Hubertus von Wick

Der verbotene Park


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Mutter lächelte. „Ich habe mich schon gewundert, wieso du unbedingt in diese Klasse wolltest.“

      Das Hauptgericht wurde serviert.

      „Was ist eigentlich mit meinem Fahrrad?“, fragte Tobias und schaufelte sich eine ordentliche Portion Reis auf den Teller.

      „Musste ich für zwei Tage abgeben“, berichtete sie. „Sie müssen das Vorderrad richten. Kriegen sie aber hin, haben sie gesagt.“

      Tobias nickte.

      „Ich habe mich heute Nachmittag mit Philipp verabredet. Wir wollen ein bisschen herumstromern und uns Dolben ansehen“, sagte er.

      „Nichts dagegen“, erwiderte seine Mutter. „Aber komm nicht wieder mit zerfetzten Hosen nach Hause.“

      „Indianerehrenwort“, schwor Tobias feierlich und hob drei Finger seiner rechten Hand.

      Die Hexe und der verbotene Park

      „Lass uns durchs alte Dorf gehen“, schlug Tobias vor. „Dann kannst du mir gleich mal zeigen, wo man hier einkauft.“

      Philipp war einverstanden. Er hatte sein Rad bei Tobias vor der Haustür angeschlossen, als er hörte, dass dessen Fahrrad noch in der Werkstatt war. So marschierten sie los, ein Stück den Hasenring hinunter, dann links durch eine noch unbefestigte Seitenstraße und schließlich quer über ein unbebautes Grundstück, auf dem ein riesiger Berg Mutterboden lag. Sie kletterten rutschend und auf allen vieren den Berg hinauf und rannten ihn auf der anderen Seite wieder hinunter. Dann stiegen sie über einen kleinen Staketenzaun, schlichen über ein fremdes Grundstück und erreichten den alten Dorfkern von Dolben.

      Das alte Dolben war sehr idyllisch. Neben der schmalen Durchgangsstraße lag der Dorfteich umringt von kleinen Fachwerkhäusern, deren Dächer sich beinahe berührten. Ähnlich kleine Häuser standen rechts und links der Straße, manche noch mit Reet gedeckt, unterbrochen von etwas größeren Häusern, die neueren Datums waren und kleine Läden beherbergten. Dort gab es eine Bäckerei, eine Fleischerei, ein Schreibwarengeschäft, das auch Spielsachen führte, und ein kleines Bekleidungsgeschäft. Davon würde Tobias seiner Mutter sicherheitshalber nichts erzählen.

      „Komm, wir quetschen uns zwischen den Fachwerkhäusern durch und schauen mal, wie es auf der Rückseite weitergeht“, schlug Philipp vor.

      Sie gingen am Dorfteich vorbei und scheuchten dabei ein Entenpaar auf. Dann tauchten sie in den finsteren Schlund ein, den die beiden Hauswände mit ihren gerade einmal anderthalb Metern Zwischenraum ließen. Sie hörten Stimmen auf der Rückseite und hielten einen Augenblick inne.

      „Warte einen Moment“, raunte Tobias seinem Freund zu und hielt ihn an der Schulter zurück.

      „Wir können da nicht so einfach durchspazieren, wenn dahinter Leute sind.“

      Philipp legte seinen Zeigefinger auf den Mund, um Tobias zu bedeuten, er solle leise sein, und schlich vorsichtig weiter die Hauswand entlang zum rückwärtigen Teil des Gebäudes. Tobias folgte ihm wenige Schritte auf Zehenspitzen, als er plötzlich eine fast lautlose Bewegung hinter sich wahrnahm. Er wirbelte herum und blieb erstarrt stehen. Direkt vor ihm stand eine alte Frau in einem schwarzen Umhang. Ihr hässliches zerknittertes Gesicht sah aus, als trüge sie eine Maske, und ihre Augen funkelten ihn böse an. Für einen Augenblick dachte Tobias, sein Herz bliebe stehen. Tausend Gedanken rasten durch seinen Kopf. Er dachte an Flucht, kam aber an der Frau, die ihn an eine Märchenhexe erinnerte, nicht vorbei. Nach hinten herauszuflüchten war ebenfalls nicht möglich, dann hätte er wahrscheinlich gleich mehrere Leute auf dem Hals. Und auf Philipp zu hoffen war aussichtslos: der war genauso gefangen wie er selbst.

