Sanne Prag

... und dann geschah es


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      ABEND, SPÄTER

      Schließlich hatten Esther und Wolfgang miteinander gekocht.

      Das Kochen war schwierig, denn Wolfgang schwitzte `Mann´ aus jeder Pore. Er hatte dünne, lange Seidenhosen an und das Hemd lag am Sessel. Sein Oberkörper war stark behaart und er machte in vielen Kleinigkeiten Esther klar, dass sie begehrt war. Eine Berührung beim Zwiebelschneiden, zartes Reiben, wenn man aneinander vorbei ging. Anzüglich war Wolfgang nie! Nein, keine blöden Bemerkungen über Busen und Po. So war Wolfgang nicht. Er war eher wie ein großer Bernhardiner mit Sehnsucht. Sie wusste, er wollte sie ablecken.

      Esther ging es mit ihm ein bisschen wie mit Schokolade beim Abmagern. Ein großes Bedürfnis, Lust, der Geschmack auf den Lippen verfolgte sie, aber keine gute Lösung, nein gar nicht. Bilder von zerwühlten Betten, gemeinsam Duschen, Körper spüren, weiche Haut, Haare, auch Härteres. Aber das alles war wie Schokolade entschieden ungesund. Schokolade machte unzufrieden, sie wurde fett davon und daher grantig und von Wolfgang wurde sie nur begehrt, weil sie gerade neben ihm stand. Er hatte einfach das Bedürfnis. Er mochte sie auch, natürlich mochte er sie. Sie gefiel ihm wirklich. Aber jede andere gefiel ihm auch, wenn sie in einer warmen Küche neben ihm war. Wolfgang war sehr unkompliziert - wer da war, war geil. Und so schnitt sie verbissen Karotten und rührte um und versuchte, an etwas anderes zu denken. Das ging ein paar Minuten ganz gut, bis sie bemerkte, wie er sich von hinten anschlich und begehrlich an ihr roch. In hektischer Selbstverteidigung fragte sie, ob er wohl das Kürbiskernöl gefunden hätte. Er kam mit der Flasche und verstrich ein paar Tropfen auf ihrem Oberarm.

      Esther spürte deutlich ihren Unterleib und sagte: „Schau jetzt habe ich da einen dunklen Streifen!“

      „Ja, furchtbar“, sagte er im gleichen Ton. „Was werden die Leute denken, wenn du da einen dunklen Streifen am Arm hast.“

      Die würden vor allem etwas denken, weil er ein Stück jünger war als sie, und überhaupt war das Ganze unmöglich, unbrauchbar, weil es nie so weit käme, dass die Leute irgendetwas denken würden.

      „Magst du die Kartoffeln herrichten?“, fragte sie ein bisschen zu laut und hielt zwei Kilo Kartoffel zwischen seinen und ihren Körper.

      „Ich tu gerne marinieren. Schönes Fleisch marinieren“, meinte er. Man sah ihm an, dass ihm die Vorstellung gefiel, Rindfleisch, Kalbfleisch, Frauenfleisch, auch Hühnchen. „Unmariniert schmecken Hühnchen fade“, kommentierte er. Esther wurde die Küche eng, aber das Essen musste fertig werden.

      Wolfgang schälte und kochte die Kartoffeln. „Das Kartoffelpüree wird besser, wenn man schon das Wasser ein bisschen würzt.“ Er nahm sie um die Schulter. „Komm, da, Gewürz riechen. Riecht wie Süden und Meer.“ Es wäre irgendwie unvernünftig, Gewürz nicht riechen zu wollen. Somit rochen sie einträchtig und eng umschlungen Gewürz über dem Kartoffeldampf. Esther spürte Schweißtropfen zwischen ihren Brüsten hinunterlaufen. Wolfgang erzählte von dem Hang von wildem Thymian, in dem er einmal auf einer Reise geschlafen hatte. „…und in der Früh hat mir die Sonne so stark auf den Bauch geschienen, dass ich davon wach geworden bin. War schön warm von innen.“ Er strich sich genüsslich über seinen Bauch, und Esther flüchtete zur Nachspeise.

      Da hatte Wolfgang den Kartoffelstampfer in der Hand und drückte ihn in die weichen Kartoffeln. „Schau“, verkündete er strahlend, „das geht wie Sex.“ Er bewegte den Stampfer hinein und heraus aus dem Kartoffelbrei. Esther stand da, in einer Hand die Schüssel mit der Nachspeise, in der anderen die kleinen Schüsselchen, und schaute gebannt auf den Kartoffelstampfer.

      MITTAG DES FOLGENDEN TAGES

      Ezra hatte zu Hause gelernt, dass Gemeinschaft beim Essen eine kostbare Sache sei, dass diese gepflegt werden müsste. Tinchen und Röschen hatten die Vorstellung, dass Essen in Gemeinschaft dazu da war, die wichtigen Dinge abzuhandeln.

