Isabella Kubinger

Raunen dunkler Seelen


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Pferd angehalten. Mit einem sanften Druck gab ich meinem treuen Reittier zu verstehen, sich neben unseren Anführer zu platzieren. Auch meine Schwester und Ellion wagten sich nach vorne. Ein kurzer Blick in Sunas fragendes Gesicht bestätigte meine Annahme, dass kein Grund zur Sorge bestand. Zumindest nicht, was gegnerische Krieger betraf. Dieser kleine Stopp war auf Onkel Tamos Mist gewachsen und ich würde zu gerne wissen, welche Gründe es dafür gab.

      „Irgendwelche auffälligen Energien in der Nähe?“ Die Frage war ganz eindeutig an Suna gerichtet. Niemand sonst hatte ein Radar für menschliche Energieströme in seinem schlauen Köpfchen. Die Einzige, die hierbei noch infrage käme, wäre unsere Lichte Prinzessin, die derzeit noch tief und fest in ihrem seelenruhigen Schönheitsschlaf schlummerte und wahrscheinlich sowieso keine Ahnung hatte, wie sie ihre Magie kontrollieren könnte. Was nicht weiter böse gemeint war. Es war bloß ein Fakt. Schließlich hatte auch Suna ihre Trainingszeit benötigt, um ihre übermenschliche Macht uneingeschränkt in Anspruch nehmen zu können.

      Angestrengt kniff meine Schwester die wunderschönen Augen fest zusammen, um sich vollends auf das Erspüren der Energieströme zu konzentrieren. Es waren kaum ein paar Sekunden verstrichen, als sie sie wieder öffnete und Tamo ernst ansah.

      „Niemand in unserer Nähe“, antwortete sie schließlich mit fester Stimme.

      „Gut. Dann werden wir jetzt hinabsteigen. Wir haben uns lang genug auf feindlichem Boden befunden. Zeit, nach Hause zurückzukehren und unsere Leute zu warnen.“ Auf Tamos Zeichen hin, reihten wir uns wieder hintereinander ein und folgten unserem Fürsten zum wohl versteckten Eingang der Unterwelt. Mein Herz schlug in rasendem Tempo gegen meine Rippen und pumpte Unmengen an dickflüssigem Blut durch meine Venen. Es fühlte sich so unwirklich an. Mein Verstand wollte einfach nicht verstehen, dass wir es geschafft hatten. Wir hatten unsere zum Scheitern verurteilte Mission gemeistert. Leider mussten wir etliche Verluste dazuzählen, aber zumindest konnte ich behaupten, dass meine engere Familie überlebt hatte.

      Unruhige Bewegungen krochen in Reenas schläfrigen Körper hinein. Wie von einer Tarantel gestochen, setzte sie sich kerzengerade auf, wobei sie dabei den wärmenden Mantel von sich schob und dem kalten Regen ausgesetzt wurde. Verwirrt, beinahe schon panisch, blickte sie sich um und rieb sich fröstelnd die bereits feuchten, anklebenden Ärmel. Ich wollte sie wieder näher zu mir ziehen, doch ich war mir nicht sicher, ob das angebracht war. Schließlich war ich immer noch auf irgendeine Art und Weise ein Fremder. Nur ein bekanntes Gesicht. Dieser Gedanke schürte mir die Kehle zu. Ich wollte mehr für sie sein als ein vertrauenswürdiger Geist aus dem vergangenen Sommer.

      Nach kurzer Zeit hatte sie alle Anwesenden genug analysiert, um keine Gefahr zu schnuppern. Weitaus entspannter kuschelte sie sich wieder an meine Brust und zog meinen warmen Mantel über sich zurecht. Mitten in der Bewegung hielt sie dann inne. Fragend drehte sie sich zu mir um. Ihre schüchternen Augen suchten die meinen. Als dann auch ihre Wangen einen rötlichen Ton annahmen, musste ich über ihre unschuldigen Art lächeln.

      „Keine Sorge, du hast vorhin schon an meiner Schulter gesabbert, mach es dir ruhig wieder gemütlich.“ Ich genoss es, wie ihr meine Worte noch mehr peinliche Röte ins Gesicht zauberten. Reena war einfach zu süß. Und dennoch kannte ich auch die rebellische, ehrliche Art an ihr, die ihr nicht erlaubte, ein Menschenleben ohne schlechtes Gewissen auszulöschen. Schließlich hatte sie sich auch um mich gekümmert, wie ich als der geflohene Feind vor ihrer Hauptstadt im Sterben lag. Ich hatte zwar keine Ahnung, ob Prinzessinnen in Katalynia eine vernünftige Kampfausbildung erhalten, was ich auf jeden Fall stark bezweifelte, trotzdem fand ich es mehr als mutig, einem fremden, verfolgten Krieger zu helfen.

