Isabella Kubinger

Raunen dunkler Seelen


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Krieger seinen Verlust an. Gemeinsam sprangen wir über die leblos zusammengesackten Körper seiner Männer. Ihr frisches Blut klebte unter unseren ledernen Fußsohlen. Für sie war es bereits zu spät. Das beständige Knistern, das ich in jeder lebenden Person spürte, hatte sie bereits verlassen. Diese Erkenntnis wog schwer. Ich konnte mir nicht erklären, warum ich das so genau wusste. Ein gut versteckter Teil in mir brachte mich lediglich dazu, es zu glauben und zu akzeptieren.

      Endlich schossen Corvin und ich gemeinsam um die nächste rostbraune Häusermauer in eine unmenschlich enge Gasse und rannte einfach, ohne zu wissen wohin, weiter. An ihrem Ende stießen wir dann auf Aaron, Halvar, Eleonora und Yann. Die Einzigen, die Jebs versteckten Angriff überlebt hatten. Zu viele mussten wegen dieser verdammten Rettungsaktion ihr Leben lassen und ich kannte diese Leute nicht einmal. Sie waren mir nie etwas schuldig gewesen und doch starben sie nun, weil ich leben sollte. Frust breitete sich in mir aus. Ich würde keinen einzigen der Überlebenden noch blutend zurücklassen. Egal, was es kosten würde.

      „Wir müssen hier raus. Jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt, um in euer verstecktes Land zu kommen“, richtete ich schnaufend meine Stimme an die drei morodekischen Soldaten.

      „Folgt mir.“ Schon flitzte Eleonora in unglaublicher Geschwindigkeit die schützenden Häusermauern entlang. Mühsam versuchte ich, mit Corvin an mich gestützt, der jungen Kriegerin nachzulaufen. Die oberflächliche Schusswunde machte ihm mehr zu schaffen, als man erwarten würde. Wenn mich nicht alles täuschte, war die tödliche Kugel vorher in Gift getunkt worden. Heiße Schweißperlen kullerten mir die Stirn und den Rücken hinunter. Unser kleines Rennen um Leben und Tod stellte sich als kräfteraubender heraus, als ich in dem stinkenden Abwasserkanal angenommen hatte.

      Hinter mir vernahm ich getrost das angestrengte Schnaufen meiner beiden Freunde. Wären sie unter Jebs Befehl gefallen, hätte ich mich noch in dieser Nacht auf einen todessicheren Vergeltungstrip begeben.

      Vor uns endete die gepflasterte Gasse in unregelmäßig angereihten Stufen. Des Öfteren hätte Corvin uns beide beinahe gemeinsam mit den Köpfen voraus nach unten geschickt. Nur mit Mühe hielten uns Aarons kräftige Hände von einem derartig fatalen Sturz ab. Meter für Meter eilten wir zwischen den still liegenden Häusern hindurch. Immer wieder erblickte ich unheilvolle schwarze Silhouetten auf den umliegenden Häuserdächern. Ihre bösartig glitzernden Augen brannten sich auf meine Kopfhaut. Doch kein einziger weiterer Schuss fiel. Es fühlte sich an, als würden wir exakt dorthin fliehen, wo Jeb uns haben wollte. Je weiter wir kamen, desto stärker verbreitete sich dieses ungute Gefühl in meiner Magenenge.

      „Mir gefällt das gar nicht. Sie beobachten uns bloß, als hätten sie weiterhin die Fäden in der Hand“, sprach ich meine Sorgen laut aus.

      „Da könntest du auch sehr gut recht behalten. In Calor geschieht nichts, was nicht in Kiral Therons Sinne ist. Es ist nun an uns, sie das bis zum Schluss glauben zu lassen und im letzten Moment unauffindbar von der Bildfläche zu verschwinden.“ Trotz der quälenden Schmerzen konnte sich Corvin ein verschmitztes Lächeln abringen. Der Mann wusste, was er tat. Hoffentlich auch seine verbliebenen Männer, denn er schien immer mehr sein Bewusstsein zu verlieren.

      Endlich nahmen die schrägen Stufen ein Ende und der Weg öffnete sich wieder in einer breiteren Gasse. Obwohl ich keinen blassen Schimmer von dem irrgartenähnlichen Aufbau der mächtigen mysteriösen Hauptstadt hatte, konnte ich nun doch erahnen, dass wir uns nun in den äußeren Teilen aufhielten. Die Häuser verloren an Höhe und ermöglichten eine bessere Sicht auf den sternenklaren Nachthimmel, der immer mehr von der aufgehenden Sonne vertrieben wurde. Erste orange-rote Striemen hießen den neu geborenen Tag willkommen. Lange würde es nicht mehr dauern, bis auch die ersten nichtsahnenden Einwohner der Glasscherben Ebene erwachen würden. Uns lief die Zeit davon.

      Zu sechst sprinteten wir durch die noch leeren Straßen von Calor. Stets begleitet und beobachtet von den kampfbereiten Männern auf den roten Ziegeldächern. Sie waren wie unheimliche Geister und doch so viel mehr. Nur eine einzige Bewegung und die metallischen Röhren würden wieder einen tödlichen Schuss abfeuern. Mir war mehr als bewusst, dass wir wie perfekte Zielscheiben umherliefen.

