Sanne Prag

... und dann geschah es


Скачать книгу

unschuldig bleiben. Aber vielleicht wusste er etwas, - etwas das nicht gleich sichtbar war, nicht leicht erkennbar, zumindest nicht für Hille.

      „Keine Ahnung. Welche Unterlagen? Sah aus wie ein kleiner Werkzeugkoffer, Akkuschrauber oder so etwas, und dann hatte er seinen Laptop hergezeigt. Irgendwas war damit. Aber deshalb waren sie ja so gereizt.“

      „Wegen dem Laptop?“

      „Ja, Vorberg war böse. Grade als ich hereinkam, sagte er - das ist einfach nicht richtig - oder so etwas.“

      „Wem gehörte denn der Laptop?“

      „Weiß ich eigentlich nicht. Ich dachte, Hubert. Der hat ihn mitgenommen.“

      Ezra verabschiedete sich.

      Hatte Hille etwas gesehen, was er nicht sehen sollte? Er wünschte sich, Vorberg mit Händen voll fremdem Geld zu erwischen. Und dann wollte er ihn stolpern lassen, eine Bauchlandung, heftig und schmerzhaft und alle Geheimnisse lägen auf der Straße, für alle sichtbar. Das war es, was er mit Vorberg machen wollte. Harmlose Bürger ausnehmen beim Poker! Und dann präpotent und bedrohlich den armen Kerl einschüchtern wollen!

      Aber vor allem stellte Ezra sich die Frage, ob Remus Vorberg eine große Nummer war. Ezra hielt ihn eher für einen Blender. Mehr Show als Mann. Hatte Vorberg Hilles Unfall auf dem Gewissen? Aber er war nicht anwesend, Hubert schon.

      Was für eine Rolle hatte Hubert bei der Sache? Die Gedankenschlingen fuhren mit im Auto, ringelten sich ums Lenkrad, um den Schaltknüppel, um Hubert, um Hille – aber der schlief fest im Spital. Und Ezra kam zu keiner Lösung - es gab zu viele Möglichkeiten.

      ABEND

      Als Ezra zurückkam, herrschte heller Aufruhr. Er hörte von weitem Geschrei, durch das offene Autofenster flogen aufgeregte Stimmen. Als er in den Hof einbog, knallte eine Türe. Er sah Esther wirklich wütend dort stehen. Ida war nicht zu sehen. „Komm, lass das Ventil pfeifen“, meinte er und streichelte Esther.

      „Linchen ist gegangen, auf nicht mehr Wiedersehen, weil Tante Tina gemeint hat, sie stielt.“ Das war die knappe Fassung von mächtigen Diskussionen, die seit drei Stunden hin und her wogten. „Was denn?“, fragte Ezra interessiert.

      „Irgend ein Bild.“

      „Was für ein Bild.“

      „Hatte Tante Tina immer bei sich, mit Silberrahmen.“

      Also, es fehlte ein Bild im Silberrahmen, es war aber absolut nicht klar, um was für ein Bild es sich handelte. Aber Tante Tina war es wichtig. Linchen war wegen böser Anschuldigungen gegangen und das war ernst, denn Linchen machte den Haushalt. Ezra musste die wirklich brennende, wichtige Frage stellen, die Frage auf die es ankam: „Wer kocht heute?“

      „Tante Tina hat vor einer Stunde gemeint, ich solle ihr das Nachtmahl aufs Zimmer bringen und ich habe gesagt, wenn sie Linchen beleidigt, muss sie das selber machen. Und da hat Tina gesagt, sie werde in diesem Haus für das Pack, das wir sind, nichts mehr arbeiten.“ - Das hieß, offener Krieg war ausgebrochen.

      Also keine Haushaltshilfe vorhanden wegen Diebstahl, Familienkrieg und keiner wollte die Arbeit machen. Das Problem musste gelöst werden. Ezra ging Wolfgang suchen, um wegen dem Diebstahl zu reden. In Wolfgangs Zimmer war keiner, nur ein zerwühltes Bett.

      War zu erwarten gewesen. Wo könnte er sein?

      Von den Dachbodenfenstern konnte man weit ins Land sehen. Dort hatte er den Überblick, konnte schauen, wo Wolfgang hingegangen war. Vielleicht war er auf einer der umgebenden Wiesen oder beim Fluss oder sonst wo im Umkreis. Er stieg die wackelige Treppe hinauf und öffnete die Holztür. Wolfgang legte gerade ein Seil über einen der Dachsparren.

