Sanne Prag

... und dann geschah es


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ein Getränk anzubieten, und eilte in den Garten, Ida suchen. Sie konnte nicht rufen, das hätte vielleicht den Feind aus dem Haus geholt. Nicht, dass Ida eine Entscheidung treffen würde. Ida hatte Wünsche, aber Entscheidungen waren ihr fern. Sie war immer bereit, Esther alles zu überlassen. Aber sie, Esther, konnte nicht Tante Tina aus Idas Haus entfernen. Sie war hier Sekretärin und brauchte Berechtigungen. Es war zu erwarten, dass bei dem Gespräch mit Ida gar nichts herauskam, dass die so schnell wie möglich davonwollte, aber dann hatte sie es ihr immerhin mitgeteilt. Hatte Ida einbezogen, auch wenn sie den Drachen alleine bekämpfen musste.

      „Ida!“, zischte sie ins Gebüsch, wo Ida gestern geschlafen hatte. Nein, leer. Im alten Stadel gab es einen Haufen Heu, den Ida so liebte. Sie ging außen um den Hof, damit sie nicht vom Zimmer gesehen wurde, und hörte, dass Tante Tina die Fenster öffnete. Die machten ein eigenes Geräusch.

      Ida saß am alten Heuboden schaute über die Wiese und ließ die Beine baumeln. Sie lächelte, als sie Esther sah. „Das hier ist ein Zauberhaus. Hier gibt es Geister die lieben“, meinte sie von oben herab.

      Esther bereitete es fast körperliche Schmerzen, Ida aus dem Zustand herauszuholen. Es war eine Gemeinheit, so etwas war verboten, aber was sollte sie tun.

      „Ida, es ist ein Malheur passiert“, fing sie vorsichtig an.

      „Will dich dein Chef zurück?“, fragte Ida entsetzt.

      „Nein, viel schlimmer.“ Ida hatte sichtlich keine Idee, was schlimmer sein konnte.

      „Tante Tina ist da.“

      Ida dachte kurz nach. „Du könntest sagen, ich musste Vorhänge einkaufen und dann übernachte ich in Wien. Ja?“

      „Das löst das Problem nicht. Sie will bleiben.“ Grabesstille. Ida schien das Ganze nicht gleich zu erfassen. Sie sah Esther mit schreckgeweiteten Augen an. Dann sagte sie ganz leise: „Das geht nicht.“

      „Wir können aber nicht gut sagen, dass kein Platz ist.“

      „Wieso weiß sie von dem Haus?“

      „Hat wahrscheinlich in der Wohnung gefragt, und Ezra kennt sie ja nicht gut. Ich denke, man muss schon irgendetwas sagen. Man kann doch eine alte Dame nicht einfach stehen lassen oder rausschmeißen – ohne Erklärung.“

      Ida sah wirklich beunruhigt aus. Sie begann, schusselig Sachen hin und her zu legen. Panische Blicke. Esther kannte das bei ihr. Sie hatte das früher oft bei ihr gesehen. Esther brach es fast das Herz. Das absolute Notlaufprogramm. „Ich werde versuchen, das für dich zu regeln. Aber ich muss das mit dir besprechen. Es ist dein Haus.“

      Ida richtete sich auf. Sie kletterte vom Dachboden. Mit fest zusammengepressten Zähnen sagte sie: „Wo ist sie?“

      „Im Zimmer. Ich habe sie ja nicht in die Küche setzen können“, meinte Esther verteidigend.

      Die alte Dame saß ganz gemütlich im großen Sessel, hatte sich einen Schemel geholt und die Beine hochgelegt. Als die Türe aufging, meinte sie: „Habt ihr denn da kein wirklich kaltes Wasser, ich vertrage die Hitze so schlecht.“ Es fühlte sich tatsächlich erstaunlich warm im Zimmer an. Sonst war das Haus immer eisig. Im Ort nannten sie es das Eishaus. Aber heute war es in dem Raum wirklich sehr warm.

      Da sah sie ihre andere Nichte. „Ah Ida, mein armes Kind.“ Sie wollte sie in die Arme schließen, aber die Eine schwitzte, die Andere war unwillig, und so gelang die Umarmung nicht.

      „Warum, Tante Tina, möchtest du hier wohnen?“ Esther spürte, wie sich Idas Magen wölbte, als sie dem Stier an die Hörner ging.

      „Nun, es ist doch selbstverständlich, dass ich mich um euch kümmere“, meinte der unerwünschte Besuch.

      „Aber du hast doch deine schöne Wohnung.“

      Ida schien sie in die Enge zu treiben. Esther war verblüfft.

