Sanne Prag

... und dann geschah es


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staubig.

      Ida hatte sich eine Weile auf den Geist konzentriert, hatte über ihn nachgedacht und schlug vor: „Wir müssen ihn fragen, ob er vielleicht hinaus möchte, denn wenn er immer in dem Zimmer auf und ab geht ist das ja nicht erfüllend für so ein langes Leben nach dem Tod. Vielleicht schläft er hier und kann nie hinaus. Auch wenn man nicht essen muss, will man aus seinem Zimmer.“

      „Sollen wir ihm die Türe offen lassen?“, fragte Ezra. „Ich bin mir nie sicher, wie das mit Geistern und Türen ist.“ Ezra legte Wert darauf, möglichst normal zu sprechen, aber das mit der Fußspur war schon seltsam. Nicht Schrecken, nicht Gänsehaut, schon gar nicht Panik, aber seltsam war die Fußspur schon.

      „Geister schweben doch im Allgemeinen durch Wände.“ Wolfgang schob gerade eine Kommode an die andere Wand.

      „Nicht immer“, meinte Ida, „Ich weiß, dass sie gelegentlich knarrend Türen öffnen.“

      „Eingemauerte weiße Frauen findet man aber vorwiegend in Gängen und Treppenhäusern. Also irgendwie können sie aus der Mauer.“ Geisterkunde von Ezra.

      Wolfgang steckte mit dem Kopf im unteren Fach der Kommode, und es klang hohl als er sagte: „Ich denke, sie machen vor allem seltsame Geräusche.“

      „Naja irgendwie müssen sie ja `guten Tag´ sagen“, meinte Ida, „Vielleicht wollen sie wahrgenommen werden, auch wenn sie nicht mehr richtig leben. Wir fühlen uns ja alle nur bedeutend, weil uns jemand wahrnimmt.“

      Wolfgang war inzwischen mit praktischen Überlegungen beschäftigt. Er hatte nicht so viel Gefühl für Geister „Wie machen wir denn das mit der weiteren Einrichtung?“, wollte Wolfgang wissen. Ida drehte sich um und ging. Ezra nahm an, sie wollte schauen, ob Robert da war, aber vor allem wollte sie keine praktischen Probleme lösen.

      „Fragen wir Esther.“ So ging er Esther suchen. Ezra hatte einen Moment das Bedürfnis, die Türe offen zu lassen, damit der Geist freie Bahn hatte, entschied sich aber schließlich dagegen. Wahrscheinlich konnte er durch die Wand und die Besorgnis war überflüssig.

      Ezra war auf dem Weg hinunter in die Küche. Aus dem Unterstock drang eine weinerliche Stimme hoch. Röschen stand in der Küchentüre und erklärte Esther gerade, dass das, was hier gekocht wurde, für sie nicht essbar war. „Ich habe immer schon einen empfindlichen Magen, diese fette Kost hier bekommt mir nicht. Tinchen hat gesagt, ich soll das in der Küche besprechen.“ Ein tiefer kummervoller Seufzer folgte dem gerade vergangenen. „Nur weißes Fleisch, Kalb oder Huhn, Spargel vertrage ich gut, sonst bin ich aber sehr heikel.“

      Ezra fragte sich, wie Esther das bewältigen würde. Er sah über das Treppengeländer auf die kleine weinerliche Gestalt mit dem gekrümmten Rücken. Eine lebenslang dienende, die sich ihren Platz erjammert hat, immer Raum für Mitleid schaffte, das nie stattfand. Sie hatte nichts zu geben außer Forderung. Keine gute Ausgangsbasis für Mitleid. Eher ein Storchenteich für die Kinder des schlechten Gewissens - auf der Flucht. Ezra wusste, dass Esther aus den Ohren rauchte vor Zorn, auch wenn man keine Flammen sah. Schließlich hatte sie die ganze Arbeit, und dann diese weinerliche Beschwerde. Esther hatte ihre Stimme aber im Griff und sagte ganz freundlich, sie werde sich um den kranken Magen kümmern und etwas ganz Diätes bereiten.

      Da steckte Ida den Kopf zur Eingangstüre herein. „Robert ist heute komisch.“, meinte sie nur und bedeutete Ezra, zu kommen. Ida ging hinaus an die Stelle, wo die Begegnungen mit Robert stattfanden. Dort war der nächste Platz, um gut das ganze Fenster zu sehen, in dem er immer auftauchte.

      „Da, schau“, meinte sie, „seine Füße baumeln heute im unteren Fenster.“

      Ezra war zuerst sehr verwirrt. Im ersten Stock war der Kavalier mit Hut oder die Zirkusreiterin oder was immer es war, deutlich zu sehen und im Fenster darunter zeigte die Spiegelung etwas wie zwei hängende Streifen in Blaulila. Die gleiche Farbe wie der Hut, und ganz unten fast beim Blumenkasten hatten diese Streifen rote Spitzen, wie die Schuhe auf einer Kinderzeichnung. Das ganze bewegte sich leicht.