      „In mein Zimmer scheint zu früh die Sonne. Es wird dadurch zu früh heiß“, stellte Tante Tina fest. „Ich brauche ein zweites Zimmer.“

      „Die sind im Moment alle belegt“, meinte Esther mit vollem Mund. „Und die, die nicht belegt sind, sind voll mit Abgelegtem.“ Eisiges Schweigen. Das war kein guter Grund. Ezra assistierte. „Vielleicht kann man das Fenster nur über Nacht aufmachen und unter Tags schließen. Dann wird es nicht so heiß.“

      „Ich sagte, ich brauche ein zweites Zimmer“, betonte Tante Tina mit höflicher Schärfe.

      Ezra schaltete schnell. „Esther, ich könnte helfen, das Zimmer neben Tante Tinas ausräumen. Habt ihr denn auch Sachen, die man hineinstellen kann, damit es dann doch wohnlich wird?“

      „Naja, es ist alles Mögliche drin. Ich habe keine Idee, was alles, aber es sind große Möbel. Sonst haben wir noch Sachen in der Werkstatt - ein paar interessante Antiquitäten von der Vorbesitzerin. Man müsste schauen, was passt und was man herrichten kann. Vielleicht müsste man irgendetwas zukaufen, das dauert dann halt ein paar Tage….“ Esther schaute Ezra suchend an. Der folgte zweifellos einem Plan, Überlegungen, die zu einem Ziel führten, nur hatte sie kein Bild davon. Irgendetwas hatte er vor. Das war klar. Vielleicht fiel ihm doch etwas ein, um Tina zum Aufgeben zu bewegen? Dass sie Urlaub hier machte, wäre kein Problem, wenn man nur wüsste, wann sie fährt.

      Ida war das erste Mal wieder bei Tisch wegen Edmund. Sonst kam sie schon einige Zeit nicht zum Essen und war auch kaum zu sehen. Esther war froh, dass wenigstens Edmund sie aus ihrem Schneckenhaus holen konnte. Sie war besorgt. Ida fühlte sich nicht gut an, sie wirkte blass und durchscheinend, nahe am Versteinern. Das Problem mit Tante Tina musste gelöst werden, bald. Vielleicht hatte Ezra eine Idee? „Das Bett könnte man hinüber stellen“, sagte sie.

      „Wo gibt’s denn noch Möbel?“

      „Für Tante Tina vielleicht nicht. Aber es ist einiges Interessantes da. Es gibt einen prächtigen Bauernkasten und eine Truhe, die wollte ich mir herrichten, und Eva wollte die Porzellangarnitur mit dem alten Messingwaschtisch“, murmelte sie nur um etwas zu sagen.“

      „Das ist gut“, sagte Tante Tina, „ihr könnt die Sachen hineinstellen.“

      Esther spürte den Übergriff, die selbstherrliche Forderung, die Besitzergreifung fast schmerzlich, es schnürte sie ein. Die Sprache entzündete sich und der Hals formte einen harten Knoten. Aber sie hatte dem Übergriff eine Einladung gegeben, in Gold gerahmt und mit Blumen.

      Ezra war zufrieden. Genau wie er es wollte. Esther merkte die stille Genugtuung und tappte noch immer im Dunkel. Trotz des Ärgers schien alles richtig zu laufen. Wolfgang saß daneben und schaufelte Essen in großen Brocken. Ihm schmeckte es, und er schien mit essen beschäftigt, aber immer wieder kroch ein schneller Blick unter den Brauen zu Ezra. Er kannte den Kumpel – da war etwas im Busch.

      Edmund und Ida waren in ein anregendes Gespräch vertieft. Beide schienen von der ganzen Debatte nichts mitgekriegt zu haben. Edmund verbreiterte sich über die Irrwege von Korruption bei der Polizei, Falldarstellung, verhinderte Maßnahmen, wieder Falldarstellung ohne Namen, aber sonst sehr präzise. Über die Schlechtigkeit der Welt und der Behörden im Besonderen, und Ida war ganz Ohr. Völlige Hingabe, von kleinen Lauten des Staunens unterbrochen. So gefördert hatte Edmunds Darstellung Fahrt aufgenommen und schwebte deutlich hörbar im Raum. „…..und dann hat der Abteilungsleiter tatsächlich den Hörer hochgenommen und seinen Kumpel im Rathaus angerufen, um ihm zu sagen, dass es den Bericht am Laptop gab, und Vorberg sei interessiert.“

      „Oh“, machte Ida voll Staunen.

      „Und dann haben sie einfach nur mehr von Geldbeträgen gesprochen.“

      „Nein!“

      „Ja, so schlecht sind die. Auf nichts kann man bauen, nichts ist wirklich vernünftig“, meinte er zutiefst traurig.

      „Wirklich“, sagte Ida. Edmund fühlte sich verstanden.

      Und Ezra hatte Laptop und Vorberg vernommen. Was bitte war da in Gang? Was wusste jetzt auch noch Edmund von der ganzen Sache?