Für Dani, Marianne, Samuel, die mich mit ihrem Können grossartig unterstützen und damit wunderbares vollbringen.
1.
Ich sehe dem kleinen, runden Licht zu, wie es im Sekundentakt von einem Stockwerk zum nächsten wandert, nach oben auf die oberste Etage zurast und mich an mein Ziel bringt, während ich nervös meine Hände abwechselnd ineinander verschränke, um sie dann gleich wieder an meinem dunklen Kleid abzuwischen.
Allerdings ist es nicht das erste Mal, dass ich in diesem Lift stehe, aber damals fuhr ich nicht in den sechsundvierzigsten Stock, wo sich das Heiligtum von Mr. Meyer befindet und der mich in wenigen Minuten in seinem Büro erwartet.
Es ist noch nicht einmal eine Stunde her, seit mich seine Assistentin auf meinem Smartphone angerufen und mich hierher gebeten hat. Obwohl sie kein Wort darüber verloren hat, was ihr Boss mit mir besprechen möchte, habe ich einen ziemlich genauen Gedanken darüber, was dieses Treffen bedeuten soll. Schliesslich hatte ich schon vor wenigen Tagen in diesem Gebäude, einer der höchsten Wolkenkratzer Londons, ein Vorstellungsgespräch. Nur dass es dieses Mal ein Stockwerk weiter oben stattfindet, mit dem Gründer der Firma, der unter anderem Eigentümer dieses Hochhauses ist und der noch weitere Geschäfte und Immobilien besitzt. Was mich etwas beunruhigt. Warum möchte einer der namhaftesten Männer von ganz London seine Zeit für mich opfern?
Weiter komme ich in meiner Grübelei nicht, denn schon gleiten die Türen lautlos auseinander und ich trete in einen halbrunden, hellen Flur hinaus. Verunsichert sehe ich mich in diesem grossen Empfangssaal um, in dem es so sauber zu sein scheint, wie in einem Krankenhaus, aber keineswegs so kalt und kahl wirkt. Die Möbel aus wertvollem, rotbraunem Holz und die cremefarbigen Wände bilden einen wunderbaren Kontrast zueinander.
Eine Handvoll hohe, dunkle Türen gehen von diesem Raum ab, doch nur eine davon ist verschlossen. Jene, die sich am äussersten Rand des Halbkreises befindet und hinter der ich Mr. Meyer vermute.
Ausser einer älteren Dame, die hinter einer gebogenen Theke sitzt, sehe ich niemanden. Es herrscht eine angenehme Stille, die nur durch das Tippen auf eine Tastatur unterbrochen wird. Erst als sie ihren Kopf hebt und mich mit einem warmen Lächeln empfängt, fällt etwas von meiner Unsicherheit ab und gehe auf leisen Sohlen auf sie zu, um ja nicht diese angenehme Atmosphäre zu unterbrechen.
Die Frau am Empfang erhebt sich aus ihrem Stuhl und kommt hinter der Theke hervor. Sie ist makellos gekleidet und jedes einzelne ihrer Haare scheint an seinem rechtmässigen Ort zu sein. Ich fühle mich sofort wie eine kleine, graue Maus. Hätte ich mir vielleicht ein anschmiegsameres Kleid überziehen und meine wilden Haare zu einem Zopf flechten sollen? Vielleicht etwas Lidschatten und Kajal?
Als würde die Frau meinen skeptischen Blick richtig deuten, lächelt sie mich beruhigend an. „Sie müssen Miss Weber sein?“ Ihre Stimme klingt sanft, ja fast mütterlich. Ihr Englisch ist makellos. Anscheinend stammt sie aus dieser Gegend, wie mir ihr Akzent verrät.
„Ja genau.“ und strecke ihr zur Begrüssung meine Hand hin.
Sie lächelt mich höflich an. „Ich bin Rose Morgan. Mr. Meyers persönliche Assistentin.“ erwidert sie, als sie bemerkt, wie ich mit einem Seitenblick ihr Namensschild versuche zu entziffern.
„Dann haben wir vorhin miteinander gesprochen?“ frage ich sie unnötigerweise. Aber mir fällt im Moment keine passendere Konversation ein.
„Sie brauchen nicht nervös zu sein.“ Wieder ihr beruhigendes Lächeln.
„Das können Sie so einfach sagen. Schliesslich habe ich in wenigen Augenblicken einen Termin mit einem der mächtigsten Männer Londons.“
„Er ist auch nur ein Mensch. Nehmen Sie doch bitte einen Moment Platz.“ Mrs Morgan deutet auf eine Reihe dunkler Sessel an der gegenüberliegenden Wand. „Ich werde ihm mitteilen, dass Sie da sind.“ Ich wende mich den Sitzmöbeln zu und lasse mich in die weichen Polster fallen, während Mr. Meyers Assistentin an die verschlossene Tür klopft, um gleich darauf dahinter zu verschwinden.
