Isabella Kubinger

Raunen dunkler Seelen


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einer lichten Prinzessin vorstellen. Und nicht nur mit irgendeiner, sondern meiner Drillingsschwester. Doch auch jetzt sah ich weiterhin das wunderschöne Funkeln in seinen wässrig blauen Augen, wenn er Reena ansah, welches mir vor Wochen schon aufgefallen war, wenn er über sie sprach.

      Hoffentlich empfand sie dasselbe für ihn. Es würde mir das Herz zerreißen, seine gebrochenen Blicke immerzu zu sehen, falls seine Liebe nicht geteilt werden würde.

      1. Kapitel

      Malik

      Platsch.

      Genervt fuhr ich mir mit der kalten Hand übers Gesicht. Musste das sein? Ich wollte doch nur schlafen und nicht mit der unerträglichen Realität konfrontiert werden, in der ich wie ein hilfloses, dummes Hündchen an der viel zu kurzen Leine geführt wurde.

      Platsch.

      Energischer als zuvor zuckte mein steifer Körper von der kühlen Berührung des Wassertropfens. Musste genau über der Stelle, wo ich mich schlafen gelegt hatte, Wasser von der Decke tropfen? Mit geschlossenen Augen drehte ich meinen unbeweglichen Körper in eine angenehmere Position. Doch nichts half. Weiterhin tropfte es gemächlich auf mich herab, der harte Boden war feucht und uneben und die frostige Kälte zog sich trügerisch ihren Weg durch meinen Körper.

      Irgendetwas war hier vollkommen falsch. Eigentlich sollte ich mich in einem luxuriösen Zimmer, welches inoffiziell als meine gemütliche Gefängniszelle galt, befinden. Auch Aaron und Halvar sollten sich mit mir dort aufhalten.

      Hatten sie uns über Nacht in echte Kerkerzellen umquartiert? Hatten sich Kiral Theron und Jeb neue Maßnahmen für ihre Gefangenen überlegt? Nein. Das hätte ich mitbekommen. Plötzlich schossen mir die Erinnerungen an die wenigen Stunden vor meinem Wegnicken wieder ein.

      Ein fremder Soldat, welcher sich als Corvin vorgestellt hatte, war mit seinen bewaffneten Leuten gekommen, um mich und meine Freunde zu befreien. Wir waren in das unterirdische Abwassersystem geklettert. Von hier aus sollten wir unbemerkt aus der Hauptstadt der Glasscherben Ebene gelangen.

      Endlich machten sowohl Gestank als auch Wassertropfen einen Sinn. Seufzend rieb ich mir über die müden Augen. Wirklich erholsam konnte ich diese Nacht nicht bezeichnen. Nach und nach gewöhnten sich meine brennenden Augen an die schwarze Finsternis. Ich erkannte meine beiden Freunde, wie sie halb aufeinander lagen und schliefen. Beide schnarchten leise im Chor. Ihr verkrüppelter Anblick ließ mich schmunzeln. Zumindest waren mir diese beiden Spezialisten geblieben.

      Forschend ließ ich meinen Blick weiterschweifen. Keiner von Corvins Soldaten schlief. Sie alle starrten nur finster vor sich her. Nur Corvin selbst schien sich auf seine Aufgabe, welche das auch immer war, zu konzentrieren. Mit zurückgezogenen Schultern stand er an der kalten Mauer und sah fokussiert auf ein zerknülltes Blatt Papier. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Art Stadtplan. Immer wieder drehte er den Plan in verschiedene Richtungen. Als würden sich dadurch seine Probleme erklären lassen.

      Als hätte Corvin meinen aufmerksamen Blick gespürt, sah er mich aus funkelnden Augen an. Ich fühlte mich wie ein offenes Buch. Der fremde Soldat schien kaum älter als ich zu sein und doch strahlte er ein übermächtiges Wissen und Erfahrung aus. Jemanden wie ihn wollte man nicht zu seinen Feinden zählen.

      Gedankenverloren wandte ich mich wieder der stinkenden Finsternis zu. Lange würden wir wohl nicht mehr hier unten im Dreck warten. Hoffte ich zumindest. Ich wollte nur mehr aus dieser verdammten Stadt heraus. Weit weg von diesem jungen Herrscher und diesem verdammten Lügner Jeb. Allein ein winziger Gedanke an ihn brachte die aufgestaute Enttäuschung in mir zum Brennen.

      Wie konnte ich mich nur so derartig in einem Menschen irren? War ich derartig blind vor Liebe gewesen? Nur würden mir die ganzen Selbstzweifel nun auch nicht weiterhelfen. Ich musste mich auf meine Aufgaben konzentrieren. Zuerst herausfinden, wo sich Reena derzeit aufhielt und sie dann aus den tödlichen Fängen der Piraten holen. Dann würde ich ihr so schonend wie möglich den Tod ihrer besten Freundin beibringen müssen, wie auch den jahrelangen Verrat von Jeb. Wenn das erledigt wäre, müssten wir irgendwie unsere verschollene Mutter befreien und dann, zu guter Letzt, wäre da noch dieser aufkommende Krieg, für den sich alle mir bekannten Königreiche aufrüsteten.

