Einführung mit Quellen: Spieß, Lehnswesen in Deutschland.
18Vgl. Justine Firnhaber-Baker, Seigneurial Violence in Medieval Europe, in: Matthew S. Gordon u. a. (Hg.), The Cambridge World History of Violence, Bd. 2, Cambridge 2020, 248–266.
19Zu den Staatsbildungsprozessen im Spätmittelalter: Watts, The Making of Polities. Vgl. auch die methodisch stark politikwissenschaftlich modellierende, die unterschiedlichen Entwicklungspfade betonende Arbeit von Ertman, Birth of the Leviathan.
20Reinhard, Staatsgewalt, 171–179.
21Watts, The Making of Polities, 207–219; Reinhard, Staatsgewalt, 281–306.
22Watts, The Making of Polities, 384–386.
23Tilly/Blockmans, Cities and the Rise of States.
24Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 741–757.
25In Zusammenfassung einer langen Forschungsdiskussion: Birgit Emich u. a., Stand und Perspektiven der Patronageforschung. Zugleich eine Antwort auf Heiko Droste, in: Zeitschrift für Historische Forschung 32 (2005), 233–265. Blockmans u. a., Empowering Interactions.
26Zum Folgenden konzise: Stollberg-Rilinger, Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation; Gotthard, Das Alte Reich 1495–1806 (v. a. Kap. 1).
27Moraw, Von offener Verfassung.
28Susanne Friedrich, Drehscheibe Regensburg. Das Informations- und Kommunikationssystem des Immerwährenden Reichstags um 1700, Berlin 2007.
29So etwa Ralph Bollmann, Heiliges Römisches Europa. Staatenbund oder Bundesstaat, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 11. Dezember 2012.
2. Krieg und Staatsbildung in der Frühen Neuzeit
Dass der Krieg ein großer Staatsbildner ist, ist evident und gewissermaßen ein Glaubenssatz der Politikgeschichte. Wer in der Lage ist, sich die ökonomischen und militärischen Ressourcen zu verschaffen, um über eine längere Dauer Heere in Operation zu halten, seine eigene Gesellschaft als Kriegsgesellschaft zu organisieren, Gebiete zu erobern und zu verwalten, der kann auch einen Staat bilden. Das gilt selbst dann, wenn der Krieg am Ende verloren wird. Der Bolschewismus hat auf der Basis einer disziplinierten Kriegsgesellschaft, jedoch nach einem katastrophal verlorenen Krieg, eine ganz neue Staatlichkeit ausgebildet. In diesem Zusammenhang sind die großen und langen Kriege der Frühen Neuzeit, allen voran der Dreißigjährige Krieg, als „Staatsbildungskriege“ bezeichnet worden.1 Man könnte also sagen: Im Krieg entsteht – mehr oder weniger unintendiert – der Staat.
Sowohl von Historikern, Politikwissenschaftlern als auch Soziologen ist die entgegengesetzte Perspektive ins Spiel gebracht worden: dass staatliche Strukturen zu dem Zweck aufgebaut werden, Kriege zu führen.2 Kriegführung ist über weite Strecken der Geschichte die essenzielle Aufgabe (und das Ziel) des Staates. Wenn einer einen Krieg führen will, braucht er staatliche (oder zumindest parastaatliche) Strukturen: ein Geldschöpfungssystem (ob über Steuern oder schnöden Raub), militärisches Personal (ob als Söldner, zwangsgedungen oder als professionelle Kriegerklasse), einen Verwaltungsstab, der einen Krieg organisieren kann.
Welche der beiden Theorien die „richtige“ ist, kann hier nicht entschieden werden und ist auch wahrscheinlich nicht entscheidbar.3 Wir haben es mit einem Bedingungsverhältnis zu tun, das Charles Tilly in die berühmte Formel gebracht hat: „War made the state, and the state made war.“4 In jedem Fall aber gilt, dass die beiden Jahrhunderte nach 1500 in Europa diejenige Epoche sind, in der die innige Verbindung von Krieg und Staat am ausgeprägtesten war. Es handelte sich um die friedloseste Zeit der europäischen Geschichte. In 95 Prozent der Jahre herrschte Krieg; durchschnittlich alle drei Jahre wurde ein neuer begonnen, und Dauer und Ausmaß der Kriege nahmen dramatisch zu – bis hin zum Dreißigjährigen Krieg in Mitteleuropa. Die modernen Staaten haben ihre Existenz in diesen Kriegen gesichert und ihre Kapazitäten ausgebaut; andere sind verschwunden und zu bloßen Regionen herabgesunken.
