Hauses mit einem bolschewistischen Partisanenstern versehen. Als deutlich sichtbares Siegeszeichen des Kommunismus über den Faschismus. Viertes Kapitel: Gegenüber dem Hochhaus befindet sich heute das Hauptquartier der örtlichen HDZ-Parteizentrale, der konservativen Kroatischen Demokratischen Union, welche den derzeit regierenden Premierminister in Kroatien stellt. Die Funktionäre dieser Partei blicken nun aus ihren Bürofenstern genau auf diesen Stern, betrachten aber angeblich diese Installation nicht als Kunst, sondern als unerwünschte ideologische Propaganda. Daher sehen sie sich veranlasst, den sozialdemokratischen Bürgermeister öffentlich aufzufordern, in der Uniform von Marschall Tito durch Rijeka zu laufen. Auch weniger sensible Naturen spüren das Brodeln und erwarten jeden Moment das Überkochen der Gemüter. Im Falle des Sterns, so schreibt die Večernji list (die Novi list hat die Kommunikation mit dem Bürgermeister erneut auf Eis gelegt), entschied sich der Künstler für ein ungewöhnliches Schweigen der Presse gegenüber und ignoriert das Interesse der Öffentlichkeit. Der Kontext zur Platzierung des Sterns in der Innenstadt musste daher vom Bürgermeister mit Hilfe des Kulturministers der Stadt erklärt werden. Diese können aber in einer solchen Installation nichts Kontroverses erkennen und wollen sich außerdem nicht in künstlerische Freiheiten einmischen. Als nächstes Projekt plant der Künstler im Rahmen eines gastronomischen Festivals, den Bürgern am 1. Mai ein „essbares Manifest der kommunistischen Partei der Vereinigten Bürger von Rijeka“ zu kochen. Das hört sich fast so originell an wie mein Kolumnen-Rezept.
Nela, die in den Siebzigerjahren Chemie studiert und beim jugoslawischen hydrografischen Amt Niederschlagssummen und Wasserstände kontrolliert hat, läuft gerade in Richtung Siedetemperatur hoch. Ich wage es nicht, sie zu unterbrechen. Von ihr erfahre ich, dass hierzulande alles schiefläuft. Und zwar seit genau dem Zeitpunkt, als sich bedauerlicherweise der Staat Jugoslawien aufgelöst hat. Und seitdem es diesen komischen Staat Kroatien gibt. Früher war eben alles viel besser. „Wirklich alles?“, frage ich erstaunt. „Also, da gibt es doch einiges, was …“ – „Ja, es war wirklich alles besser“, fällt mir meine Gesprächspartnerin ins Wort, dann erzählt sie, wie schön ihre Kindheit, wie wunderbar ihre Jugend war und wie herrlich das Erwachsenenleben, in welchem man tun und lassen konnte, was man wollte, und von allem in Hülle und Fülle vorhanden war. Ich sage nichts und komme mir vor wie einer jener Fischer, welche mit ausgelegter Angel dösend an der Mole sitzen, dem Plätschern der Wellen lauschen und erst aufschrecken, wenn die Kurbel rattert. Auch ich lausche stumm den Geschichten aus glanzvolleren Zeiten. Nur wenn sich ein Fisch in Nelas historischem Reservoir als vollkommen ungenießbar herausstellt, melde ich Widerspruch an. Dann entstehen stürmische Diskussionen, unsere Meinungen schlagen aufeinander wie die Schiffsbuge an die Schutzbojen der Hafenmauer, wenn die Bora bläst, die Wellen hochgehen und die Gischt bis auf die Straßen schwappt. Außer der berüchtigten Bora stürmen hier noch viele andere, etwas weniger berühmte Winde, sie kommen aus allen Richtungen und jeder Wind weht in verschiedenen Jahreszeiten in mehreren Variationen, und jede Variante hat einen eigenen Namen. Dieses vertraute, ja, fast familiäre Verhältnis der Einheimischen zu den Stürmen finde ich sehr nett, und selbst die böseste Bora wird nicht gehasst und verteufelt, sondern mit einem nachsichtigen Gleichmut und sogar mit einem gewissen Stolz ertragen, so wie man sich mit seinem bockigen und wilden, aber blitzgescheiten Kind abfindet. Und unter tosendem Sturmrauschen erklärt mir Nela immer wieder: Dieses Land ist in einem katastrophalen Zustand! Seitdem hier die Demokratie herrscht, geht alles den Bach hinunter. Unter Tito hat alles viel besser funktioniert! Eigentlich war es das beste System der ganzen Welt! Und überhaupt, die Demokratie! Was glaubst du denn – was soll daran besser sein? Ich möge ihr bitte die Vorteile einer Demokratie aufzählen. Ja, hm, stottere ich, der Mensch ist frei, kann wählen und alles sagen, was er denkt … Das war doch in Jugoslawien auch so, klärt sie mich auf. Alles sei perfekt gewesen. Die Wirtschaft lief sehr gut, die Schulen und Unis waren ausgezeichnet, das Land blühte und gedieh prächtig. Wir haben so fantastisch gelebt, du hast gar keine Ahnung. Sie redet sich in Rage, ich mache schlapp, halte den Mund, schlürfe meinen Milchkaffee und warte, bis sie mit ihren Beinen wieder auf den Boden kommt.