      Räuspernd setzte sich Corvin neben mich auf den nassen Steinboden. Trotz seiner eisigen Distanziertheit strahlte der Krieger eine beruhigende Gelassenheit aus, die sich sanft um mein inneres nervöses Chaos legte. Verwundert musterte ich sein in die schwarze Dunkelheit gerichtetes Gesicht.

      „Glaubt mir, ich verstehe eure Sorgen“, raunte er. Wollte er gerade wirklich den Einfühlsamen spielen? Ich brauchte sein Mitleid nicht.

      „Ach ja?“ Meine zischende Stimme war unbeabsichtigt aggressiv. Doch Corvin überging meine gefühlbetonte Frage mit einem einfachen Achselzucken.

      „Meine gesamte Familie, jede einzelne Person, die mir am Herzen liegt, befindet sich gerade auf der gefährlichen Mission, deine zauberhafte Schwester zu retten. Also wag es ja nicht, mir zu unterstellen, ich wüsste nicht was es heißt, nichts tun zu können.“ Seine Geduld mit mir war im Wanken. Ich konnte es so deutlich spüren, wie das unangenehme Kribbeln um mein pochendes Herz.

      „Das wusste ich nicht“, gestand ich etwas beschämt. Ich hatte keine Ahnung, was er sich von mir erwartete. Informationen? Hilfe?

      „Woher denn auch? Ihr seid nur ein Prinz aus einem der lichten Königreiche, der sich seit Wochen auf der Flucht vor seinem eigenen Land befindet, weil er einen der gefährlichsten Männer unserer Zeit befreit hat. Ihr wisst einen Dreck, was außerhalb eures geliebten Königreiches passiert“, fuhr er mich an.

      Als hätte sich mit einem falschen Wort die ganze Lage verändert. Wütend und frustriert sah ich ihn nun direkt an. „Nun, wenn ich so unwissend bin, wie du mich gerade darstellst, dann klär mich doch auf, allwissender Retter meiner Wenigkeit.“ Das mir nun schon so vertraute Knistern kehrte zurück in meine Adern. Es gab mir Kraft, verlieh mir äußerste Konzentration auf alles in meinem nahen Umfeld. Doch nun wusste ich es auch schon zu kontrollieren. Die Magie wartete auf meinen Befehl. Dieses Mal würde ich Corvin nicht grillen. Vorher würde er mir noch einiges erklären müssen.

      „Kurz nachdem ich auf meine Mission in die Glasscherben Ebene beordert wurde, kam die Nachricht in unsere Kommandozentrale, dass Prinzessin Reena von den Piraten geschnappt wurde. Doch erst als herauskam, wo sie hingebracht wurde und ein Befreiungsplan ausgetüftelt war, wurde mir einer unserer schnellsten Boten hinterhergeschickt. Er sollte mich nicht nur über die schrecklichen Neuigkeiten informieren und mich noch vor Grenzschließung nach Morodek zurückholen, sondern auch benachrichtigen, wenn etwas schiefginge und mein Onkel oder meine Geschwister nicht mehr zurückkämen, und ich somit übergangsweise zum obersten Fürsten der Unterwelt erhoben werden würde. Euch zu befreien war ein spontanes Vorhaben, das uns die schon äußerst schwierige Ausreise noch um einiges verschlimmert hatte. Also tut mir den Gefallen, und seid etwas weniger der unausstehliche, arrogante Prinz, den Ihr mir gerade so gut vorspielt.“

      Es schwang kein bisschen Bedauern in seiner Stimme mit und doch fühlte ich mich ein kleines bisschen schuldig. Corvin hatte mich trotz hohem Risiko befreit. Obwohl er mich und meine Freunde weder kannte noch eine großartige Bezahlung erwarten konnte. Und doch verstand ich kein bisschen, warum er mir nun seine gesamte Lebensgeschichte erzählte.

      „Warum erzählst du mir das alles?“

      Schnaubend drehte er sich mir wieder zu und grinste mich an. „Um das zu verstehen, müsste ich dir einiges mehr erzählen, wofür wir derzeit definitiv keine Zeit haben. Aber eines kann ich dir sagen, wenn mein Onkel, oberster Fürst von Morodek, persönlich an der Rettung deiner Zwillingsschwester interessiert ist, muss es einen sehr guten Grund haben. Da kann es nicht schaden, auch ihren königlichen Bruder zu retten. Hoffentlich liege ich mit meiner Einschätzung nicht allzu falsch und in dir steckt mehr als ich derzeit in dir sehe.“

      Autsch. Das hatte gesessen. Der Typ sprach nicht nur in Rätseln, sondern war selbst eines. Na wunderbar. Doch ich kam nicht dazu, mich darüber zu ärgern. Schwungvoll hob er sich vom kalten Boden ab und richtete sich an unsere kleine Versammlung.

      „Wir