Isabella Kubinger

Raunen dunkler Seelen


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Körper aus. Lähmte mich. Nur die herzzerreißende Erinnerung an Ragnars Tod ließ mich klar und deutlich denken. Wie von der grellen Sonne geblendet, kniff ich meine Augenlider so fest zu, wie es nur möglich war. Ich konzentrierte mich nur mehr auf eines. Keine neuen Verluste.

      Lass es einfach zu. Gib ihr Raum zum Atmen. Deine Sinne werden folgen.

      Als würde mein Geist, meine Seele, mir zustimmen, begann alles in mir und um mich zu vibrieren. Farben begannen zu leuchten, Pflanzen sich zu verformen, der weiche Untergrund sich aufzulösen und die Luft um uns verdichtete sich zu einem tödlichen Nebel. Es war, als wüsste mein Verstand, was zu tun war. Ich traute mich nicht, die Augen zu öffnen. So nahm ich nur das schmerzerfüllte Geschrei wahr.

      Erst als der letzte qualvolle Laut erstickt war, begann ich vorsichtig meine Augen zu öffnen. Was sich mir nun offenbarte, ließ mich meinen Atem anhalten. Alles, was sich mein Kopf noch wenige Sekunden vorher ausgemalt hatte, Farben, Formen, verblasste langsam. Die schwarz gekleideten Gul lagen verrenkt am Boden. Ihre grausigen Masken waren teilweise zur Seite gerückt und gaben einen Einblick auf die schäumenden Münder und rot geäderten Augen. Vergiftet.

      Tamo, Lorca und Ellion sahen geschockt auf die leblosen Körper unserer Feinde, während mich Suna nur nachdenklich musterte. Natürlich war mir irgendwie bewusst gewesen, dass ich dieses grausame Schauspiel verursacht hatte, dennoch konnte ich es nicht wirklich glauben. Ich war keine Mörderin. Doch war es nicht genau das, was ich wollte? Ich wollte helfen. Meine Familie beschützen.

      „Krass“, kam es plötzlich aus Ellions Mund. Seine aufgeplatzten Lippen formten ein verschmitztes Lächeln als er mir anerkennend zunickte.

      „Tja, dann wäre das wohl auch erledigt“, sprach Suna so sachlich wie möglich in die Runde, doch ihre Augen sprachen eine andere Sprache. Mitgefühl. Sie wusste, wie ich mich jetzt gerade fühlte.

      Die Leere war kaum aushaltbar. Es fühlte sich an, als hätte diese magische Illusion alle Gefühle aus meinem lebenden Körper herausgesaugt und ließ nun einen füllbaren Raum für Neues über. Als wäre ich ein ausgetrocknetes Stück Erde, das nur darauf warten würde, dass die harte Trockenzeit ein Ende nahm und endlich wieder lebenspendende Wassertropfen mein Angesicht küssen würden.

      Suna kam in schnellen Schritten an meine Seite und legte tröstend ihre warme Hand auf meine angespannte Schulter. Ich war ihr unendlich dankbar. Egal, was sie gerade mit mir anstellte, es half. Ein sanftes Vibrieren strömte über ihre Fingerkuppen durch meine staubige Kleidung und schwärmte in meinem gesamten Körper aus. Es erfüllte jede winzige Zelle mit übernatürlicher Energie und löschte die alles schluckende Leere aus.

      „Es kann sehr beängstigend sein, zu sehen, was man im Stande ist, zu tun. Doch man gewöhnt sich daran. Lernt damit umzugehen, es zu kontrollieren. Und außerdem hast du jetzt uns. Wir werden dir alle helfen.“ Ich wollte ihr so gern glauben. Nur leider verstörte mich der grausige Anblick der toten Gul in einem so unbeschreiblichen Ausmaß, dass ich glaubte, selbst sterben zu wollen. Nie würde ich jemandem einen derartig schmerzhaften Tod wünschen und nun war ich höchstpersönlich schuld an einem solchen Schauspiel. Wie sollte man mit dieser abartigen Last nur leben können?

      „Gib nicht dir die Schuld. Sie hätten uns sonst getötet. Glaube mir, das macht dich nicht zu einem schlechten Menschen“, versuchte mich Lorca nun ebenfalls aus meiner Selbstabscheu herauszuziehen.

      Jemand seufzte zutiefst erschöpft hinter uns auf. Doch es war mir egal, wie ich auf sie gerade wirkte. Sollen sie mich ruhig für ein verletzliches kleines Häufchen Elend halten. Ich hatte nie darum gebeten, an kriegerischen Verfolgungen teilzunehmen. Töten entsprach schlichtweg nicht meinem natürlichen Wesen.

      Zwei starke Arme griffen nach meinen hängenden Schultern und schüttelten mich kräftig durch. Alles in mir geriet ins Schwanken und wurde wieder neu platziert. Stück für Stück erlangte ich meine verlorene Selbstbeherrschung wieder zurück.

