Sanft hügelig und feucht genug, dass eine Vielfalt an Gewächsen hier zu Hause war. Große, gelbe Disteln und klebrige rosa Nelken und Glockenblumen und Wiesenschaum. Es summte und war einfach schön.
Ezra hatte das Bedürfnis, sich vom Haus zu entfernen, um in Ruhe die Situation klären zu können. War Hille einem Versuch zum Opfer gefallen, ihn umzubringen? Kleine, böse Gedanken wurden wach. Waren Hubert und Jörg nur so schnell gegangen, weil sie mit der Sache etwas zu tun hatten? Hatte einer von ihnen Hille gestoßen? Oder gab es einen anderen Auslöser von Hilles Unfall? An einen aggressiven Hausgeist wollte er eher nicht glauben.
Was wusste er von Hubert? Sohn reicher Eltern, ständig in Geldnöten. Papa war für arbeiten, Hubert nicht. Trotzdem hatte er unregelmäßig viel Geld und dann wieder panisch keines. Ezra vermutete, dass er an Systemen für Glückspiel rechnete. Jetzt war gerade Ebbe, deshalb hatte er mit ihnen die Wohnung geräumt. Er hatte dabei versucht, das Schlimmste an Arbeit zu vermeiden, und rechnete ständig in kleinen Heften und vor allem auf seinem Laptop.
Und hatte er nicht Hubert einmal auf der Uni mit Vorberg gesehen? Ezra hatte eine sehr feindliche Haltung gegenüber Vorberg. Vor allem im letzten Jahr hatte Ezra Remus Vorberg immer deutlicher als etwas Übles, vielleicht sogar Bedrohliches wahr genommen. Aber wie konnte der Hille gestoßen haben? Und warum sollten er oder Hubert so etwas tun?
Und Jörg? Jörg kam aus Deutschland, war schwul und verspielt, inkonsequent. Ein großer knochiger Junge, der immer lachte, auch wenn es ihm gar nicht gut ging. Dass der plötzlich Hille umbringen wollte, war nicht leicht zu glauben.
Und Hille? Er hatte Hilles Taschen durchsucht und drei besonders schöne Köder gefunden, die der, scheint es, aus dem Fischeranzug gezogen hatte. Hatte wohl nicht widerstehen können. Die Brillantringe hatte er brav abgeliefert. Still gab er an dem Abend den Fund wieder in Hilles Tasche. Was konnte jemand gerade von Hille wollen? So bedrohlich, so rücksichtslos, so mörderisch.
Er schlenderte den Weg entlang zum Nachbaranwesen. Die Sonne brannte. Im Hof war keiner. Die Kühe schnaubten im Stall. Ezra ging nachschauen. Der Stall war ziemlich düster. Es roch süßlich und nach Heu. Die Tiere regten sich träge. Er konnte nur langsam etwas erkennen. Die Fenster waren klein und mit Spinnweben zugewachsen. Er kraulte einer Kuh die Stirne und stellte dann fest, dass sie ein Stier war.
Da sah er jemanden stehen. Eine Frau. Er begrüßte sie überfreundlich. Sie schaute ihn nur düster an, mit starrem Blick. Er konnte jetzt besser erkennen. Sie hatte ein seltsam unzureichendes Gerät in der Hand, etwas wie einen verrosteten Metallbesen. Daran klebten Reste von Stalldung, und sie schien damit den Stall reinigen zu wollen. „Sie bringen Bakterien herein, das kann ganze Herden ausrotten. Es gibt Kälber hier“, sagte sie schließlich düster. Pythia, die düstere Wahrsagerin von Mord, Totschlag und Untergängen aller Art?
„Ich komm‘ von neben an, bin auf längerem Besuch und wollte nur guten Tag sagen, fragen ob ich etwas mitnehmen soll. Ich muss zu einem Freund ins Unfallkrankenhaus, da könnte ich die Dinge holen, die sie hier nicht haben.“ Ezra konnte umwerfend charmant sein. Es prallte ab. Sie schaute ihn nur böse an und kehrte verbissen an einem Kuhfladen.
Er ging vorsichtig. Als er ins Freie trat, meinte sie hinter ihm: „ - den Geist schon getroffen?“
„Ja, er hat gestern die Musikanlage auf- und abgedreht und hat gesagt, er heißt Robert.“
„Ihr glaubt, das ist ein Witz“, sagte sie Frau in ihren Hals hinein. „Das ist kein Witz.“
„Wer ist Robert?“
„Frag ihn selber.“ Sie trat auch vor die Türe und sie sahen beide zum Jaidhof hin. Im Fenster war deutlich ein Mann mit Hut zu sehen, irgendetwas war rosa, und der Hut war blau, wie ein Zylinder mit Blumen über einem weißen Kragen. „Er ist eh da“, sagte sie mit bösem Lächeln.
Warum eigentlich ein Mann? Es konnte eine Kabarettistin oder eine Zirkusdarstellerin sein mit diesem Hut und diesem weißen Kragen, aber die hießen meist nicht Robert. Die Frau ging zurück in den Stall.
