Elko Laubeck

Polizeidienst en français


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haben Sie recht“, antwortete Reynouard. „Für Stücke von einem derartigen Bekanntheitsgrad, die Venus gehört zu den weltweit am meisten kopierten Statuen, gibt es keinen Markt, auch keinen Schwarzmarkt. Es muss ein Liebhaber, ein Verrückter sein, der ein solch wertvolles Kulturgut stiehlt, wohl wissend, dass niemand jemals davon erfahren darf.“ Er wies auf einen Informationstisch hin, auf dem Pressemappen bereit lagen mit Texten und Beschreibungen des Kunstwerks und je einer CD mit hoch auflösenden Abbildungen der Statue, die zur Veröffentlichung bestimmt seien.

      „Wochenlang schnüffelte die Polizei in Paris und ganz Frankreich in allen Hinterhöfen, suchte alle möglichen Verstecke ab. Die Venus blieb verschollen. Die Polizei stocherte ein Jahr lang im Nebel“, kommentierte eine Sprecherin Bilder von Polizeikontrollen.

      „Dann bekam das Kulturministerium eine Botschaft“, kam nun die Sprecherin selbst ins Bild. In einer Bauchbinde mit dem Logo des Senders Arte wurde sie als Mireille Lafontaine vorgestellt, Autorin der Dokumentation. „Ein Erpresser meldete sich und fragte an, ob der Regierung die Venus 50 Millionen Euro wert sei. Es folgten weitere Botschaften mit dem Hinweis, den sicheren Ort, der noch in Frankreich sei, zu verraten, wenn sie ihm 50 Millionen Euro in kleinen Tranchen auf diverse Bankkonten in der Schweiz, in Liechtenstein, Panama und anderen Ländern überweisen würden.

      Fieberhaft versuchte die Polizei, die Herkunft dieser Botschaften zu ermitteln, während man sich im Ministerium schon darauf geeinigt hatte, auf keinen Fall auf die Geldforderung einzugehen. Alle Fahndungsversuche verliefen im Dunkeln. Der Absender war nicht auszumachen.

      Zwei Jahre später, es waren keine weiteren Botschaften des Erpressers mehr eingegangen, es hatte offenbar Funkstille geherrscht, um die Zeit für sich spielen zu lassen, zwei Jahre später kam Phillip Reynouard bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.

      Heute, zehn Jahre später, ist von dem spektakulären Raub der Venus nicht mehr die Rede. Die Sonderkommission, die schon seit Jahren ohnedies nur noch auf dem Papier bestanden hatte, wurde vor drei Jahren offiziell aufgelöst.“

      Es geriet wieder eine Kamerafahrt ins Bild, die unablässig die Venus von Milo, wie sie noch im Louvre stand, umkreiste. Darauf wurde der Abspann eingeblendet, Autorin, weitere Sprecher, Redaktion, Kamera, Schnitt, Regie und so weiter.

      Pocher wunderte sich über den Bericht, denn er hatte es zehn Jahre zuvor nicht mitbekommen, dass die berühmte Marmorfigur gestohlen worden war. Als Schüler hatte er sie einmal im Original gesehen, als sie auf Klassenfahrt in Paris gewesen waren und ein Besuch des Louvre auf dem Pflichtprogramm gestanden hatte. Ansonsten hatte er sich für antike Kunst auch nicht sonderlich interessiert. Seinerzeit hätte er alles dafür gegeben, einmal Melanies Brüste zu sehen und auch zu berühren, aber er hatte sich damals als pubertierender Junge nicht getraut, die Klassenkameradin anzufassen. Er hatte sie noch nicht einmal geküsst, obwohl er bis über die Ohren in sie verliebt gewesen war. Die antike Statue war aus Marmor gewesen und hatte ihn kalt gelassen.

      Pocher schlüpfte in frische Hosen und ging noch einmal in die Halle hinunter, setzte sich auf die Straßenterrasse, bestellte ein Glas Vin blanc de la maison und beobachtete gedankenverloren das Treiben auf dem Bahnhofsvorplatz. Allmählich schienen sich die Straßen von Agde zu leeren. Nur noch wenige Menschen saßen in dem Hotel, und auch aus dem Bahnhof kamen nur noch vereinzelt Reisende, nachdem ein Zug angehalten hatte. Er beobachtete ein Pärchen, das sich leidenschaftlich umarmte, und ersann die Geschichte dazu, dass der Mann seine Freundin vom Bahnhof abholte, nachdem er sie eine lange Zeit nicht in den Armen gehabt hatte, wie romantisch!

      Eine Sekunde lang überlegte Gerd, ob er sich nicht bei Madame Lapin, Madame Commissaire, noch einmal ins Zeug legen sollte, aber dann verwarf er den Gedanken wieder. Er bestellte ein zweites Glas Blanc und sortierte seine gemischten Gefühle. Er war hier als Polizist, als Ermittler in Strafsachen, und er wollte seine Sache gut machen. Das war sein eigener Anspruch.

      Im Augenblick fühlte er sich zwar so, als ob er in Urlaub wäre, aber er ahnte, dass der nächste Tag nicht einfach sein würde. Im Zimmer war es noch drückend warm. Pocher ließ den Ventilator laufen, der, sich hin und her drehend, die warme Luft über seinem nackten Rücken verteilte.

