Isabella Kubinger

Raunen dunkler Seelen


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Doch niemand meiner müden Begleiter schien das geheimnisvolle Flüstern vernommen zu haben. Tagträume. Ich war erschöpft und mein Geist spielte mir schon Spielchen vor. Genervt schüttelte ich meinen Kopf.

      Schnell. Es bleibt keine Zeit. Vertraue und verlass den Weg.

      Die Dringlichkeit in dem Flüstern hatte drastisch zugenommen und ohne, dass ich für mich selbst entscheiden konnte, ob ich der verrückten Stimme in meinem Kopf vertrauen möchte, hatte mein Körper das Steuer übernommen und riss kräftig an den Zügeln. Ich führte mein Pferd mitten in das nächste Gebüsch. Verdammt. Das würde mehr als ungemütlich werden.

      „Suna? Was machst du?“

      Tamo und Lorca hatten angehalten und sahen mich mit fragenden Augen an. Wie sollte ich ihnen das nur erklären? ‚Eine geheimnisvolle Stimme hatte in meinem Kopf zu mir gesprochen und als ich nicht tat, was sie wollte, begann sie Herr über meinen Körper zu werden.‘ Ganz klar, sie würden mich für zu erschöpft halten und ab nun Ellion reiten lassen. Doch ich spürte ganz genau, dass etwas Wahres daran war. Alles in mir zog sich schmerzhaft zusammen. Ich konnte beinahe fühlen, wie sich mein mageres Frühstück seinen Weg nach oben herausbahnte. Irgendetwas näherte sich uns. Irgendetwas, dem nichts an unserem Wohlbefinden lag.

      „Ich weiß es nicht. Aber bitte vertraut mir, wir müssen von diesem verdammten Weg herunter. Ich kann es euch nicht erklären, aber ich weiß es einfach.“

      Bettelnd sah ich sie an. Irgendetwas stimmte nicht, ob nun mit mir oder diesem verwachsenen Pfad war nun auch schon egal. Lange würde ich so nicht mehr durchhalten. Jede Faser, jeder Muskel verkrampfte. Ich hatte Schmerzen in Körperarealen, von denen ich noch nicht mal wusste, dass man dort derartige Schmerzen verspüren konnte. Langsam begann sich nun auch meine Sicht zu verschlechtern. Schwarze Punkte sirrten vor meinen Augen und ließen alles aufs Unkenntliche verschwimmen.

      „Suna? Geht es dir gut?“

      Ohne zu antworten, übernahm die merkwürdige Stimme wieder meinen gesamten Körper und lotste das Pferd weiter in die dichten Büsche hinein. Ich selbst spürte nicht, wie mich die spitzen Dornen aufschnitten, ich konnte es nur an Ellions Gejammer und Geklage heraushören. Warum er bisher noch nicht abgesprungen war, war mir ein Rätsel. Vielleicht aber wollte er mich auch einfach nicht allein lassen. Mit einer derartigen Verwirrung würde ich mir auch um die geistige Gesundheit des betroffenen Mitmenschen Sorgen machen.

      „Folgt ihr. Sie sagt die Wahrheit. Wenn wir uns nicht beeilen, war alles umsonst.“

      Es war kaum mehr als ein leises Krächzen. Als würde ein Toter nach Jahren wieder zu sprechen beginnen. Als würde man eine eingerostete Maschine, ohne sie vorher zu ölen, zum Laufen bringen. Wie eine verstimmte Geige. Und trotzdem schwang so viel Ernsthaftigkeit in Reenas Worten mit, dass man ihr nur Glauben schenken konnte. Die Autorität einer wahren Prinzessin. Ich war mir sicher, Reena wäre eine gute Königin geworden.

      „Na gut, dann machen wir eben einen kurzen Abstecher ins Dornengebüsch“, meinte Onkel Tamo nun wenig überzeugt. Doch allein der Gedanke, dass meine ausgemagerte Schwester genau jetzt wieder aus ihrer Ohnmacht aufwachte, war schon Zeichen genug.

      Als hätte das geheimnisvolle Flüstern unsere etwas unfreiwillige Entscheidung gutgeheißen, ließen meine schmerzhaften Krämpfe nach. Ellion und ich waren nun schon weit in das stachelige Dornengebüsch vorgedrungen, als wir endlich auf eine kleine Lichtung trafen, die sich perfekt für drei Pferde und sechs Reiter eignen würde. Zufall? Ich denke nicht.

      Schimpfend sprang mein Begleiter von unserem Pferd. Ellion sah aus, als wäre er in einen mannshohen Dornenbusch hineingefallen. Doch ich würde genauso aussehen. Zerkratzt und die staubige Kleidung zerrissen und mit etlichen neuen Löchern bestückt. Mein gesamter Körper juckte von den kleinen Schnitten. Auch die anderen kamen murrend zu uns dazu und sahen nicht wirklich begeistert von unserem kleinen Ausflug aus. Nur Reenas leuchtende Augen ließen mich in dieser Situation lächeln. Egal was es war, dass uns hier hergebracht hatte, es hatte meine Schwester wieder aufgeweckt. Nicht nur das, sie sah besser aus, gesünder. Als würde ein Schönheitsschlaf wirklich Wunder bewirken.

