Elko Laubeck

Polizeidienst en français


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eingetroffen waren. Moulin und Pocher suchten weiter oberhalb das Ufer des Hérault ab. Eine Fußgängerbrücke führte hier über einen Stichkanal in eine Art Parklandschaft, die offenbar bei Joggern beliebt war. Sie gingen den Fußweg bis zum Wehr hinauf, fanden aber nicht den leisesten Hinweis. Allerdings tauschten sie schon einmal ihre Handy-Nummern aus. Sie passierten das Château Laurens und erreichten das Ufer oberhalb des Wehres.

      „Das ist dann doch merkwürdig“, sagte Moulin. „Es ist zwar nicht ungewöhnlich, dass der Wasserstand des Hérault in trockenen Sommern niedrig ist. Aber so niedrig habe ich den Fluss noch nicht erlebt.“ Das Wasser reichte gerade etwa bis zwei, drei Zentimeter unterhalb der Oberkante des Wehrs. Für eine Leiche wäre es unmöglich gewesen, das Wehr zu überwinden. „Da hinten“, deutete Moulin auf ein bewaldetes Gelände weiter flussaufwärts, „da hinten übernachten manchmal Jugendliche. Vielleicht kriegen wir da einen Hinweis.“

      „Was ist das für ein Zweigkanal?“, wollte Pocher wissen. Auf dem Rückweg zur Leichenfundstelle erläuterte Moulin die Rundschleuse von Agde, die den Oberlauf des Hérault mit dem Canal du Midi verbindet. Ein Schleusentor im rechten Winkel dazu führt zu dem Stichkanal und damit zum unteren Hérault, mithin zum Mittelmeer. „Ist unbedingt sehenswert.“

      Sie erreichten wieder den Fundort. Die Leiche war inzwischen abtransportiert. „Der Doktor meint, dass der Tod nicht länger als vier bis acht Stunden zurückliegt, also in dieser Nacht eingetreten ist“, sagte Renée Lebrun. „Er vermutet als Todesursache ein Schädel-Hirn-Trauma, verursacht durch einen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand auf den Hinterkopf. Genaues könne er aber erst nach der Obduktion sagen.“

      Riquet kam hinzu und packte seinen Untersuchungskoffer ein. Er blickte bedeutungsvoll das Ufer hinauf und hinab. „Das wird schwierig“, sagte er. „Hier deutet nichts auf ein Verbrechen hin.“

      „Wir ermitteln in alle Richtungen“, sagte Lebrun. Sie leitete fortan die Ermittlungsgruppe Agde, die damit förmlich gebildet worden war. Sie verabschiedete sich Richtung Büro.

      „Wir schauen uns mal oben beim Ruderclub um“, meinte Moulin.

      „Und ich besichtige die Rundschleuse“, bot sich Pocher an.

      „D’accord“, sagte die Chefin, „die Absperrung hier bleibt erst mal bestehen.“

      10.

      Moulin fuhr das kurze Stück die Avenue Raymond Pitet hinauf und ließ Pocher an der Schleuse raus. Er selbst bog hinter der Brücke über den Canal du Midi rechts ab und fuhr bis auf das Gelände des Ruderclubs. Er stellte den Wagen ab und trat auf zwei Jugendliche zu, die gerade dabei waren, ihre Schlafsäcke und Isomatten einzurollen und in die Rucksäcke zu verstauen, zeigte ihnen seine Dienstmarke und fragte sie, ob sie hier übernachtet hätten.

      Der eine, vielleicht Anfang 20, zuckte nur mit den Schultern. Der andere, etwa gleich alt, fragte zurück: „Verboten?“ Es klang nicht wirklich französisch. Der junge Mann schob gleich hinterher, dass er nicht gut Französisch könne. Als der Polizeibeamte sie nach den Papieren fragte, ahnten sie aber, was er meinte. „Deinen Ausweis“, sagte der eine zum anderen. Beide kramten in ihren Hosentaschen und fischten ihre Papiere hervor.

      Moulin nahm sie an sich und entzifferte die Ausweise. „Marco Wolgrebe aus Neuwied“, las er das Dokument laut ab, übersetzte das Geburtsdatum ins Alter. „Sie sind also Deutscher“, fuhr er auf Französisch fort, „und Dimitrij Woganow aus Andernach, ebenfalls deutsch und 20 Jahre alt. Haben Sie hier übernachtet?“

      Die beiden Männer zuckten abermals mit den Schultern. „Pardon, je n’ai pas compris“, sagte Wolgrebe, offenbar derjenige, der wenigstens ein paar Wörter Französisch konnte.

      Moulin gestikulierte, legte seine Hände aufs Ohr, neigte den Kopf zur Seite und schloss die Augen, dann zeigte er auf den Boden und sagte ganz langsam: „Cette nuit.“

      „Do you speak english?“, suchte Wolgrebe nach einer Auflösung der Verständigungsschwierigkeiten.