Er dachte über Geister nach.
NACHMITTAG
Ezra wollte jetzt keine alten Damen vertreiben helfen, sondern fuhr zum Spital.
Hille war schon wieder guter Dinge „Ich habe überlebt, weil ich unterkühlt war, sagen die Ärzte. Wie ich es um die Jahreszeit bei den Temperaturen geschafft habe, unterkühlt zu sein, verstehen sie nicht.“ Hille hatte auch seinen Kater losgebracht und wirkte nicht einmal blass, nicht verschreckt, eigentlich lag er irrtümlich in einem Spitalsbett. Er konnte sich an rein gar nichts erinnern, nicht einmal an die Wasserzisterne, geschweige denn, ob ihn jemand gestoßen hatte, und wer. Warum er in den Keller gegangen war? Ja, er konnte das nicht so genau sagen, aber er hatte so ein dunkles Gefühl, dass irgendwas ausgegangen war. Und er brauchte Nachschub und irgendwer sagte, der sei im Keller. Beim besten Willen konnte er es nicht genauer sagen. Im Keller sind wohl meist die Flaschen. Oder nicht? Schien nicht unlogisch. Oder?
Ezra begann, mit ihm über dies und das zu reden, und lenkte das Gespräch so auf die letzten Monate. Was hatte Hille denn so gemacht die letzten drei Monate oder vielleicht vier?
Hille lief rot an. Oh das war nicht gut! Da gab es Riffe und Untiefen. Wie schwer das Problem war, konnte man bei ihm nie sagen. Er konnte Einbrüche begangen haben, mit Drogen gehandelt, vielleicht aber nur die Kassiererin von der Cafeteria in der Uni begehrt. Alles gleichermaßen sorgte mitunter für rote Flecken an seinem Hals, wie eben jetzt.
Ezra machte, als ob er nichts bemerkt hätte. „Warst recht knapp bei Kasse?“, versuchte er weiterhin in die Untiefen vorzudringen. Die roten Flecken zogen ab. Hille fühlte sich verstanden.
„Im Mai hatten sie mich zu einer Pokerrunde eingeladen und irgendwie war‘s ein schlechter Abend und dann war ich pleite mit Schulden. An denen nage ich heute noch“, meinte er unglücklich.
Ah ja, irgendwer hatte Hille gezielt ausgenommen. Keine Kunst, aber eine üble Sache. Wie auf junge Häschen schießen. „Wer war denn da?“, fragte Ezra mit Fürsorge in der Stimme.
„Naja, Remus Vorberg hat uns eingeladen. War eine ziemlich große Runde. Er fragte, ob ich in die Verbindung komme. Wollte ich doch immer schon einmal“, erzählte Hille unschuldig.
Es ging das Gerücht von einer schlagenden Verbindung mit lobbyistischen Aktivitäten dunkler Machart um, eine üble Sache. Vorberg hatte einen reichen Vater und war deshalb Anführer, Ikone dieser zweifelhaften Bruderschaft. Ezra machte einen Vermerk in seiner inneren Bibliothek, einen Vermerk über verbotenes Glückspiel. Vorberg war ein sehr mieser Typ, da gab es keinen Zweifel.
Da sagte Hille: „Jörg war auch da.“
Also Jörg war auch dabei, das konnte vieles heißen. Er hätte Jörg nicht für einen üblen Helfer böser Mächte gehalten. Der immer lächelnde, ein bisschen ungelenke Jörg als Helfer des Bösen? Das schien Ezra weit hergeholt. Er fragte weiter: „Warst du dann noch einmal dort? Ich meine bei der Verbindung?“
„Naja, ich wollte eine Stundung, weil ich ja den Job mit dir hatte. Das hätte einen Großteil der Schulden abgedeckt, anders konnte ich es ja nicht zahlen.“
„Und haben sie mit sich reden lassen?“
„Hubert hat da grade etwas abgeholt und alle waren ziemlich gereizt und Vorberg sagte zu mir: ‚Schuldner müssen draußen warten‘, und so wartete ich lange. Und dann musste ich heim, Vater helfen, und so bin ich seither nicht mehr dort gewesen. Sobald ich raus bin, zahle ich es, denn Vorberg hat gesagt, ich sollte auf meine Ohren aufpassen.“
Ezra spürte Wut hochkochen. Wie konnte dieser miese Verbindungsbruder Hille so etwas sagen? Das war eine ungeheure Frechheit, nachdem er ihn ausgenommen hatte. Und was hatte Hubert mit den Typen zu schaffen? Es war schwer zu ertragen, dass alle seine Kumpels mit Vorberg Kontakte hatten. Und die Frage war: Was für Kontakt? Hubert war ihm immer als ganz trockener, sachlicher Denker erschienen. Völlig fantasielos, fast wie ein Roboter, emotionslos. Was ist, wenn so jemand ein Spieler ist, im Poker verliert? Oder