Elko Laubeck

Polizeidienst en français


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und Mimik. Ist dir aufgefallen, dass sie sich immer wieder mal ganz zärtlich über den Bauch strich? Sie stellte die Kaffeetasse ab, strich sich über den Bauch, sie holte eine zweite Tasse Kaffee, strich sich über den Bauch. Na ja, und so eine kleine Wölbung hatte der Bauch schon, finde ich, ein wenig zeichnete sich schon ab durch das Tuch ihres Kleids.“

      „Vielleicht war es der Heilige Geist“, scherzte Pierre. „Trotzdem: Kannst du dir vorstellen, dass unter den Geistlichen hier in Agde Männer sind, die es mit kleinen Jungs treiben? Immer wieder kommt es ja ans Tageslicht, dass katholische Priester ihnen anvertraute kleine Jungen, Ministranten, Schüler missbrauchen, um ihre pädophilen und auch homosexuellen Neigungen zu befriedigen.“

      „Schon möglich“, sagte Renée. „Aber sie nutzen ihre Autorität und die Frömmigkeit der Kinder, niemandem davon zu erzählen, sie hüten es als ihr Geheimnis im Schutz der dicken Kirchenmauern. Nichts dringt nach außen, bis es im späteren Leben doch herauskommt, dass Männer als Kinder systematisch missbraucht worden waren. Nein, Raphaël ist seit Tagen verschwunden. Das passt nicht zum pädophilen Priester, der das Vertrauen der Kinder missbraucht und während der Bibelstunde an ihnen herumfingert. Die halten die Kinder nicht tagelang fest.“

      „Trotzdem sollten wir mal einen Blick auf den Klerus von Agde werfen“, meinte Pierre. „Es ist unsere verdammte Pflicht, auch hinter die heiligen Gemäuer zu schauen, wenn es dort nach Unsittlichkeit riecht.“

      Sie erreichten das Polizeigebäude und bemerkten bereits im Treppenhaus, dass es deutlich abgekühlt war. Die Klimaanlage funktionierte offenbar wieder.

      7.

      Pocher nahm den nächsten Zug nach Agde, glitt durch die Lagunenlandschaft, an Salinen vorbei, durch Industriegebiete mit großen Öltanks, am Hafengelände von Sète entlang, dann über die Landzunge, die den Étang de Thau vom Mittelmeer trennt. Als er in Agde den klimatisierten Zug verließ, kam es ihm so vor, als betrete er eine Sauna. Er bezog sein Zimmer im L’Avenue und schlenderte noch in die Stadt hinunter. Endlich wieder in Frankreich, dachte er bei sich. Er war mit sich und seiner Situation zufrieden. In einem Straßencafé bestellte er einen Pastis und betrachtete das rege Treiben im abendlichen Agde. Die Temperaturen waren kaum zurückgegangen. Es gab junge Frauen, die im Bikini durch die Altstadt schlenderten, lediglich eine lange XXL-Bluse übergeworfen, die hinten knapp über den Po langte. Es waren noch spielende Kinder auf den Straßen, und verliebte Pärchen schlenderten Arm in Arm vorbei. Das Treiben nahm sich so friedvoll aus, dass Pocher Zweifel daran bekam, dass er hier gebraucht werden würde. Aber dass hinter manch altehrwürdigem Gemäuer das Antlitz des Teufels zum Vorschein kommen konnte, sich hinter der lieblichen, in der Sommerhitze teilweise vertrockneten Landschaft mit ihren Weinbergen die Abgründe menschlicher Gewaltbereitschaft auftun würden, sollte er schon bald erfahren.

      8.

      Das Hotelzimmer war schlicht eingerichtet, den üblichen Standards entsprechend, ein französisches Doppelbett, ein kleiner runder Tisch mit zwei Stühlen am Fenster, das mit Jalousien verhängt war, eine zweiflügelige Balkontür war ebenfalls mit Jalousien verhängt. Ein Fernseher war an der Wand befestigt, mit Satellitenanschluss und Fernbedienung, es gab eine Schrankwand im Eingangsbereich und gegenüber ein Duschbad, unter dem Fernseher eine Anrichte. Auf einem der Nachttische stand ein Ventilator. Pocher richtete sich ein.

      Er öffnete die Balkontüren, zog die Jalousien hoch, einen Balkon gab es jedoch nicht, sondern nur ein schmiedeeisernes Gitter mit einem Geländer in Hüfthöhe. Auf der Straße herrschte immer noch Betrieb. Pocher atmete die warme Luft ein und ließ sich von den vorbeifahrenden Autos und dem Stimmengewirr der Fußgängergruppen ablenken, die zum Teil mit laut knarrenden Rollkoffern vorbeizogen, vermutlich, weil sie gerade mit der Bahn angereist waren. Der Bahnhof lag dem Hotel direkt gegenüber, und die Avenue Victor Hugo war offensichtlich der wichtigste Verbindungsweg vom Bahnhof in die Stadt hinunter. Dann wich Pocher wieder zurück, ließ die Balkontüren zwar offenstehen, die Jalousien aber wieder herab. Im Zimmer war es kaum kühler als draußen, er startete eine kleine Klimaanlage, die jedoch kaum etwas ausrichtete.