      Also hieß es, sich seinem Schicksal zu ergeben, was wohl mindestens eine Standpauke bedeutete. Doch es kam anders. Vollkommen unerwartet spuckte die Alte ihm ins Gesicht und packte ihn an der Schulter. Während sie ihn schüttelte, zischte sie ihn in einem eigenartig heiser-krächzenden Ton an:

      „Geht nicht hin. Keiner darf hinein. Es ist verboten. Im Park wohnt der Tod. Niemand kommt aus dem verbotenen Park zurück.“

      Während Tobias noch wie angenagelt und schreckensbleich vor der alten Hexe stand, hatte Philipp schon reagiert. Er hatte das Geräusch des Spuckens gehört, sich umgedreht und die beiden voreinander stehen sehen. Er war herbeigeeilt und hatte gerade noch die letzten Worte der Frau aufgeschnappt. Jetzt riss er Tobias von dem eisernen Griff der Alten los und zerrte ihn zur Rückseite der Häuser hin. Tobias’ Lebensgeister kehrten zurück, er stürzte fast, fing sich aber wieder und folgte Philipp dann mit schnellen Schritten.

      „Los, nach hinten raus!“, kommandierte der und hatte das Ende des finsteren schmalen Ganges schon fast erreicht.

      „Auch Ihr kommt nicht zurück“, rief ihnen die Alte mit heiserer Stimme nach. „Es ist verboten!“

      Entgegen ihrer Erwartung öffneten sich hinter den gedrungenen Fachwerkhäusern keine Gärten, sondern ein Stückchen Wiese, hinter dem sich quer zu den Häusern ein unbefestigter Weg aus dem Dorf herausschlängelte.

      Die Jungen hetzten den Weg hinunter und sprangen hinter dem Dorf in einen tiefen Graben, der zu ihrem Glück noch kein Wasser führte, weil der September sehr trocken gewesen war. Die Böschungen des Grabens waren mit hohem Gras bewachsen. Hier waren sie erst einmal in Sicherheit.

      „Bäh, so ein Schwein“, erregte sich Tobias und wischte sich mit seinem Hemd das Gesicht trocken. „Rotzt die mir glatt ins Gesicht!“

      „Die war doch nicht ganz frisch“, meinte Philipp noch ganz außer Atem. „Oder war sie besoffen?“

      „Ist mir ziemlich egal“, schimpfte Tobias. „Es war jedenfalls ekelhaft. Alte Hexe!“

      Mit einem anderen Stück seines Hemdes wischte er sich noch einmal durchs Gesicht.

      „Was wollte die eigentlich von uns?“, fragte Philipp und lugte vorsichtig über den Böschungsrand hinaus.

      „Die hat nur herumgesponnen“, meinte Tobias und würgte sein Hemd wieder in die Hose. „Aus irgendeinem verbotenen Park kämen wir nicht wieder zurück, weil da der Tod lauert, oder so.“

      „Klingt ziemlich verkalkt“, lachte Philipp.

      Eine Wiesenschnake, im Volksmund „Schneider“ genannt, tänzelte schwerfällig in der Nachmittagssonne zwischen ihnen hindurch und berührte mit ihren langen Beinen zweimal wippend Philipps Haar.

      Der vertrieb sie, indem er energisch den Kopf schüttelte.

      „Wollen wir weiter? Die Luft ist rein.“

      Tobias nickte, wischte sich noch einmal mit dem Handrücken über Mund und Nase und erhob sich. Sie kletterten aus dem Graben und orientierten sich erst einmal, um festzustellen, wo sie waren.

      Vor ihnen lag das alte Dorf, im Hintergrund, etwas nach Süden versetzt, ragte ein Kran in die Lüfte, der im Neubaugebiet stand, das von hier aus selbst aber nicht zu sehen war. Der Weg, auf dem sie standen, führte vom Dorf weg auf ein kleines Wäldchen zu, in das sich ein kleines Haus hineinduckte, als wolle es sich verstecken.

      Die Jungen hatten das Haus fast gleichzeitig entdeckt und schauten sich an.

      „Wollen wir hin?“, fragte Tobias.

      „Ich liebe alte Häuser“, lachte Philipp und trabte los.

      Nach der Erfahrung von eben blieben sie zunächst in vorsichtigem Abstand von dem kleinen Gebäude stehen. Es sah einem Friesenhäuschen sehr ähnlich, wie Tobias es im letzten Jahr in Schleswig-Holstein kennengelernt hatte, als er mit dem Sportverein an der Nordsee war. Das schmale Mittelteil ragte schlank in die Höhe, während rechts und links von ihm die Dachflächen nach vorn zeigten. Diese tief heruntergezogenen Flächen vermittelten tatsächlich den Eindruck, als ducke sich das Haus. Kleine Sprossenfenster hingen ein wenig schief in ihren Fensteröffnungen, und die Haustür bestand aus schweren, zusammengezimmerten Bohlen, die irgendwann einmal mit Farbe angestrichen gewesen waren. Jetzt allerdings sah man nur noch kleine Reste abblätternder Farbe, die darauf hindeuteten,