Monika Luginbühl

Eigenständig im Alltag unterwegs (E-Book)


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vorausgesetzt sie sind dafür motiviert.

       Prozessorientierung

      Lernen ist ein Prozess, für diesen haben sowohl Unter- als auch Überforderung eine demotivierende Wirkung. Es ist daher für alle Zielgruppen wichtig, eine gute Anforderungsbalance zu finden. Die Zielsetzungen können für mehrere Personen gleich, die Etappierungen und Teilziele jedoch individuell sehr unterschiedlich sein in Bezug auf den Schwierigkeitsgrad und das Tempo. Das Gliedern von Lernprozessen in individuell angepasste Teilschritte ermöglicht immer wieder Erfolgserlebnisse und Etappensiege und ist daher für alle Zielgruppen wichtig, um motiviert zu lernen.

      Schritt 4: Fachkompetenz sichern

      Unter Fachkompetenzen werden Fachkenntnisse und fachspezifische Fertigkeiten verstanden, die es für die Bewältigung einer spezifischen Aufgabe braucht. Es geht also darum, einerseits über Wissen und anderseits über das geeignete Handwerk zu verfügen, sowie darum, beides zielführend anzuwenden.

      Nehmen wir das Beispiel Spaghettikochen: Im Bereich der Fachkenntnisse geht es um das Wissen, wie viel Gramm Spaghetti es braucht, wie lange es dauert, bis diese gar sind, welche Sossen zu Spaghetti passen und was es für die Zubereitung braucht. Zudem braucht es Wissen zum Ablauf der einzelnen Arbeitsschritte, also etwa wann und wie die Sosse zubereitet wird und wie lange es dauert, bis die Sosse fertig ist. Auch planerische Kompetenzen sind wichtig, damit die Spaghetti und die Sosse gleichzeitig fertig werden. Im Bereich der fachspezifischen Fertigkeiten braucht es die Wahl einer Pfanne in angemessener Grösse für das Kochen der Spagetti und das Timing, wann die Spaghetti ins Wasser gegeben werden müssen und wie erkannt wird, dass sie gar sind. Bei der Sosse braucht es Fertigkeiten zum Zwiebelnschneiden, und Kenntnisse, was andünsten heisst oder wie viel gewürzt wird. Selbstverständlich fliessen Kenntnisse und Fertigkeiten ineinander. Eine Trennung ist in der Praxis auch nicht nötig. Hingegen ist es wichtig zu erkennen, dass es schwierig ist, jemandem etwas beizubringen, wenn man selbst nicht über die grundlegenden Fachkompetenzen verfügt. Gleichzeitig ist in der Praxis auch ein gewisser Pragmatismus angesagt. Man muss nicht bis ins letzte Detail über Fachkompetenzen verfügen, man kann je nach Kontext auch gemeinsam mit Klient*innen Dinge ergründen und lernen. Je komplexer der Kontext, desto sicherer muss aber die anleitende Person fachlich sein. Eine Gruppe mit mehreren Klient*innen anzuleiten, ohne sich fachlich sicher zu fühlen, ist stressig, was sich negativ auf den Lernerfolg der Klient*innen auswirken kann.

      Schritt 5: Lernzugänge abrufen

      Methodenkompetenzen betrachten wir hier in Zusammenhang mit Pädagogik und Agogik. Als Grundlage dafür ist Basiswissen über die Lerntheorien wichtig. Wir geben Ihnen daher in Annex 4 auf S. 336 einen kurzen Überblick über die wichtigsten Lerntheorien.

      In der Praxis geht es dann um die Frage, mit welchen Lernzugängen ein Lernprozess initiiert wird. Lernzugänge werden auf dem Fundament von Lerntheorien geschaffen, praxisorientiert umgesetzt und sie kombinieren in der Regel mehrere Lerntheorien miteinander.