      „Schnell. Da!“ Noch während Eleonora rannte, schoss ihr in Leder gehüllter Arm zur Seite und zeigte uns die besagte Richtung an. Ohne anzuhalten, stürmten wir nach rechts durch eine enge Öffnung in der Mauer. Nur mit Aarons Hilfe hoben wir Corvin, der nun komplett das Bewusstsein verloren hatte, durch das zerstörte Mauerwerk. Jeweils eine Seite stützend, trugen wir den schlaffen Körper weiter.

      Die junge Kriegerin hielt uns mit gehetztem Blick die hölzerne Tür auf, die uns wieder auf einer engen Seitengasse ausspuckte. Damit hatten wir etwas Zeit erkauft. Hoffentlich genug, um den geheimen Eingang zu der mir unbekannten Welt zu erreichen. Deutlich langsamer als zuvor eilten wir unserer letzten Hoffnung entgegen. Doch selbst mir war klar, wie unwahrscheinlich es war, dass wir dieses Spiel gewinnen würden. Wenn es der Wahrheit entsprach, was Corvin in unserem luxuriösen Gefängnis über Jeb gemeint hatte, standen unsere Chancen bei null oder noch weniger. Einem der gefährlichsten Männer der Lichten Welt, dem persönlich auserwählten Wächter des Kirals, war man nun mal unterlegen. Noch dazu in seiner Heimatstadt.

      Wir bogen um die nächste Ecke, als wir abrupt zum Stehenbleiben gezwungen wurden. Vier tiefschwarze Löcher der gefährlichen Schusswaffen waren auf uns gerichtet. Eine winzige Bewegung und jemand würde mit dem Leben bezahlen. Schon wieder. Ich blickte direkt in die rehbraunen Augen von Jeb. Er hatte seine beschützenden Mauern um seine Gefühle wieder aufgebaut. Nur eine unbesiegbare Entschlossenheit war aus seiner geraden Haltung herauszulesen. Unbändige Wut brach in mir aus. Ich konnte den Wall an Gefühlen nicht mehr zurückhalten.

      „Worauf wartest du? Bring es zu Ende.“ Verbittert biss ich mir auf die rauen Lippen. Seinen Richter herauszufordern, war vielleicht nicht die beste Taktik. Ich wollte nicht, dass meine Freunde leiden müssen.

      Jeb trat aus der geschützten Reihe seiner angriffsbereiten Männer und stellte sich so nahe vor mich hin, dass unsere Gesichter nur Millimeter voneinander entfernt waren. Ich konnte seinen heißen Atem auf meinen zusammengepressten Lippen spüren. Was wollte er? Wollte er sich noch mehr an meinen naiven Gefühlen ergötzen? Meine knisternden Nervenenden waren bis zum Zerreißen gespannt. Mein menschlicher Körper stand unter magischen Strom, welcher auf sein Opfer entladen werden wollte.

      „Tu es! Lass uns brennen“, flüsterte Jeb. Verwirrt sah ich ihn an.

      „Tu es. Du weißt was ich meine!“ Es war mehr als ein Befehl. In seinen Augen glitzerten Verzweiflung und Hass. Doch warum nur? Warum ließ er uns gehen?

      Unsichtbare Verbindungen wurden hergestellt und ich ließ die unfassbare Energie auf unsere Gegner umleiten. Schreiend fielen sie zu Boden, zuckten wie an Land gespülte Fische. Es dauerte nicht lange und sie lagen leblos neben ihren tödlichen Schusswaffen. Nur Jeb stand noch vor mir. Weder er noch ich ließen den jeweils anderen aus den Augen.

      „Geht! Euch bleibt nicht viel Zeit.“ Noch während der ehemalige Stallbursche zu uns sprach, wandte er sich zum Gehen ab. Halvar brachte ein erstauntes Raunen heraus. Der Rest stand sprachlos neben mir.

      „Was ist mit dir?“ Ohne zu denken waren diese Worte aus meinem Mund geplatzt. Ich hatte keine Ahnung, was ich damit bezwecken wollte. Doch ein Teil von mir, wollte ihn immer noch beschützen.

      „Irgendjemand muss euch noch etwas Zeit verschaffen.“

      Eine einfache Feststellung, und doch würde dieses Vorhaben schwerwiegende Auswirkungen auf sein Leben haben. Für mich stand die Entscheidung fest.

      „Wir schaffen das schon!“ Verwundert drehte Jeb sich zu mir um. Erneut ließ ich meine knisternde Energie auf einen anderen Körper überspringen. Nur war ich dieses Mal weitaus vorsichtiger. Es war Detailarbeit, die volle Konzentration erforderte. Sein sterblicher Körper sollte nicht unmenschlich verstümmelt werden. Ohne einen Laut von sich zu geben, brach er in sich zusammen. Das sanfte Heben seiner Brust war das einzige Zeichen von Leben.

      „Warum hast du das getan?“, drang die empörte Stimme von Yann an mein Ohr. Es war mir egal.

      „Los, weiter!“

      Eleonora