      Pocher zog sich Hemd und Hosen vom Leib, legte die Sachen sorgfältig über einen Stuhl und nahm die Dusche in Betrieb. Der lauwarme Wasserstrahl spülte die Spuren der Reise und der überfallartigen und schweißtreibenden Begegnung mit der Hitzewelle, die über Südfrankreich hinwegzog, hinunter. Er fühlte sich angenehm entspannt, so ließ sich das Leben aushalten, dachte Gerd. Weniger angenehm war es ihm, dass er um den Bauch herum etwas zugelegt hatte und mit den Händen aus seiner Körperoberfläche um die Taille herum kleine Wülste formen konnte. Der Speck muss weg. Er nahm sich vor, trotz der Hitze wieder etwas mehr Sport zu treiben als in den vergangenen drei Jahren. Außerdem glaubte er, allein durch die Bewegung in der Hitze mehr Fett zu verbrennen. Aber er fand auch, dass sich der Bauchansatz noch in Grenzen hielt. Sein BMI war immer noch von der fünfundzwanziger Marke weit entfernt. Tatsächlich lag er bei 24,6. Das hatte er ausgerechnet, als er zuletzt auf der Waage gestanden hatte, 78 Kilogramm geteilt durch 1,78 zum Quadrat, was aber auch schon wieder vor etlichen Wochen gewesen war.

      Dann schmiss er sich aufs Bett und zappte sich durchs Fernsehprogramm. Zufällig stieß er auf eine Reportage in einem Kulturkanal, einen Bericht über einen der spektakulärsten Kunstraube der französischen Geschichte. Im Laufe der Sendung konnte er den Anlass ausfindig machen. Es war der zehnte Jahrestag. Es ging um den Diebstahl einer Marmorstatue aus der Antiken-Abteilung des Louvre. Und im Fernsehen liefen noch einmal die Bilder aus der historischen Pressekonferenz.

      „Mesdames et Messieurs“, begann Phillip Reynouard die Pressekonferenz in der Halle des Palais Royal in Paris. „Eines der bedeutendsten und wertvollsten Stücke unserer Sammlung ist abhandengekommen. In der Nacht von Montag auf Dienstag wurde aus der Antikensammlung des Louvre die Aphrodite von Melos, bekannt auch als Venus von Milo, gestohlen. Die Diebe müssen mit größter Professionalität ans Werk gegangen sein und alle Sicherheitseinrichtungen und Überwachungsanlagen ausgeschaltet haben.“

      Hinter der Reihe der Leute am Konferenztisch waren plakat-große Abbildungen der Venus aus verschiedenen Perspektiven aufgestellt.

      „Die Täter müssen sich im Louvre bestens ausgekannt und auch Zugang gehabt haben“, fuhr der zuständige Abteilungsleiter im Kulturministerium fort. „Es wurden keine Spuren eines gewaltsamen Einbruchs entdeckt. Außerdem ging es ihnen offenbar gezielt um die Venus. Andere Skulpturen waren unberührt an ihren Standorten geblieben, auch sind alle Gemälde noch an ihren Plätzen.“

      „Es ist in der Tat ein schwarzer Tag in der Geschichte des größten Museums“, ergriff Valeri Harnoncours, Sprecher des Innenministeriums, das Wort. „Wir gehen davon aus, dass sich die Täter in den Zentralrechner des Museums beziehungsweise aller Museen in Paris, die daran angeschlossen sind, gehackt haben, um die Sicherheitssysteme zu manipulieren. Es müssen mehrere Täter am Werk gewesen sein, und sie müssten mit Gerätschaften wie einem Minikran ausgerüstet gewesen sein, um die etwa eine halbe Tonne schwere Marmorstatue abzutransportieren. Drei Wachleute waren bei dem Raubzug überwältigt und betäubt worden, ehe sie Alarm schlagen konnten. Wir haben sie am nächsten Morgen in einem Putzmittelraum eingeschlossen gefunden. Wir stehen vor einem Rätsel: Die Venus ist spurlos verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.“

      Die Nationalpolizei fahnde in alle Richtungen.

      Während der O-Ton der Pressekonferenz weiter zu hören war, wurden in die Dokumentation Bilder der berühmten Frauenstatue eingeblendet.

      „Wir haben eine bis zu 200-köpfige Sonderkommission Venus gebildet, im Wesentlichen aus der Abteilung organisierte Kriminalität“, sagte ein Mensch, den eine Bauchbinde als Fréderic Normande, Sprecher der Polizeidirektion, benannte. „Wir haben natürlich Kontrollen durchgeführt an den Ausfallstraßen, aber nicht den leisesten Hinweis bekommen. Wir hoffen nun natürlich, dass wir womöglich durch Ihre Berichterstattung doch noch den einen oder anderen Hinweis bekommen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit!“

      „Sie glauben doch wohl nicht, dass sich einer die Venus in seinem Vorgarten aufgestellt hat“, scherzte ein Reporter. „Aber im Ernst, wie kommt jemand auf die Idee, ausgerechnet die Venus von Milo zu stehlen? Ich meine, sie