      Lernzugänge

      Für die Entwicklung einer Lernsituation müssen Sie wie in Schritt 4 erläutert über Fachkompetenz in den zu vermittelnden Inhalten verfügen. Dazu gehören sowohl Fachwissen, das thematisch in die Tiefe geht, wie auch die dazugehörigen Fachmethoden, beispielsweise bezüglich der Planung von Abläufen. Für die Vermittlung der Inhalte stellen wir Ihnen nun in Schritt 5 eine Reihe von Lernzugängen vor. Das Gelingen des Lernprozesses hängt essenziell davon ab, ob der*die Klient*in motiviert werden kann. Diese Motivation wiederum gelingt dann, wenn die individuell passende Form einer Lernsituation mit dem individuell passenden Lernzugang gefunden wird. Wir stellen in diesem Buch befähigendes Lernen ins Zentrum, das heisst wir haben Lernzugänge gewählt, die auf eine hohe Partizipation und einen individuellen Lernprozess fokussieren. Lernzugänge, die auf klassischer oder operanter Konditionierung basieren, haben wir bewusst ausgeklammert, da diese im Kontext der Themen dieses Buches in den meisten Fällen dem Anspruch eines individuellen, befähigenden Lernens nicht gerecht werden. Auch Lernzugänge auf der Basis von «Versuch und Irrtum» schliessen wir weitgehend aus, da beispielsweise einzelne Entscheide potenzielle Konsequenzen von grosser Tragweite wie Verschuldung oder delinquentes Verhalten haben können, da Unfallgefährdung entsteht oder sich ethische Fragen, etwa im Umgang mit Lebensmitteln, stellen. Für die Umsetzung in der Praxis arbeiten wir in diesem Buch mit sieben Lernzugängen, die wir Ihnen in der Folge kurz erläutern.

      Sensorisches Lernen – Lernen über die fünf Sinne: Man spricht auch von multisensorischem Lernen und meint damit, dass wir mit allen Sinnen (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten) lernen und dass Lernprozesse besser gelingen, wenn mehrere Sinne angesprochen werden. Voraussetzung ist jedoch, dass die Lernimpulse und die verschiedenen Sinne im Lernprozess koordiniert werden und sich nicht widersprechen oder konkurrenzieren.[23]

      Beispiel für sensorisches Lernen: Zopfbacken und die einzelnen Arbeitsschritte mit allen Sinnen wahrnehmen: Hefe riechen, Teig kneten und so weiter.

      Exkurs: Visuelle Zugänge

      Visualisierungen sind ein wichtiger Lernzugang für unsere Herangehensweise. Dabei ist es zentral, den Abstraktionsgrad der Visualisierung im Kontext der individuellen Entwicklungsstufe der Klient*innen zu berücksichtigen.[24] Visualisierungen können von sehr konkret bis sehr abstrakt sein:

       Funktionales Objekt: Es wird eins zu eins mit dem Objekt visualisiert, um das es geht. So wird zum Beispiel die Pfanne, die es zum Kochen braucht, gezeigt.

       Repräsentatives Objekt: Ein konkretes Symbol oder ein Teil eines Objekts verweist auf das Objekt, beispielsweise wird ein Topflappen als Symbol für eine heisse Pfanne benutzt.

       Miniatur: Ein verkleinertes Objekt steht für das Original. Beispielsweise kann eine Puppenpfanne die echte Pfanne symbolisieren.

       Foto: Bei Fotos gibt es wiederum mehrere Abstraktionsebenen, so etwa ein Bild von genau der Pfanne, die später benutzt wird, ein Bild einer ähnlichen Pfanne oder das Symbolbild einer Pfanne.

       Zeichnung: Der Gegenstand wird grafisch dargestellt, zum Beispiel mit der Zeichnung einer Pfanne.

       Piktogramm: Eine schematische Zeichnung, hier beispielsweise der Pfanne, wird angefertigt.

       Symbol: Ein Symbol weist auf einen Gegenstand hin, eine kleine Pfanne bedeutet beispielsweise, dass das Rezept für eine Einzelperson berechnet ist, eine grosse Pfanne symbolisiert die Mengen für 4 Personen.

       Buchstaben: Diese sind die abstrakteste Form der Visualisierung. So symbolisiert etwa die Buchstabenfolge PFANNE den Gegenstand.

      Observatives Lernen – Lernen durch Beobachten: Dieser Lernzugang orientiert sich am Lernen am Modell nach Albert Bandura. Differenzieren wir diesen Zugang, dann können folgende Stufen daraus abgeleitet werden:[25]

       vormachen und erklären,

       anleiten,

       unterstützen,

       Hilfestellung abbauen.

      Während die ersten beiden Schritte dem Schema «Beobachten und nachmachen» folgen, werden die beiden darauffolgenden Schritte, wenn sie wiederholt geübt werden, via Habituation zur Routine für Abläufe, die sich situativ wenig ändern.

      Beispiel für observatives Lernen: Jede Woche auf der Wohngruppe einen Zopf backen und den Klient*innen zunehmend mehr Selbstverantwortung für die einzelnen Teilschritte übergeben.

      Motorisches, manuelles Lernen – Lernen durch praktisches Ausprobieren: Dieser Zugang ist eine Mischung der Lerntheorien «Lernen durch Versuch und Irrtum» und «Habitation». Je nach didaktisch-methodischem Aufbau erfolgt dieser Zugang nach dem observativen Lernen oder auch zu Beginn in einer eher experimentellen Art.

      Motorisches,