      „Schaut aus, als ob er gehen würde.“ Ida war fasziniert. Ja, es sah tatsächlich aus, als ob er Schritte machte. Das Fenster neben Robert war offen. Es war der Raum, wo sie gerade Möbel verschoben hatten.

      Ezra fragte sich, wo Wolfgang war. Der musste doch in diesem Zimmer auf und ab laufen. Durch die beiden offenen Fenster hätte er Wolfgang sehen müssen, wenn der arbeitete. Er sah und hörte aber keinen Wolfgang.

      „Warum, glaubst du, ist Robert da?“, fragte Ida leise im Gedanken.

      „Normaler Weise geistern Geister, weil sie irgendwas psychisch nicht bewältigt haben und deshalb nicht zur inneren Ruhe finden.“

      „Das heißt sie brauchen Therapie?“

      „In unseren Breiten brauchen sie Beichte, Anerkennung von Schuld, Weihrauch, Priester. Die letzten paar Jahrhunderte sprach die Kirche nie von Therapie und sieht das vielleicht auch jetzt als Konkurrenzunternehmen. Aber du hast wohl recht, Geister brauchen Therapie. “

      „Das heißt Robert muss beten oder braucht Therapie“, überlegte Ida.

      „Ja, beten soll helfen, und ein Kreuz lässt ihn verschwinden oder lähmt ihn. Meistens muss er nicht nur beten, auch beichten, gestehen, was halt die Kirche an Therapiemöglichkeiten bietet. Den Mord an der Geliebten aus Eifersucht, oder am Vater aus Wut oder Geldgier.“

      „Ja du meinst einen Mord, der nicht wirklich legitim ist“, meinte Ida nachdenklich.

      „Welcher Mord kann schon legitim sein?“

      Ida schaute gebannt auf Roberts Füße. „Ich denke, ein Mord, der anderen das Leben ermöglicht. Ich denke, jeder hat das Recht, zu leben, und wenn einer das anderen unmöglich macht, und wenn es auch keine Lösung gibt, so ist vielleicht richtig, den aus dem Weg zu schaffen. Eben damit andere leben können.“

      Ezra überlegte und versuchte, guten und schlechten Mord einzuordnen, aber seine Beunruhigung wegen Wolfgang war inzwischen angestiegen. Er hätte etwas hören müssen. Er hätte ihn sehen müssen an den beiden offenen Fenstern. Vielleicht war er nur einmal hinausgegangen. Konnte man Wolfgang wirklich so einfach mit Robert allein lassen? Einem psychisch belasteten Geist?

      Ezra rannte ins Haus und hektisch in den ersten Stock mit der Vision, ein hysterischer Idiot zu sein und Wolfgang zu finden, wie er sehr sorgsam an einer Steckdose herum schraubte. Er riss die Türe auf. Hatte schon den letzten Teil der Treppe angespannt gehorcht, ob er Wolfgang hören würde, aber es war nichts zu hören. Hinter der Tür fand er ihn am Boden liegend in einer riesen Blutlacke.

      Ezra warf sich neben ihn auf den Boden und sah in den schwarzen Haaren eine große Platzwunde fast bei der Stirne. Ezras Brust krampfte sich zusammen, er suchte nach Zeichen von Leben. Auf der Stelle wurde ihm übel. Wieso Wolfgang?

      Aber Wolfgang lebte, denn er grunzte und bewegte sich vorsichtig. Ezra berührte ihn. „Was ist mit dir?“, fragte er, um irgendetwas zu sagen. Kontakt aufzunehmen, festzustellen wie schlimm es war. Die Hautfarbe war nicht allzu blass, schon gar nicht bläulich. Wolfgang verschmierte das etwas geronnene Blut über den Boden mit einer Hand, die ins Leere griff.

      Warum hatte Robert ihn niedergeschlagen? Was hatte er Robert getan – sein Zimmer aufgeräumt, entweiht? Die Frage kam Ezra gleichzeitig ziemlich unvernünftig vor. Sie war aber so naheliegend. Da sagte Wolfgang noch ziemlich undeutlich: „Das Ding ist plötzlich auf mich drauf gefallen.“

      Robert ist von der Decke auf Wolfgang gesprungen? In Ezras Kopf lief ein oft gesehenes Bild aus Vampirfilmen. Der Untote lässt sich von einer Mauer oder einem Vorsprung, einem gotischen Ungeheuer, das aus der Mauer schaut, auf sein Opfer fallen und umschließt es wehrlos mit tödlichem Biss. Gab das Platzwunden an der Stirne?

      „Blödes Ding, blödes“, murmelte Wolfgang und hielt sich die Stirne. Dann versuchte er, sich vorsichtig aufzusetzen und legte sich wieder hin. Ezra hatte noch immer einen dicken Knoten im Hals. „Was ist auf dich draufgefallen?“

      „Na der blöde Kasten.“ Wolfgang wollte kein zweites Mal riskieren, den Kopf zu heben. Ezra löste