      Onkel Tamo hob sie vorsichtiger als eine wertvolle zerbrechliche Vase zu Boden und stützte sie noch, aus Angst, sie könnte in sich zusammenbrechen. Ich fühlte wie eine schwere Last, ein tonnenschwerer Stein, von meinem Rücken fiel, als ich sie in meine Arme schloss. Auch sie drückte mich ganz fest an sich, als würde sie sicherstellen wollen, dass ich nicht bloß ein schöner Traum wäre. Eine einfache Illusion. Eine Fata Morgana.

      „Du hast sie auch gehört, oder?“

      Es war kaum mehr ein Flüstern. Ich war mir anfangs gar nicht sicher, ob ich mir das nur eingebildet hatte. Reena drückte mich sanft von sich und sah mich aus hoffnungsvollen Augen an. Sie wollte nicht allein sein. Nicht allein mit etwas derartig Merkwürdigen. Und doch fühlte sich die geheimnisvolle Stimme wie ein fester Teil von mir an. Ich brachte kaum ein vernünftiges Nicken zusammen, doch Reena hatte es gesehen. Zufrieden schloss sie mich wieder in ihre zierlichen Arme. Bis vor ein paar Sekunden war mir nicht bewusst gewesen, wie sehr ich eine liebevolle Umarmung gebraucht hatte. Jemanden, der mich sogar ohne Worte verstand.

      Wie aus dem Nichts erklang nun das laute Getrampel von einer Hand voll Pferden. Es hätte mich nicht überraschen sollen, schließlich hatte uns das magische Flüstern vorgewarnt. Und doch richteten sich nach und nach die winzigen Härchen auf meinen Armen auf. Was wäre wohl gewesen, hätten Onkel Tamo und Lorca länger gezögert? Oder Reena wäre nie aufgewacht und hätte mich nicht in meiner wirren Aussage unterstützt? Hoffentlich ließen sich unsere frischen Spuren nicht durch das stachelige Dornengebüsch erkennen. Hier, auf dieser winzigen Lichtung, umgeben vom schmerzlich spitzen Stacheln, würden wir komplett in der Falle sitzen. In einer selbsterkorenen Falle.

      Das laute Aufschlagen der Hufe wurde nun durch eine unruhige Diskussion abgelöst. Unsere tödlichen Verfolger suchten verzweifelt nach unserer richtigen Fährte. Doch wie es aussah, wollte es ihnen einfach nicht gelingen. Unser Glück. Gereizte Befehle folgten. Es handelte sich eindeutig um aroniesische Soldaten. Wenn ich mich nicht täuschte, dürfte es sogar König Kans Spezialeinheit sein. Tödlicher, als die meisten lichten Kriegereinheiten. Nur war niemand derartig daran gewöhnt, mit den schützenden Schatten in jeder Umgebung zu verschmelzen, als morodekische Bewohner.

      Jedes daumenlutschende Kleinkind in Morodek beherrschte das lebensrettende Spiel, sich zu verstecken und eins mit dem Schatten zu werden. Mit seiner Umgebung zu verschmelzen. Außerhalb von der abgesicherten Hauptstadt der Unterwelt lagen viele unheilvolle Wälder und abgelegene Dörfer, die regelmäßig von verkrüppelten, hungrigen Albträumen aufgesucht werden. Wer es dort überlebt, hat überall eine größere Chance nicht frühzeitig ermordet zu werden.

      Ich hatte nicht mitbekommen, dass ich die ganze Zeit über die Luft angehalten hatte. Erst als die verärgerten Stimmen der verfeindeten Soldaten leiser und nur mehr von sanftem Wind zu uns getragen wurden, stieß ich den angehaltenen Atem aus meinen Lungen heraus.

      „Gut. Das wäre geschafft. Trotzdem sollten wir uns nicht ewig hier aufhalten. Kümmert euch um die frischen Kratzer, esst etwas und dann brechen wir wieder auf. Ich möchte heute Nacht hinabsteigen. Wenn es weiterhin bewölkt bleibt, können uns weder Sterne noch Mond verraten“, erklang der neue Befehl von Tamo.

      Vorfreude regte sich in meiner leeren Magengrube. Zuhause. Endlich wieder ein Ort, wo ich mich wohl fühlen würde. Wo ich nicht hinter jedem krummen Baum einen bewaffneten Feind erwartete, der meiner Familie gefährlich werden könnte. Gespannt lauschten wir den angenehmen Geräuschen des Waldes. Alles schien so friedlich. Selbst die kleinsten Tierchen wagten sich wieder aus ihren Verstecken und reckten ihre schnuppernden Nasen zum dichten Laubdach.

      Ich riss mir einen dünnen Fetzen von meinem ausgewaschenen Hemd herunter und gab etwas lauwarmes Wasser aus meinem ledernen Wasserschlauch darauf. Unbeeindruckt reinigte ich die oberflächlichen Kratzer an Armen, Beinen und Gesicht. Meine Schwester war dabei weniger gelassen. Sie zuckte, wie ein an Land liegender Fisch, während sich Onkel Tamo um ihre zarte Haut kümmerte. Aus dem Augenwinkel sah ich wie sich Ellion zusammenreißen musste, nicht zu lachen, während Lorca ihn finster musterte. Da hatte sich wohl jemand zu ihrem