      „Yes, I do“, sagte Moulin, „but I‘ve got a better idea, please, wait a moment.“

      Er nahm sein Telefon und wählte die Nummer von Pocher.

      Pocher hatte die Schleuse kurz in Augenschein genommen und war auf das Gelände getreten. Er glaubte zu träumen: Die Frau, die offensichtlich die Schleuse bediente, war jung, mehr noch, er hätte wetten können, dass er der Frau in seinem Leben schon einmal begegnet war. Fast anmutig bediente sie die Schleusentechnik, ließ das eine Tor schließen, gab Anweisungen, wo die Boote festmachen sollten. Er war wie elektrisiert. Er musste sich regelrecht einen Ruck geben, um sich seiner Aufgabe zu erinnern. Er war Polizist und mitten in die Ermittlungen um einen mysteriösen Todesfall geraten. Da gab es keinen Platz für Phantasien und Emotionalität. Er trat auf die junge Schleusenwärterin zu und sprach sie an: „Pardon, ich habe eine Frage.“ Derweil fischte er seinen deutschen Dienstausweis aus der Hosentasche und ein amtliches Schreiben der Polizeipräfektur dazu, das ihn als Ermittlungsberechtigten der französischen Kriminalpolizei auswies.

      Sie schaute ihn fragend durch ihre Sonnenbrille an. Sie war leicht bekleidet, sie trug eine kurze, enge Jeanshose und ein hellblaues T-Shirt, dazu eine blaue Schirmmütze, ihre Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, der über ein Riemchen der Mütze durchgeführt war, ihre schlanken, nackten Beine endeten in einfachen Sandaletten, was angesichts der hochsommerlichen Temperaturen nicht ungewöhnlich zu sein schien. „Moment, ich muss die Schleusung zum oberen Hérault vorbereiten.“

      Langsam stieg das Wasser in der Schleusenkammer. Es hatten drei Boote festgemacht, die nun darauf warteten, in den oberen Lauf des Hérault angehoben zu werden. Die Schleusenwärterin ging über den Steg des Südtores auf die andere Seite der Schleuseneinfassung und stieg eine Treppe empor zum Hérault-seitigen Schleusentor. Pocher folgte ihr und maß dabei ihren Körper. Sie hatte einen leichtfüßigen, beinahe tänzerischen Gang. Per Knopfdruck öffnete sie das Tor zum Hérault. Pocher stand jetzt dicht hinter ihr. Während sich die Torflügel allmählich öffneten, die Boote losmachten, um nacheinander ihre gemächliche Fahrt Richtung Hérault fortzusetzen, machte Pocher einen erneuten Annäherungsversuch und fischte sein Handy aus der Tasche.

      Er zeigte ihr das Porträt von der Wasserleiche und fragte: „Kennen Sie diesen Mann?“ Die junge Frau blickte kurz auf den Bildschirm und schüttelte nur den Kopf, aber es kam Pocher so vor, als ob es auch ein Nicken hätte gewesen sein können.

      „Nein, tut mir leid“, sagte sie, „nie gesehen.“ Sie wich Pochers Blicken aus, stützte ihre Arme in die Taille. Pocher vernahm ein leichtes Zittern in ihren Mundwinkeln. Nur für einen Moment nahm sie die Sonnenbrille ab und schaute ihn mit ihren dunklen Augen an. Pocher musste tief durchatmen, es fiel ihm schwer, in dem Augenblick vernünftig zu bleiben und nicht diesem Zauber zu verfallen, der sich um ihre Nasenspitze bemerkbar machte. Dann entsann er sich seiner Aufgabe und verwarf alle Ansinnen, sich dieser Frau anders anzunähern denn als Ermittler.

      „Wir haben eine Wasserleiche im Hérault entdeckt. Ist Ihnen irgendetwas Verdächtiges aufgefallen in dieser Nacht? Wo waren Sie?“

      „Non“, sagte sie. „Nachts ist die Schleuse geschlossen. Ich habe am Abend gelesen und bin dann zu Bett gegangen.“

      Sie blieb geheimnisvoll. „Allein?“

      „Ja, allein, ich hatte keinen Besuch, wenn Sie das meinen. Ich lese gerne.“

      Pocher fragte noch nach ihrem Namen, Michelle Reynouard, als sein Telefon klingelte. „Allô?“, meldete er sich. „Pocher à l’appareil.“

      Moulin hatte ihm kurz erklärt, dass er zu dem Ruderclub kommen sollte, weil er zwei Deutsche aufgegabelt hatte, die vielleicht wichtige Zeugen sein könnten. Das sei ja nicht weit, hinter der Brücke über den Kanal rechts runter.

      Pocher war aufgefallen, dass ihn Pierre Moulin am Telefon geduzt hatte. Über solche Formalitäten wie Anreden hatten sie am ganzen Vormittag nicht gesprochen, einfach weil sie nicht dazu gekommen waren, sich ordentlich vorzustellen und über solche internen Gepflogenheiten zu sprechen.

      „Entschuldigen