Kurt Pachl

Die Engel der Madame Chantal


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an der Zeit wäre, sich in sorgende Hände zu begeben?«, hatte er lachend hinzugefügt.

      »Es ist herrlich, sich ab und zu einen Spleen leisten zu können, vor dem man selbst ein bisschen erschrickt«, hatte Chantal geantwortet.

      Warum sie wegen einer Frau einen solchen Aufwand betrieb, konnte sie sich nicht beantworten. Irgendwann wischt sie auch alle diese Fragen beiseite. Sie wischte auch die wichtigste Frage beiseite - wie es weitergehen sollte.

      Moosbacher, der Rendezvous-Geschäftsführer, hatte sie bis auf Weiteres von seiner Liste gestrichen; unter lautem Protest. War es ein gutes Gefühl reich zu sein? Ja. Fraglos. Aber es machte auch irgendwie satt. Das herrliche Knistern fehlte ihr. Neue Männer, auf die sie sich einzustellen hatte. Stammkunden, die sich auf sie freuten. All das war in den letzten Jahren herrlich gewesen. Sie hatte guten Sex und viele neue Impressionen. Nur Harald fehlte ihr, jeden Tag. Wenn sie aufwachte, dachte sie an ihn. Und wenn sie allein in diesem großen Bett lag, hatte sie das Gefühl, als läge er noch neben ihr.

      Seit zwei Wochen dachte sie zunehmend an eine Frau. Gestern hatte sie Miranda angerufen – und sie eingeladen; in ihre Villa nach Frankfurt.

      Sie flatterte heran wie ein Schmetterling. Sie trug ein luftiges und buntes Chiffonkleid.

      Sie wirkte im ersten Moment wie zwanzig; höchstens fünfundzwanzig – aus der Ferne. Doch als sie sich, mit kleinen Tränen in den Augen und ein wenig zitternd, von Chantal in die Arme nehmen ließ, war sie nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die selbstsichere Managerin war verschwunden; wie ausgelöscht.

      Als sie in der riesigen Halle der Villa stand, und den gigantischen Salon sah, so drückte sie es zumindest aus, sackte sie erst recht in sich zusammen. Chantal führte Regie. An ihrem Drehbuch für diesen Nachmittag bis tief in die Nacht hinein hatte sie viele Nächte geschrieben.

      Sie führte den traurigen Schmetterling durch alle Räume der Villa. Mit einem Seufzer zeigte sie ihrem Gast das Schlafzimmer, worin Haralds Geist noch wohnte. Und dann, ganz zum Schluss öffnete sie das danebenliegende Schlafzimmer.

      »Du meine Güte. Ich glaube ich spinne«, schrie Miranda auf. »Das, das ist mein Schlafzimmer! Da stimmt jedes Fitzelchen. Wie konntest du dich so genau daran erinnern?«

      Und dann … plötzlich … blickte sie auf dieses riesige Bild an der Wand. Sie blickte in ihr Spiegelbild.

      »Oh Gott, oh Gott!« Sie hielt sich ihre Hände vor ihren geöffneten Mund; die Augen weit aufgerissen.

      »Woher hast du diese Aufnahme?! Es ist eine verdammt gute Aufnahme.«

      Doch dann stutzte sie.

      »Ach du Scheiße! Diese Aufnahme wurde in meinem Schlafzimmer gemacht. Wie ist so etwas möglich?«

      Chantal nahm die völlig Fassungslose in die Arme.

      »Selbst, wenn ich in China war - du hattest die ganze Zeit einen Schutzengel. Das warst du mir wert. Okay. Er hatte auch die Aufgabe, eine Aufnahme von dir zu machen. Ich wollte dich in meiner Nähe haben. Ist das schlimm?«

      Das war zu viel für die Ex-Managerin. Chantal konnte sie auffangen und auf das Bett gleiten lassen.

      Nein. Chantal hatte in diesem Moment kein schlechtes Gewissen. Sie hatte sogar ein bisschen mit dieser Szene gerechnet. Miranda ging es ähnlich, wir ihr damals, als Harald ihr den Schlüssel der Wohnung im 22. Stock in die Hände drückte. Diese Szene gehörte zu ihrem Drehbuch; war mit einkalkuliert.

      Wie in Trance legte sie sich neben die Ohnmächtige. Sie streichelte sanft über ihre Haare, über ihre Wangen, ihren Hals und noch sanfter über ihre Brüste.

      Erst nach vielen Minuten, Chantal ließ sich Zeit, öffnete Miranda langsam die Augen. Sie fühlte die sanften Berührungen – und schien es mit offenem Mund zu genießen.

