mumifiziertem Staub bedeckt, gewaltige Kristallschüsseln, die ihre Fracht an Haarnadeln, Glückwunschbillets und einzelnen Ohrringen behüteten, und rundum war bis an die Decke Gestapeltes.

      Esther hoffte sehr, dass in diesem Zimmer nichts versteckt war, aber sicher konnte sie nicht sein. Sie schaute nur kurz ins letzte Zimmer. Dort wenigstens war kein Schmuck verborgen in dunklen Ecken.

      Ein völlig anderer Raum. Ein anderer Mensch. Es war in Weiß mit wenig Hellblau gehalten und absolut rein. Hier gab es kein Papier, keine Lager von irgendetwas. Das Zimmer leistete Widerstand gegen die Welt der restlichen Wohnung. Das war schon immer so gewesen. Das Zimmer der kleinen Ida.

      Esther wanderte wieder ins Schlafzimmer, krempelte sich seelisch die Ärmel auf und hob den Deckel einer chinesischen Truhe. Sie hatte Visionen von kompostierten Liebhabern aus jungen Jahren, deren mumifizierte Körper hier aufbewahrt wurden. Sie musste sich disziplinieren, um den Blick hinein zu versenken. Tante Idas Geist schaute über ihre Schulter. Am Grunde lag ein Hut, sonst nichts. Ein angenehmer Geruch von Sandelholz stieg auf.

      Beim Rundblick stach ihr eine Holzkiste mit der Aufschrift einer Waffenfirma aus dem zweiten Weltkrieg ins Auge. Sie fühlte sich davon angezogen, die Kiste war verdächtig. Sie hob sie aufs Bett. Drin war ein Medikamentenlager gewaltigen Ausmaßes. Auch das hatte sich nicht geändert. Sie setzte sich aufs Bett, die Puppenaugen im Rücken. Sie öffnete jede Packung, jedes Döschen, leerte den Inhalt in die Hand und dann in einen großen Sack, der neben ihr stand. Aus der Aspirin-Packung rollte ihr ein Brillantring entgegen. Eine mit Rubinen besetzte Uhr gab‘s beim Kamillentee. Wo war nur der Aquamarin? Ihr Zauberring.

      NACHMITTAG

      Esther betrat ein Hotelzimmer, in der Hand ein Nylonsäckchen mit Schmuck. Das legte sie aufs Bett und begann sich auszuziehen, als ob ihr die Kleidung lästig wäre. Sie steckte den blassen Schal in den Papierkorb und hängte den blaugrauen Mantel an die Türe. Sie würde ihn zur Caritas bringen. Dann holte sie das neue Stück aus dem Kasten – ihren Traumschlafrock, rot, prächtig, aber völlig unpassend für einen Todesfall.

      „Ida! Schaust du dann mal, was ich alles gefunden habe?“

      Die `kleine´ Ida saß im Bett und hatte einen Puppenkopf in der Hand, den sie bemalte. „Das mach ich ihr zu Ehren.“, meinte sie und schaute intensiv in das Puppengesicht. Esther lächelte. „Es waren ziemlich viele im Schlafzimmer.“

      „Ja, wie die von Engeln umgebene Madonna hat sie dort gelebt. Ihre Begleiter, Kinder, Diener, alles in einem waren die Puppen.“

      „Schaust du trotzdem? Ich glaube, es fehlt noch Schmuck. Ich fürchte, ich muss noch einmal gehen.“

      „Ich hab keine Ahnung. Hast du in den Medikamenten geschaut?“ fragte Ida zerstreut.

      „Ja, da habe ich das alles gefunden, aber ich weiß nicht, ob es noch mehr gibt. Warum hat sie die Sachen eigentlich immer in die Medikamente gegeben?“

      „Hat sie ja nicht“ murmelte Ida voll auf den Puppenmund konzentriert. „Waren auch mal zwischen den Büchern. Wir hatten immer Suchaktionen, wegen der Einbrecher.“

      „Welche Einbrecher?“

      „Sie hat‘s vor eventuellen Einbrechern versteckt, aber irgendwie nicht immer am gleichen Ort. Ich nehme an, sie wollte den Gewöhnungseffekt bei den Einbrechern vermeiden.“

      „Hattet ihr denn einen Einbruch?“

      „Nein, das wäre, glaube ich, schwierig geworden.“ Ida war nicht bei der Sache. Sie war sehr auf den Puppenkopf konzentriert, zu sehr. Ida wollte keine praktischen Probleme.