Ich lege meine Handtasche und meine schwarze leichte Jacke, die ich soeben ausgezogen habe, auf die Beine und bearbeite mit fahrigen Fingern meine Nägel, um mich vor der nicht zu verstreichen wollenden Zeit abzulenken, die ich alleine in diesem Raum verbringe.
Schon nach wenigen Sekunden steht Mrs Morgan wieder hinter ihrer Theke und blickt mich auffordernd an. „Er empfängt Sie nun.“
Ich nehme meine Sachen und folge ihr durch die Tür, die nun nicht mehr verschlossen ist.
„Wollen Sie etwas zu trinken? Ein Kaffee? Wasser?“ fragt mich die Assistentin, bevor sie sich an den Mann hinter dem robusten Tisch wendet.
„Nein danke.“ flüstere ich beinahe.
„Damian, kann ich dir etwas bringen?“
Mir bleibt beinahe der Mund offen stehen, als sie ihn mit seinem Vornamen anspricht und dazu noch duzt.
„Ein Glas Wasser.“ erwidert er mit einer festen, tiefen und enormen sexy Stimme, die all meine Nackenhaare aufrichten lässt.
Unumwunden starrt er mich an, während er sich entspannt aus seinem Stuhl erhebt. Ich kann meinen Blick ebenfalls nicht von ihm abwenden, als er sich zu seiner ganzen Grösse erhebt. Er überragt mich um mindestens zwanzig Zentimeter. Ich werde gezwungen meinen Kopf in den Nacken zu legen, um weiterhin in seine Augen sehen zu können, die wie zwei kleine, braune Magnete sind, die einen fesseln wie ein unsichtbares Band.
„Miss Weber“ Er umrundet den grossen Tisch und streckt mir seine Hand zur Begrüssung entgegen. „Danke, dass Sie sich so kurzfristig Zeit für mich nehmen konnten.“
„Kein Problem.“ ist das Erste, was ich herausbringe, lege meine Hand in seine und hoffe, dass er das Zittern nicht bemerkt, das mein Körper erfasst hat.
Er strahlt eine natürliche Autorität aus und besitzt eine unglaubliche Selbstsicherheit, welche mir selbst in diesem Augenblick verloren gegangen zu sein scheint.
„Setzen Sie sich doch bitte.“ Er deutet auf den Stuhl neben mir, als er auf die andere Seite des Tisches zurückgeht.
Wie jemand der von etwas völlig in den Bann gezogen wurde, sehe ich ihm nach, wie er sich um das Möbelstück herumbewegt und wieder auf seinem Stuhl Platz nimmt.
Er sieht viel besser aus, als auf den Fotos, die ich von ihm gesehen habe. Sein olivgrünes Hemd und seine schwarze Flanellhose umschmeicheln seinen Körper wie eine zweite Haut, wodurch mir sein breiter, muskulöser Oberkörper und seine festen Beine nicht verborgen bleiben.
Ach du meine Güte, wo wandern nur meine Gedanken hin? Schockiert darüber sehe ich verlegen zu Boden und grabe meine Hände in die Jacke.
„Haben Sie gut hergefunden?“
„J...ja, ich....war ja schon mal hier.“ stottere ich herum. Hör auf, dich wie ein kleines Schulmädchen zu benehmen. Reiss dich zusammen. Herrgott nochmal! Tadle ich mich im Stillen.
„Natürlich. Bei Mr. Baker. Wie fanden Sie das Gespräch?“
„Ziemlich interessant und aufschlussreich.“
„Mein Buchhalter meinte, dass Sie zu qualifiziert seien für diesen Job. Was halten Sie von dieser Aussage?“
„Zu qualifiziert?“ frage ich zurück, statt ihm eine Antwort zu geben.
„Schliesslich waren Sie die Chefin der Buchhaltung in einem grossen Schweizerkonzern. Wir bieten Ihnen nur eine einfache Anstellung in der Kreditabteilung. Lange nicht so anspruchsvoll, wie Ihr letzter Job es war. Was gedenken Sie hier zu erreichen? Sie haben eine angesehene Stelle aufgegeben, um nach London zu kommen. Warum?“
Ich weiss nicht, was er mit seinen Fragen beabsichtigt, aber sie werden mir allmählich etwas unangenehm und unter seinem durchdringenden Blick zu persönlich. „Ich brauche einen Tapetenwechsel.“ höre ich mich sagen, bevor