Erschöpft, aber glücklich sitze ich danach in meinem Dachgeschoß und lese eine Zeitungskolumne über ein Kanalproblem, welches in einem Wohnviertel aufgetreten ist. Vor ungefähr drei Jahren! Das Problem scheint noch nicht gelöst zu sein, denn der Kolumnist gibt sich wirklich alle Mühe, das marode Abwassersystem durch den sprichwörtlichen Dreck zu ziehen. Vermutlich sind Kolumnenschreiber doch nur arme Schweine, die aus einem einzigen Regentropfen eine turmhohe Gewitterwolke aufblasen müssen. Gleichzeitig müssen sie aber auch Genies sein, weil ihnen auch das Umgekehrte gelingen muss, nämlich einen Megaskandal in eine winzige Zeitungsspalte zu stopfen. Da es aber nur jeden dritten Tag einen Megaskandal gibt, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als an den mageren Tagen nachrichtenmäßigen Kleinvieh-Mist vom Boden abzukratzen. Und wenn der auch schon plattgefahren ist oder überhaupt fehlt, können sie nur noch die zurückgebliebenen Reste aufsammeln. Den Beweis, dass auch Zeitungsredaktionen bestrebt sind, nach streng ökologischen und nachhaltigen Prinzipien zu arbeiten, liefern Kolumnisten mit ihren Kolumnen, die ja nichts anderes sind als journalistische Reststoffverwertung.
Ein gewisser Herr Zlatan ruft mich an und fragt, ob ich im Falle eines Treffens seinen Kaffee bezahlen würde. Da mich außer Nela bis jetzt noch niemand anderer bezüglich meines Inserates kontaktiert hat, unterdrücke ich meine Skepsis und versichere dem Anrufer, dass sein Kaffee natürlich auf meine Kosten gehe. Man sollte nicht am falschen Fleck sparen. Ein kleiner Espresso kann durchaus eine geistreiche Kolumne zur Folge haben. Herr Zlatan kommt aber nicht zum vereinbarten Treffen ins Café Bordel, ich warte eine Stunde, dann ist auch die hier übliche Zeittoleranzgrenze überschritten. Auf dem Weg nach Hause kaufe ich für zwölf Marderfelle (die wörtliche Übersetzung der kroatischen Währung) die Inseratenzeitung Oglasnik. Sie erscheint einmal in der Woche. Die Annoncen für Bekanntschaften mit nicht ausgeschlossener Heirat nehmen vier Seiten ein, ich studiere sie genau. Der Großteil ist durchaus interessant und klingt vielversprechend, allerdings haben die meisten der Suchenden ihren Wohnsitz auf einer der zahlreichen Inseln, Riffe oder Felsklippen im Adriatischen Meer. Gewiss ist es dort wunderschön, allerdings könnte dort das Angebot an Tageszeitungen nicht ganz meinen Erwartungen entsprechen. Ich wandere weiter zur Rubrik „Zum Geschenk“. Es handelt sich dabei vor allem um Anfragen. Gelegentlich steht auch die berufliche Tätigkeit des Inserenten dabei. Ein Pensionist wünscht sich ein Garagentor, ein Heimatverteidiger einen Opel Kadett in fahrbarem Zustand und ein ehemaliger Lehrer ein Küchenmesser. Ich wähle die Telefonnummer, die unter „Verschenke alle Ausgaben der Zeitung Borba. Selbstabholung“ steht. Borba (deutsch: Der Kampf) war die Parteizeitung der kommunistischen Partei Jugoslawiens und erschien bis vor zwölf Jahren zuletzt in Serbien. Ein Piepton ist zu hören, danach meldet sich eine Computerstimme, die mich darauf aufmerksam macht, dass es unter dieser Nummer keinen Anschluss gibt.
In Angelegenheit der zukünftigen Euro-Münze meldet sich nun auch die serbische Zentralbank zu Wort und meint, dass man sich nicht das kulturelle und wissenschaftliche Erbe des serbischen Volkes wegnehmen lassen sollte, schon gar nicht von jemandem, mit dem man verwandt ist. Man kündigt an, entsprechende Schritte einzuleiten. Daraufhin erteilt sich der kroatische Premierminister das Wort und betont, dass es eine besonders großzügige Geste seitens seines Volkes sei, Nikola Tesla für das kroatische Geld auszuwählen, zumal dieser ja serbischer Nationalität sei, wenn auch in Kroatien geboren. Während die Sandkistenspielchen munter weitergehen, dringen aus der Ferne alarmierende Nachrichten.
Café Monte Cristo
Am helllichten Tag verdunkelte sich plötzlich die ganze Stadt, eine dichte Wolke zog vom Hafen bis auf den Hügel von Trsat. „Ich bin am Balkon gesessen“, erzählt ein Anrainer, „und habe nur schwarzen Rauch gesehen. Es ist immer mehr und mehr geworden. Dann habe ich schon die Sirenen gehört.“ Zwischen dem Terminal und dem Bahnhof ist ein Feuer ausgebrochen. Die ganze Stadt ist in dunklen Nebel gehüllt, der von der Müllhalde weht. Als Ursprung der Rauchentwicklung wurde eine Auto- und Schrottverwertungsanlage am Hafen identifiziert. Es gibt ein gravierendes Versorgungsproblem. Die Müllabfuhr wurde in den letzten Wochen um achtzig Prozent teurer. Die Bürger von Rijeka fragen sich, warum sie für ein Müllabfuhrsystem, welches am schlechtesten von allen Müllabfuhrsystemen im Land funktioniert, zehnmal so viel