      „Ich versteh dich nicht, natürlich komme ich hierher.“

      „Wieso natürlich?“ Idas Widerstand war jetzt deutlich, und Tante Tina konnte beim besten Willen nicht mehr so tun, als ob sie nichts bemerkt hätte.

      „Nun, schließlich ist das auch mein Haus.“ Esther fand die Diskussion zermürbend. Wieso ihr Haus?

      „Es ist kein Familiensitz. Wir sind keine Grafen“, meinte Ida still.

      Da richtete sich die alte Dame auf. Sie war sehr böse. „Dieses Haus ist eigentlich mein Haus. Es gehört rechtmäßig mir. Ich war Aarons Verlobte, ich sollte ihn heiraten, als meine Schwester Ida kam und ihn mir wegnahm. Dank einer Gemeinheit und Dank eines Diebstahls sitzt ihr jetzt hier im Schloss und ich soll draußen an der Türe demütig pochen!“ Sie rauchte vor Zorn. Die Bilder der Vergangenheit schienen wie Doping zu wirken. Ida drehte sich wortlos am Absatz um und ging hinaus. Esther folgte.

      „Was tun wir?“ fragte Esther. „Weiß nicht.“ Ida war wieder in der alten Rolle.

      „Ich kann sie in deinem Namen rausschmeißen?“

      „Das mit Vater stimmt. Ich weiß, dass es stimmt.“

      „Ist das ein Argument, sich einzuladen?“

      „Nicht wirklich, nein. Vielleicht hilft uns der aus dem ersten Stock?“

      „Wer?“

      „Wir wohnen hier ja nicht allein“, meinte Ida. Aber mehr wollte sie nicht erklären. Ida hatte, so schien es, Kontakt mit mystischen Wesen, die ihr Haus bevölkerten.

      AM NÄCHSTEN TAG

      Tante Tina hielt Einzug. Sie war da und vorbei war es mit dem Frieden. Was vorher ein angenehmes Miteinander war, wo jeder tat und ließ, was ihm passte, wurde zum Hindernisrennen. Ausweichen, vermeiden, höflich ablehnen. Was in ihre eifrigen Finger kam, nahm Tante Tina in die Hand. Sie korrigierte und verbesserte, wahrscheinlich mit bestem Willen und trotzdem unerträglich. Ida verschwand zunehmend in der Landschaft. Und Esther war hilflos, sie war Sekretärin, konnte nichts durchsetzen. Keine Lösung in Sicht.

      Esther überlegte laut, als sie mit Ida in der warmen Wiese saß, die Tante Tina noch nicht erobert hatte. „Wenn wir Ezra und die ganze Studentenpartie einladen,… Ein Fest, sagen wir zum Abschluss der Arbeiten in der Wohnung, ein richtiges Fest, mit möglichst vielen und so als Urlaub einige Wochen. Laut, mit Musik bis spät in die Nacht. Vielleicht geht sie dann von allein.“

      „Ezra soll Wolfgang mitbringen.“

      „Wolfgang?“

      „Er hat so schöne schwarze Haare am Rücken.“

      Schwarze Haare am Rücken? Was für eine Beziehung hatte Ida zu Wolfgang? Esther hatte Wolfgang zwar sympathisch gefunden, aber seine kleinen Eigenheiten machten bei Freunden Probleme. Wo Wolfgang war, kamen Sachen abhanden. Nur in diesem Fall konnte man das vielleicht als Segen einsetzen. Wenn einmal da und dort etwas wegkam, war das doch für Tina vielleicht ein Grund, wieder zu fahren, oder? Auf jeden Fall fiel Esther im Moment keine bessere Lösung ein.

      Sie sah besorgt auf Ida. Esther hatte gehofft, dass Ida in dem Haus wachsen würde, Wurzeln schlagen, sich ausbreiten. Das war auch tatsächlich der Fall gewesen, in der Heuschreckenwiese – bis Tante Tina kam. Jetzt aber spürte sie bei Ida einen Schrumpfprozess. Im ständigen Versuch, Tante Tina zu entkommen, machte die nicht mehr die Dinge, die sie machen wollte, probierte nicht mehr aus, was sie probieren wollte. Ein Rückschritt! Ein absoluter Rückschritt. Genau das, was Esther seit Monaten beunruhigt hatte, war wieder da. Sie hatte wahrgenommen, dass Ida immer weniger lebte. Ein langsames Sterben der Seele hatte sie zutiefst erschreckt. Bei lebendem Leibe gestorben, dachte Esther und spürte in den Worten die ganze Gefahr. Ida war in Gefahr, jetzt wieder, nach einer kurzen Phase des Aufblühens.

      NACHMITTAG, ZWEI TAGE SPÄTER

      Ezra fand es gut, seinen Studienkollegen und Helfern