Hubertus von Wick

Der verbotene Park


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      „In welche Schule gehst du denn in Sanddorf?“, fragte Tobias.

      „Hegelstraße, 5. Klasse“, erwiderte Philipp und schoss einen Kieselstein zur Seite.

      „Da muss ich auch hin“, sagte Tobias überrascht.

      „In welche Fünfte gehst du?“

      „Es gibt drei. Ich gehe in die b-Klasse.“

      „Ich weiß noch nicht, in welche Fünfte ich genau komme“, sagte Tobias. „Auf jeden Fall werden wir uns dann auf dem Schulhof sehen.“

      Philipp nickte.

      „Welche Nummer wohnt Ihr?“, fragte er.

      „32. Das ist da oben, wo die Straße noch nicht fertig ist.“

      Ein LKW mit Sand beladen bahnte sich langsam seinen Weg an den Paletten mit roten Klinkersteinen vorbei, die vor einem Neubau am Straßenrand standen.

      „Spielst du Fußball?“, fragte Philipp.

      „Nicht im Verein. Aber ich glaube, ich spiele ganz gut.“

      „Wir spielen immer in den Pausen auf dem Schulhof. Hier in Dolben gibt es, glaube ich, keinen Bolzplatz.“

      „Ziemlich ödes Nest hier, was?“, meinte Tobias.

      „So genau kenne ich mich in Dolben noch nicht aus“, erwiderte Philipp. „Wir wohnen schließlich auch erst vierzehn Tage hier. Wenn du Lust hast, können wir ja mal gemeinsam losziehen und gucken, wo was los ist.“

      „Gute Idee“, freute sich Tobias. „Aber jetzt muss ich meiner Mutter erst mal das demolierte Fahrrad und die zerrissene Hose beichten.“

      Sie hielten vor Tobias’ neuem Zuhause.

      „Kommst du noch mit rauf?“

      „Ich kann nicht. Meine Schwester wartet auf mich. Wir wollen ein neues Spiel auf dem Computer installieren. Wir sehen uns morgen in der Schule.“

      „Du hast einen eigenen Computer?“

      „Mit meiner Schwester zusammen“, nickte Philipp“, hast du auch einen?“

      „Ich bekomme vielleicht demnächst einen eigenen.“

      „Toll“, sagte Philipp. „Also, dann bis morgen!“

      Er wendete sein Rad und rauschte davon.

      „Bis morgen! Und vielen Dank noch mal!“, rief Tobias ihm nach.

      Der Gedanke, schon am ersten Tag einen neuen Freund gefunden zu haben, ließ ihn Schulter und Knie kaum noch spüren.

      … neue Feinde

      „Viel Glück für deinen ersten Tag“, raunte Frau Grüttner ihrem Sohn zu, als sie den langen Flur der neuen Schule entlanggingen, auf der Suche nach dem Rektorzimmer. Sie wusste, dass sie ihn jetzt weder in den Arm nehmen noch ihm einen Kuss geben durfte. Es war ungeheuer peinlich, wenn die anderen einen dabei beobachteten, wie man – als Zehnjähriger – von seiner Mutter geküsst wurde.

      „Danke“, raunte Tobias zurück. „Holst du mich nachher wieder ab?“

      „Klar. Ich will nur erst einmal hören, wann du heute aus der Schule kommst. Dann bringe ich als Erstes dein Fahrrad zur Reparatur und schaue mich dabei gleich in Sanddorf ein wenig um. Um 10.00 Uhr habe ich einen Termin in meiner neuen Kanzlei. Ich soll mich vorstellen. Danach hole dich wieder ab. Ehe wir nach Hause fahren, müssen wir allerdings noch eine neue Hose für dich besorgen, die alte hat ja nicht lange gehalten.“

      Tobias nickte. Seine Mutter war ganz schön erschrocken gewesen, als er gestern Nachmittag nach Hause gekommen war. Nicht nur wegen der Hose und des verbogenen Fahrrades. Sie hatte entdeckt, dass auch die Schulter völlig verschrammt und das Hemd aufgerissen war. Zum Glück hatte er ihr ausreden können, einen Arzt aufzusuchen. Mütter sind immer so übertrieben besorgt!

      „Hier ist es“, sagte seine Mutter und klopfte an die Tür des Schulleiters.

      „Bärmann – Rektor“, stand auf einem kleinen Schildchen neben der Tür. Ein mittelgroßer bärtiger Mann von kräftiger Statur öffnete und begrüßte sie freundlich.