      „Ich hab zwischen den Büchern geschaut. Gab es ein besonderes Regal?“

      „Weiß nicht“ murmelte Ida. Sie malte gerade eine Braue. “Hast du den Urlaub schon gebucht? Auf den Bildern im Internet sieht man sicher, ob das Hotel rote Teppiche hat. Ich weiß eigentlich nicht, warum rote. - Sie können natürlich nicht mausgrau sein, und dunkelblau ist noch schlimmer.“

      „Ida, mein Schatz, ich kann das nicht alles ausräumen. Die Wohnung hat 180 m2 und ist über vier Meter hoch, ich kann das nicht schaffen.“ Esther fühlte die Übermacht der Notwendigkeit, ein flaues Gefühl im Magen und Kreuzschmerzen beim Gedanken an die Herausforderung.

      Ida malte die Braue mit großer Sorgfalt und wischte sie dann weg. „Wie kommst du drauf, dass du das machst?“

      „Nun, wer sonst?“

      „Ich weiß nicht“, meinte Ida und setzte den Pinsel mit großer Sorgfalt an.

      Esther kam unter Druck. Sie musste eine Lösung finden. Ganz dringend eine Lösung. Die Wertsachen mussten heraussortiert werden aus dem allen, aus dem Berge Sinai. – Die guten ins Kröpfchen, die schlechten ins Töpfchen, fiel ihr ein. Nur, wo waren ihre hilfreichen Tauben? Sie lief beunruhigt im Kreis. `Selber machen´ stand in großen Lettern über ihren Gedanken, weil das immer dort stand. Allein schon der nebelhafte innere Vorwurf machte sie wütend. Sie wollte sich nicht wie ein Maulwurf durchgraben und nach Wertsachen in irgendwelchen Ritzen schnüffeln! Sie war dem Weinen nahe, aber keine Lösung in Sicht.

      „Hast du Ezra schon gesagt, dass Mutter einen Unfall hatte? Wir haben ihn seit damals nicht gesehen. Das ist Wochen her. Vielleicht kann er auf einen Kaffee kommen? Ich möchte ihn gerne wieder treffen“, meinte Ida am Pinsel vorbei.

      Ezra! Ja, Ezra und eine Studentenpartie. Das war die Lösung. Gut bezahlt, sehr gut bezahlt. Das war es! Für jedes Fundstück extra. Ezra war Spielgefährte aus der Nachbarschaft, Mitverschwörer, wenn auch um einiges jünger. Ezra, der immer auf Jobsuche war, um sein viertes Studium zu finanzieren, war die Lösung.

      Esther machte ihrer Begeisterung Luft. „Ich bin froh, dass dir das eingefallen ist. Sehr erleichtert, denn ich muss ja in einer Woche wieder arbeiten, und dann wäre das Ganze schwierig geworden.“

      Jetzt sah Ida das erste Mal von ihrem Puppenkopf auf, und sie war beunruhigt. Ihre großen, blassen Augen waren vor Schreck aufgerissen. „Wieso arbeiten?“

      „Ida, ich bin eine arbeitende Frau, seit Jahren.“

      „Sag deiner Firma, dass du nicht kommen kannst wegen einem Todesfall.“

      „Das geht einen Tag wegen Begräbnis und Amtswegen, aber nicht viel mehr.“

      Ida zog die Knie zur Brust und schlang ihre Hände um die Beine. Der Puppenkopf schaute leer mit einem Auge zur Zimmerdecke. Sie wirkte so sehr klein, obwohl sie eigentlich ein großes Mädchen war. Eigentlich war sie ja auch kein Mädchen, sie war 33, nur drei und ein halbes Jahr jünger als Esther. Aber dennoch war sie immer ein Mädchen, und das hatte sich nie geändert. „Du musst nicht arbeiten, wir haben genug Geld von Vaters Fabrik“, sagte sie fast trotzig.

      „Stimmt schon, dass ich immer arbeiten musste, aber es ist befriedigend. Ich bin gut in dem, was ich mache. Mein Boss verlässt sich auf mich. Ich verstehe mich als arbeitende Frau.“

      Ida dachte ernsthaft nach. Nach einer langen Pause fragte sie: „Was machst du denn da in deiner Firma?“

      „Die Frage ist mehr, was ich nicht mache. Ich tue einfach alles. Überwache das Lager, erfinde Ausreden für den Boss, hindere den Polier alle 14 Tage daran, zu kündigen, stelle fest, wer in die Kassa gegriffen hat. Man nennt das Sekretärin…“

      „Vielleicht kannst du meine Sekretärin werden? Ich zahl dir das Doppelte und du machst das Gleiche für mich“, sagte Ida einfach.

      Esther kippte aus der Überlegung, wie sie Ida helfen, sie unterstützen, absichern konnte, in eine völlig neue Rolle. Ein Job, ein gut bezahlter Job, angemeldet und mit Krankenkasse. Pensionsberechtigt und wirklich gut bezahlt.

      „Ok, aber ich habe Kündigungsfrist.“

      „Sei frech, vielleicht entlässt er dich gleich. Oder sag, dass du schwanger werden möchtest.“

      Ida