      9.

      Am nächsten Morgen verließ Pocher das Hotel Richtung Innenstadt. Als er zum Hérault-Ufer herunterkam, fiel ihm ein großes Polizeiaufgebot ins Auge. Er beschleunigte seine Schritte und trat an die Polizeibeamten heran, die gerade dabei waren, Sichtschutzsperren zu errichten. Er stellte sich einem Polizeibeamten vor und fragte, ob Madame Lebrun zufällig hier wäre.

      Moment, sagte der und wandte sich zu den Leuten am Flussufer. „Renée!“, rief er. „Hier fragt einer nach dir, ein Monsieur Pocher oder so ähnlich aus Deutschland.“

      Renée Lebrun kam die Uferböschung hinauf und begrüßte den neuen Kollegen. „O, was für ein Zufall! Eigentlich hatte ich Sie in meinem Büro erwarten sollen. Aber wir haben hier eine Wasserleiche.“

      „Sans rancune! Ich kam auf dem Weg ins Büro zufällig hier vorbei. Das trifft sich doch gut. Dann stürze ich mich gleich in die Arbeit.“

      Lebrun ließ ihn durch die Absperrung und stellte ihn ihrem Kollegen Pierre Moulin vor. „Manchmal spielt einem das Leben eben eine Abweichung von der Regel zu“, sagte sie. „Sie sollen also bei uns im Team mitarbeiten. Also ganz kurz: Ein Brotlieferant hatte gegen 6 Uhr die Leiche entdeckt und uns alarmiert.“ Sie blickte auf ihre Armbanduhr. „Jetzt ist es gleich acht. Wo bleiben nur die Spurensicherung und die Kollegen der Wasserschutzpolizei?“

      Die Wasserleiche hatte sich an einem Bootsanleger zwischen zwei Ruderbooten verfangen und trieb mit dem Rücken nach oben an der Wasseroberfläche. Die Polizeikräfte schirmten den Fundort der Leiche zu der belebten Kreuzung hin ab. Schließlich rückten die Spezialisten von der Spurensicherung an.

      „Antoine, endlich, das Warten hat ein Ende“, grüßte ihn Renée Lebrun und deutete auf den Steg, wo die Wasserleiche sich schwimmend verhakt hatte.

      „Was meinst du, was auf den Straßen los ist“, sagte Antoine Riquet. „Die Baustelle in Frontignan ist eine einzige Katastrophe, das mitten in der Hauptreisezeit. Na ja“, versuchte er zu beschwichtigen, „die Leiche schwimmt uns ja nicht einfach davon. Lass uns mal gucken.“

      Die Leiche hing mit dem Gesicht nach unten zwischen einem Ruderboot und dem Pfosten des Anlegestegs. Antoine Riquet von der Kriminaltechnik zog sich Schuhe und Hose aus. Der Hérault war hier relativ flach. Er ließ sich ins Wasser gleiten, eine Kamera umgehängt, und machte alle paar Schritte Fotos von der Leiche. Dann prüfte er, ob sich die Leiche vielleicht verheddert hatte. Er fasste in die Gesäßtaschen und zog etwas an dem Körper. Die Leiche ließ sich widerstandlos aus dem Stützwerk des Stegs herausziehen. Inzwischen waren drei Beamte in den Fluss gestiegen, um mit anzupacken. Sie hievten den Leichnam an Armen und Beinen auf die Uferböschung.

      Riquet durchsuchte die Hosentaschen. Da war nichts zu finden. Dann drehte er den Körper um. Der Mann war etwa Mitte 30 und noch nicht lange tot. Mehr konnte er nicht sagen. „Das muss die Gerichtsmedizin herausfinden.“

      Mittlerweile war ein Aufgebot von einem Dutzend Beamten am Ort des Geschehens, um die Passanten zum Weitergehen aufzufordern. Die Fundstelle lag an einem belebten Verkehrsknoten, und die Stadt, beliebtes Ausflugsziel, füllte sich allmählich mit Touristen. Ein Boot der Wasserschutzpolizei machte an dem Steg fest und versperrte so etwas den Blick von der anderen Flussseite her. Auf der gegenüberliegenden Seite, wo abends auf einer schwimmenden Bühne Unterhaltungsshows stattfanden, hatten sich Dutzende Schaulustige eingefunden.

      Die Leiche hatte weder Geld noch Papiere bei sich. Sie war mit einer gewöhnlichen Jeanshose und einem blauen T-Shirt bekleidet. Hose und Hemd waren auffällig fleckig, vielleicht waren es Blutspuren. Pocher machte mit seinem Handy Fotos von dem Gesicht des Toten. Derweil nahm Riquet die nähere Umgebung in Augenschein, aber es gab keine Hinweise, die etwa auf einen Kampf hindeuteten.

      „Ich glaube nicht, dass hier der Tatort ist“, sagte Pocher zu Renée Lebrun. Er blickte auf die viel befahrene Brücke hinauf.

      Pocher, Lebrun und Moulin gingen zur Brücke hoch. Möglich,