      Die erste, die schnellste Vision war Wolfgang beim Selbstmord. Das war naheliegend, denn warum legt wohl jemand ein kräftiges Seil über einen Balken? Der Gedanke war aber völlig abartig im Zusammenhang mit Wolfgang. Der Kumpel seiner Kindertage war nicht Selbstmord gefährdet. Die beiden waren schon miteinander in der Volkschule. Wolfgang war ein Mann der Hände, ein Mann der technischen Lösungen an Geräten, von denen Ezra noch nicht einmal gehört hatte. Wolfgang tat, was er wollte, und es fiel ihm immer etwas ein. Leider gehörten Tendenzen zum Diebstahl dazu.

      Ezras Familie, Tante und Mutter, hatten immer eindringlich vor Wolfgang gewarnt. Kriminelle Familie, Vater im Gefängnis, kein Umgang für dich. Das führte schnell zu einer innigen Freundschaft, die Ezra damals mit kleinen Geschenken pflegte. Tante Rena und Mutter standen wechselweise neben ihm und entwarfen bedrohliche Szenarien dieser Freundschaft, was sie sehr vertiefte. Wolfgang war eine Fundgrube für wesentliches Wissen. Von Einbruch bis Drogenhandel war er bestens informiert. Er wusste, wie es läuft, zeigte Ezra grundlegende Fertigkeiten, hatte aber selbst keine Ambitionen was zum Beispiel Drogen betraf oder Drogenhandel. Die Mafiastrukturen des Drogenhandels waren ihm zu eng, zu hierarchisch, zu wenig kreativ. Auch der einfache Einbruch war wenig reizvoll. Nach einigen Jobs in der Personenbewachung und in Sicherheitsfirmen machte er derzeit Projektarbeit im Dienste der internationalen Fahndung. Nicht etwa verkleidet als Drogendealer im Untergrund, sondern als fähiger Techniker wurde er an die Schnittstellen versetzt und leistete dort so einige Male im Jahr besondere Arbeit.

      „Willst du dich aufhängen?“, fragte Ezra.

      „Nicht gleich“ brummte Wolfgang, dann strahlte er ihn an. Wolfgang war sehr dunkel und hatte das Lachen eines Seeräubers. „Wenn man die Seile befestigt, kann man von Balken zu Balken schwingen. Ich habe mir schon immer einen solchen Dachboden gewünscht. Früher haben sie Tabak hier getrocknet“, meinte er und strahlte den Dachboden an. Wolfgang war kräftig, über hundert Kilo schwer, erklomm aber behände einen der Balken und schwang sich am Seil zu einem anderen. Ezra fand, das sah gut aus, wie Tarzan im blauen Hemd.

      „Warum hast du denn um Gottes Willen das Bild genommen?“ Wolfgang sah ihn kurz an, an der Grenze zum schlechten Gewissen. „Sie hatte keinen gescheiten Schmuck“, meinte er schließlich entschuldigend.

      „Ja, aber sie hat Linchen beschuldigt.“

      „Ach, das ist ok.“

      „Wie kannst du das sagen?“

      „Letzte Nacht hat mir Linchen gesagt, dass ihr der spinnerte Haufen reicht, und sie will reisen, als Stewardess anheuern oder sowas.“

      „Letzte Nacht?“ Naja, Wolfgang hatte wieder einmal eine Dame beglückt. Er sprach nicht wirklich über seine Nächte, aber Ezra wusste, dass sie recht abwechslungsreich waren. „Ja, aber Linchen hat den Job hingeschmissen und Esther sieht nicht ein, dass sie jetzt die Köchin machen soll.“

      Das war auch für Wolfgang ein Problem, das man bewältigen sollte. Er dachte ernsthaft nach. „Ist ok, wir machen das.“

      „Ich kann nur begrenzt kochen. So echte Dreisternküche sieht anders aus.“

      „Ja, ich habe auch meine Grenzen, aber für eine Woche reicht es, ich kann ein paar gute Sachen für den Notfall. Und ich denke, Esther hat dann wieder jemanden. Sie wird doch die Welt nicht ohne Linchen lassen. Oder?“ meinte Wolfgang und sah den Balken sehr genau an, während er sich gedankenverloren den Unterbauch rieb.

      „Ok, werde ich Esther sagen, damit sie sich beruhigt. Aber warum hast du wirklich das Bild genommen?“

      „Der Silberrahmen ist echt und ziemlich wertvoll.“ Wolfgang fand das logisch.

      „Und was ist das für ein Bild?“

      „Nur ein altes Foto, von der braunen Sorte. Ein Mann. Ich weiß nicht, warum sie so einen Wirbel darum machen.“ Wolfgang fand es immer unverständlich, warum Leute so an ihrem Besitz hingen. Warum sie nicht gutwillig akzeptierten, dass ihre Sachen verschwunden waren.

      „Bringst du mir bitte das Foto?“

      „Was willst du mit dem Foto?“

      „Anschauen, vielleicht kommt er mir bekannt vor.“ Wolfgang war verwundert. „Wegen Hille, es muss ihn ja irgendwer gestoßen haben. Deshalb