      „Bilde dir nur jetzt ja nichts ein. Nur weil ich dich unbewusst angesabbert habe, schulde ich dir noch lange nichts.“ Leicht eingeschnappt drehte sie ihr errötetes Gesicht, das nun mehr einer reifen Tomate glich, nach vorne. Sie wand sie aus dieser peinlichen Situation wie ein Huhn kurz vor dem Schlachten. Nur mit Mühe konnte ich mein belustigtes Lachen zurückhalten. Was mir nur leider auch nicht ganz zu gelingen schien. Schlussendlich endete ich in einer halb prustenden, halb erstickenden Hustenattacke. Wie sagt man so schön: ‚Die kleinen Sünden strafen die Götter zuerst.‘

      „Schön, dass ich dich so wunderbar unterhalte.“ In Reenas Stimme schwang leichter Missmut mit. Mit ungutem Schuldgefühl in der Magengrube zwang ich mich, dem stechenden Hustenreiz nicht mehr nachzugeben. Schließlich wollte ich ihr Vertrauen erlangen. Zu gerne würde ich wieder dieses unglaubliche Glitzern in ihren meerblauen Augen sehen. Diese ungestüme Leidenschaft, ihre ungeteilte Liebe. Oder war ich einfach nur ein von den flatternden Schmetterlingen geblendeter Narr, der sich das alles damals eingebildet hatte.

      Plötzlich überschlugen sich meine rasenden Gedanken. Eifersucht lähmte meinen kribbelnden Körper, Schweiß rann entlang meiner Wirbelsäule hinunter. Was wäre, wenn sie ihr Herz in der Zwischenzeit bereits jemand anderem geschenkt hatte? Jemand würdigerem. Vielleicht sogar Ragnar. Ihr schien sehr viel an ihm gelegen zu haben.

      Es war mehr als falsch auf einen Toten eifersüchtig zu sein. Nur sah das mein wild hämmerndes Herz etwas anders. Grundsätzlich schien mir Ragnar auch ein sehr feiner Typ gewesen zu sein. Jemand, der Prinzessin Reenas Herz verdient gehabt hätte. Obwohl ich den morodekischen Boten kein bisschen gekannt hatte, schien er mir definitiv wie ein treuer Freund und liebevoller Partner. Jemand, der einem nicht von der Seite wich, und alles für die Gesundheit und das Glück des anderen tun würde.

      Bilder von den Sekunden vor seinem grausamen Tod schossen mir durch die Gedanken. Trotz der unerträglichen Schmerzen hatten seine Augen weiterhin von seiner unsterblichen Liebe zu seinem wunderschönen, intelligenten und starken Schützling gezeugt. Sein großes Herz hatte bereits Reena gehört. Wie unvorstellbar schmerzhaft es für sie gewesen sein musste, den Mann, der sie stets beschützt hatte, der seit Wochen Seite an Seite alle gewaltsamen Erlebnisse mit ihr gemeinsam durchlebt hatte, sterben zu sehen.

      Meine Stimmung war nun endgültig im Eimer. Fehlte nur noch ein abschätziger Kommentar von Ellion oder eine provozierende Herausforderung von Suna. Dann könnte ich mich genauso gut gleich schlafen legen und der katalynischen Prinzessin die ledernen Zügel überlassen. Dieser Tag konnte einfach nicht mehr schlechter werden.

      „Wenn du noch länger so finster auf Reenas ungeschützten Rücken starrst, muss ich mir bald Sorgen machen, dass du meiner gerade erst geretteten Nichte etwas antun möchtest. Komm Junge, wir sind bald zu Hause. Unsere Probleme lösen sich nicht einfach so in Luft auf. Außerdem sollten wir versuchen, nicht noch mehr davon einzusammeln.“ Mit einer väterlichen Geste klopfte Tamo mir motivierend auf die Schulter und durchbrach somit auch den letzten Rest meiner eisigen Starre.

      Noch etwas neben der Spur sah ich mich um. Ich musste wohl angehalten und auf keine verbalen Zusprüche mehr gehört haben. Alle beobachteten mich. Wobei mich die beiden Schwestern besorgt musterten, Mira mich mit ihrem unergründlichen Blick zu durchbohren schien und Ellion herablassender denn je meinen emotionalen Kampf verurteilte. Nur Onkel Tamo schien sich schon wieder vollends auf die Mission zu konzentrieren.

      Ich gab mir innerlich einen Ruck und nahm wieder meine alte, kriegerische Haltung an. Emotionslose Maske, aufrechter Rücken, fester Griff um die abgewetzten Zügel, undurchdringlicher Blick. Mein zu zerbrechen drohendes Herz durfte unserer Gruppe nun nicht zum Verhängnis werden. Ich war ein Nyajamar. Ein morodekischer Krieger. Selbst wenn mir Reena offenbaren würde, dass sie meine Liebe nicht teilte, musste ich für ihre Sicherheit sorgen. Das stand außer Frage. Sie gehörte nun so oder so zur Familie.

      „Nje mikae. Nje krüye.“ Meine brummige Stimme war kaum ein Flüstern und doch fühlte sich unser Motto wie ein laut, geschrienes Versprechen an die gesamte Lichte Welt und friedliche Unterwelt an.

      Irritiert und gleichzeitig fasziniert sah mich Reena aus großen, runden Augen an. Ich konnte direkt die tausend Rädchen in ihrem schlauen Köpfchen rattern hören, derartig zermalmte sie ihre Erinnerungen nach der wahren Bedeutung dieser zwei kurzen Sätze. Irgendwann schien sie aufgegeben zu haben. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, drehte sie mir wieder ihren Rücken zu und zog den schweren Mantel über uns zurecht.

      Lange lauschte ich einfach dem beruhigenden Geräusch von dicken Wassertropfen auf getrockneten Blättern. Erstaunlich, wie etwas