      Doch plötzlich schnellte sie vom Bett hoch und schrie:

      »Du bist ein Biest! Du bist blemm blemm! Du hast einen schweren Hau weg!«

      Danach warf sie sich auf die noch Liegende, um sie zu küssen, und dazwischen fast atemlos zu jauchzen: »Ich liebe dich. Ich liebe dich. Verdammt! Ich liebe dich.«

      Chantal löste sich von ihr, sprang aus dem Bett und zog die Weinende und gleichzeitig Lachende hoch und führte sie nach draußen.

      »Komm. Ich muss dir noch etwas zeigen«, kicherte sie.

      Sie klang plötzlich wie ein kleines Mädchen.

      Mit einem Ruck öffnete sie die Tür des Badezimmers.

      Miranda schrie erneut:

      »Himmel hilf. Das ist mein Badezimmer. Da stimmt jede kleinste Kleinigkeit. Ich glaub‘, ich dreh‘ durch.«

      Spätestens an dieser Stelle verlor die Besucherin ihre Contenance.

      Begleitet von einem Weinkrampf sank sie auf die Knie und klammerte sich um Chantals Beine; wie an den Mast eines sinkenden Schiffes. Und spätestens an dieser Stelle machte sich Chantal Vorwürfe, es mit ihrem Drehbuch eine Spur übertrieben zu haben.

      Vorsichtig beugte sie sich zur fast hysterisch Weinenden hinunter.

      »Soll ich einen Arzt holen? Oder gehen wir zusammen in den Whirl-Pool«, sagte sie mit fester Stimme.

      In irgendeinem Psycho-Schmöker hatte sie gelesen, dass es in einer solchen Situation kontraproduktiv gewesen wäre, leise und bemitleidenswerte Töne anzuschlagen. Laute Worte. Hoffnung machen. Ein Ziel vor Augen projizieren, stand in diesem Schmöker.

      Fast schlagartig blickten die verweinten Augen zur Rettenden nach oben.

      »Oh ja. Ein Whirl-Pool wäre jetzt toll.«, lachte sie.

      Und während sie sich mit dem Handrücken die Tränen von der Wange strich, fügte sie hinzu: »Und ein Gin-Tonic.«

      Chantal half Miranda aus ihren Kleidern. Hierbei küsste sie die noch immer leicht Zitternde auf ihre kleinen Brüste und ihren Bauch.

      »Das riecht hier alles neu«, flüsterte die Besucherin mit geschlossenen Augen.

      »Ist es auch. Wurde erst vor vierzehn Tagen installiert. Das ist alles noch jungfräulich.«

      »Du scheinst es ja zu haben«, schmollte Miranda.

      »Stimmt. Im Moment wird es mir selbst ein wenig unheimlich.«

      Im Whirl-Pool setzte sich Chantal auf die Oberschenkel von Miranda und nahm sie in die Arme. Ihre flachen Bäuche und ihre Brüste berührten sich. So saßen sie lange; viele kleine Unendlichkeiten. Sie genossen die wohlige Wärme, die sanfte Nähe, das schwere Schlagen ihrer Herzen und das herrliche Blubbern des Wassers.

      Danach spazierten sie nackt durch den Garten.

      Es war ein sonniger und warmer Juni-Tag.

      Chantal lachte, als Miranda von einer Statue zur anderen ging, um sie zu streicheln.

      »Das ist einmalig hier. Warum lachst du?«

      »Weil ich hier am ersten Tag fast genau das Gleiche getan habe. Es war dunkel damals. Harald hatte das Flutlicht eingeschaltet und darüber gelacht, dass ich erpicht darauf war, jeder einzelnen Statue und Figur einen Kuss zu geben.«

      Miranda nahm ihre Freundin in die Arme.

      »Wir haben nie darüber sprechen können. Du besuchst sein Grab sicher sehr oft.«

      »Das brauche ich nicht.«

      »Nicht?! Aber du hast ihn doch geliebt. Sehr sogar, wie ich hörte.«

      »Weil ich ihn immer in meiner Nähe haben wollte. Du stehst genau vor ihm.«

      Miranda, die gerade vor einer großen und lachenden Buddha-Statue stand, blickte sich mit entsetzter Mine fragend um.

      Chantals Hand tastete sich an Miranda vorbei, um den Bauch des Buddhas zu streicheln.

      »Da drin ist seine Urne. Er ist immer bei mir. Vielleicht, wer weiß das