      „Reena, jetzt höre mir einmal zu. Es ist mehr als in Ordnung sich danach nicht wohl in seiner eigenen Haut zu fühlen. Töten sollte nie eine Selbstverständlichkeit oder ein Vergnügen werden. Man sollte sich immer bewusst sein, was es heißt, ein Leben auszulöschen. Einer atmenden Seele ihren Körper zu rauben. Dennoch muss das Leben weitergehen. Lass dich nicht davon runterziehen. Lass es dich stärker machen, ein härteres Schutzschuld um dich selbst errichten. Gib dich nicht auf. Es war notwendig.“ Onkel Tamo sah mich wild funkelnd an. Ich fühlte mich so verstanden. Er berührte etwas tief in mir. Reiß dich zusammen! Komm schon! Nickend ließ Tamo von mir ab. Er musste an meiner aufrechteren Haltung erkannt haben, dass ich seine Worte verstanden hatte.

      „Geht es wieder?“, fragte der morodekische Fürst nun etwas sachlicher. Wir mussten uns wieder auf unsere Mission konzentrieren.

      „Ja, ich glaube schon“, gab ich noch etwas unsicher von mir. Jeder musste das Zittern in meiner piepsigen Stimme vernommen haben, nur waren alle Anwesenden so freundlich, um es geflissentlich zu ignorieren.

      „Also gut, dann schauen wir mal, dass wir von hier verschwinden. Das werden sicher nicht die Letzten gewesen sein, die uns noch auflauern werden. Reena, kannst du reiten?“ Tamo schwang sich elegant auf den Rücken seines grasenden Pferdes und streckte kurz darauf seine muskulöse Hand nach Mira aus, welche die ganze Zeit schweigend im Hintergrund gestanden hatte.

      „Ähm, ja, kann ich.“ Etwas überfordert von allem und jedem, nahm ich Lorcas ausgestreckten Arm entgegen und ließ mich von ihm ebenfalls hochziehen. Gespannt wartete ich auf die Antwort. Was schwebte dem Anführer wohl im Kopf herum?

      „Perfekt. Wir werden, wenn alles nach Plan verläuft, zwei bis drei Tage durchreiten und nur für menschliche Bedürfnisse anhalten. Reiter werden abgewechselt und der jeweils andere wird schlafen.“

      3. Kapitel

      Lorca

      Behutsam legte ich meinen weichen Mantel um die schlafende Prinzessin. Lange hatte sie schweigend vor mir gesessen und die vorbeiziehende Landschaft in sich aufgesaugt. Ich konnte deutlich spüren, wie sie ihre mit Schuldgefühlen vollgefressenen Gedanken wach hielten. Doch die rasende Magie, die uns noch Stunden zuvor wortwörtlich den Arsch gerettet hatte, hatte Reena so viel Energie geraubt, dass sie schlussendlich den Kampf gegen ihre bleischweren Augenlider aufgeben musste und schläfrig gegen meine Brust gesunken war.

      Nichts hatte sie seither aufwecken können. Weder das empörte Geschrei von Mira, als sie Ellion dabei erwischt hatte, dass er sich nicht umgedreht hatte, während sie ihr Geschäft erledigen wollte, noch der anhaltende Nieselregen, der durch den frostigen Wind zu einer Plage geworden war. Reena musste wirklich erschöpft bis in die Knochen gewesen sein und ich war mehr als froh, ihr die Sicherheit schenken zu können, sich richtig auszuruhen.

      Tief hinter der schwarzen Kapuze versteckt, sah ich gerade noch genug, um die nahe Umgebung neben Tamo und Mira zu erkennen. Normalerweise wäre ich dadurch eine leichte Beute für jegliche Angreifer. Schließlich würde ich ihr Heranschleichen nur mehr im letzten Moment erkennen. Zu unser aller Glück befand sich genau aus diesem Grund auch Suna in unserer Mitte. Sie würde jede herannahende Person anhand ihrer fließenden Lebenskraft erspüren und uns schon weit im Vorhinein warnen können.

      Definitiv ein angenehmer Pluspunkt jemanden so Mächtigen in den eigenen Reihen wissen zu dürfen. Für die gegnerische Seite immer wieder ein schwerer Schlag. Noch dazu wusste kaum jemand von den magischen Fähigkeiten dieser Schwestern Bescheid und wenn ich mich nicht täuschte, würde der verschollene Drillingsbruder auch noch so manch eine Überraschung in sich versteckt halten.

      So gesehen, dürfte sich uns dann niemand in den Weg stellen können. Friede könnte wieder unter den Menschenvölkern herrschen. Nur leider gab es immer wieder zu machtgierige und bösartige Kreaturen, die sich ihre eigenen Schlupflöcher bohrten und die Welt ins Verderben stoßen wollten. Dramatisch. Zum Teufel nochmal. Seit wann war ich denn so theatralisch geworden? Das war doch sonst immer Corvins Part gewesen, als wir zusammengekuschelte Straßenratten um etwas Brot und Tee gebettelt hatten. Die reichlich ausgeschmückten Fantasien meines kleinen Bruders hatten uns des Öfteren eine etwas erträglichere Unterkunft beschert.