      „Kommen Sie herein und nehmen sie Platz“, sagte er und deutete auf zwei Stühle, die vor seinem Schreibtisch standen.

      „Sie sind neu zugezogen?“, fragte er und blätterte in einer dünnen Akte.

      „Gestern erst“, nickte Frau Grüttner. „Nach Dolben.“

      „Dann müssen wir erst einmal eine Klasse für dich finden“, überlegte er und lächelte Tobias an. „Irgendwelche Wünsche?“

      „5 b“, sagte Tobias spontan, und seine Mutter schaute ihn überrascht an.

      „5 b ist gut“, nickte Bärmann gleichmütig. „Die haben heute eine Stunde eher aus. Hast du das gewusst?“

      „Nein“, erwiderte Tobias wahrheitsgemäß, und sein Herz klopfte ihm vor Freude bis zum Hals. Er hätte sich nicht im Traum vorstellen können, dass man ihn fragen würde, in welche Klasse er gehen möchte! Philipp würde Augen machen!

      „Es wird gleich läuten“, sagte Bärmann“, ich bringe dich in deine neue Klasse. Deine Klassenlehrerin ist Frau Lüttke. Sie wird sich um alles weitere kümmern.“

      Und an Frau Grüttner gewandt fügte er hinzu: „Tobias wird heute um viertel vor Eins aus der Schule kommen.“

      Frau Grüttner bedankte sich und verabschiedete sich von beiden. Als sie auf dem Flur auseinandergingen, winkte ihr Tobias unauffällig nach, was sie ebenso unauffällig erwiderte.

      ***

      Es war 11.45 Uhr, als Tobias zur zweiten großen Pause zum ersten Mal den Schulhof betrat. In der ersten großen Pause hatte er vom Schulassistenten die Bücher bekommen und zu seiner Überraschung festgestellt, dass das Mathebuch das gleiche war, das sie an seiner alten Schule auch schon gehabt hatten. Dann war er mit Philipp und ein paar Klassenkameraden durch die Schule gepilgert und hatte sich mit den Örtlichkeiten vertraut gemacht.

      Er hatte im Großen und Ganzen mit der 5 b eine gute Wahl getroffen. Fünf seiner neuen Klassenkameraden kamen aus Dolben, darunter zwei Mädchen. Sie waren sehr hilfsbereit gewesen, als er heute Morgen neu in die Klasse kam, und Philipp hatte erwartungsgemäß sehr überrascht geguckt.

      Er hatte sich leider neben ein Mädchen setzen müssen, worüber einige ziemlich blöd gekichert hatten, aber neben Philipp oder den anderen Jungen war kein Platz mehr frei gewesen. Da sich Mareike jedoch überhaupt nichts daraus zu machen schien, ihm im Gegenteil gleich ihr Buch herüberschob, weil er noch keines hatte, da hatte es ihn auch nicht weiter gestört.

      Tobias holte tief Luft. Er hätte jetzt gern einen Happen gegessen, hatte aber heute Morgen in der Aufregung sein Brot zu Hause liegen lassen. Der Vormittag hatte ihn ziemlich geschlaucht. So viele neue Eindrücke waren auf ihn eingestürmt, so viele neue Gesichter, so viele Fragen.

      Er suchte in seiner Tasche nach einem Geldstück, um sich beim Hausmeister irgendetwas Essbares zu kaufen, stellte aber fest, dass er – natürlich – eine andere Hose anhatte als gestern. Genau aus diesem Grunde hasste er es, sich umzuziehen, weil alles, was man in diesem Moment brauchte, mit Sicherheit in der Hose steckte, die man gerade nicht anhatte.

      Auf dem Schulhof entstand ein Tumult. Die Schüler liefen in Scharen zusammen und umringten zwei Jungen, die offensichtlich kurz davorstanden, sich zu prügeln. Tobias hatte keine Lust auf weitere Aufregungen und wollte sich gerade abwenden, als er be­merkte, dass einer der Streithähne Philipp war. Und ihm gegenüber standen nicht ein, sondern standen gleich drei Gegner, die ihn ernsthaft bedrohten.

      Tobias bahnte sich eine Schneise durch die Menge.

      „Was willst du Würstchen denn allein gegen uns drei ausrichten?“, hörte er den Wortführer der drei gerade sagen, wobei er Philipp einen kräftigen