2.1 Die Bellizität der Epoche 5
Warum in dieser Zeit die Gewalt so explodierte, ist nicht leicht zu sagen. Ein erster Grund war vermutlich militärtaktischer und militärtechnischer Art. Der britische Historiker Michael Roberts hat in den 1950er Jahren die These von einer militärischen Revolution im 16./17. Jahrhundert vertreten.6 Die Niederlande und Schweden, so der Schwedenhistoriker Roberts, hätten demzufolge eine neue Infanterietaktik (die Lineartaktik mit einer geschlossenen Schlachtreihe) eingeführt, die (Disziplin vorausgesetzt) sehr viel effizienter funktionierte als die vorherigen losen Haufen. Die These von der Militärischen Revolution ist seither intensiv diskutiert, differenziert und ergänzt worden, vor allem dahingehend, dass derlei Neuerungen bereits seit dem Spätmittelalter zu beobachten sind, und dass weitere Momente dafür ausschlaggebend waren, etwa im Befestigungswesen. Statt einfache Mauern wurden nun nach italienischem Vorbild sternförmige Bastionen gebaut, die einen Sturmangriff leichter abwehren ließen und gegenüber den neuen Kanonen besser gesichert waren. Die Heeresgröße änderte sich deutlich, bedingt durch die Ablösung der gepanzerten Ritter durch billige Fußsoldaten: von ca. 20.000 Soldaten, die sich im Jahre 1500 auf dem Schlachtfeld einfanden, auf ca. 150.000 im Dreißigjährigen Krieg. Die neuen Feuerwaffen führten jedoch dazu, dass Feldschlachten eher gemieden wurden und Belagerungen höher im Kurs standen. Dabei lag der Hauptvorzug von Muskete, Arkebuse und Feldkanonen in der ungleich höheren Durchschlagskraft, nicht in einer schnellen Schussfolge. Ein Bogenschütze konnte bis zu 15 Pfeile pro Minute abschießen, ein Musketenschütze maximal einen Schuss abgeben. Die Zielgenauigkeit war gering. Die oranische Heeresreform hat in den Niederlanden in den 1590er Jahren dann diesen Nachteil durch die Einführung des Contremarsches auszugleichen gesucht, bei dem die Schützen der ersten Reihe nach dem Schuss zurücktreten und denen der zweiten Reihe Platz geben, während sie selbst wieder laden können. Dadurch wurde ein ununterbrochener Kugelhagel möglich.
Nach Jahrzehnten der Diskussion und intensiver empirischer Forschungen würde man heute nicht mehr von einer zentralen Revolution sprechen und auch den Zeitrahmen nicht mehr so eng fassen, wie dies Roberts tat. Die Militärische Revolution wird vielmehr – aufgelöst in mehrere Revolutionen – als eine sich selbst verstärkende Innovationsdynamik verstanden, die seit dem späten 15. Jahrhundert die staatliche Handlungsfähigkeit von ständigen militärischen Neuerungen – taktischer, technologischer oder strategischer Art – abhängig machte. Da Kriege das wesentliche Tableau waren, auf dem staatliche Konkurrenz sich äußerte (und sehr viel weniger ökonomischer oder ideologischer Wettbewerb), brachten militärische Neuerungen einen relevanten Standortvorteil, weshalb jeder Staat darauf erpicht sein musste, in dieser Hinsicht die Nase vorne zu haben. In der Rückschau aus dem 21. Jahrhundert fragt sich freilich, ob diese Innovationslogik jemals an ein Ende gekommen sei, anders formuliert: ob die damals angestoßene Militärische Revolution nicht seither zu einer permanenten Revolution geworden sei. Fraglos aber hat sich an der Wende zur Neuzeit ein Schub an militärischen Innovationen ergeben, ohne die die Bellizität der Epoche nicht zu erklären ist, die aber etwa auch den europäischen Militärformationen systematische Vorteile über andere Gesellschaften zuteilwerden ließ, weshalb Geoffrey Parker die Militärinnovationen ursächlich mit dem Aufstieg des Westens in Verbindung bringt.7 Dass die osmanische Expansion nach Europa am Ende des 17. Jahrhunderts zum Stehen kam, ist auch darauf zurückgeführt worden.
Auf diesen militärischen Innovationen ruhte – zweitens – der Erfolg der ständischpartikularen Anerkennungskämpfe auf, die verschiedene Regionen aus den größeren politischen Zusammenhängen herauslösten: die Schweiz, die sich noch im Mittelalter verselbständigte; die „Generalstaaten“ (= Generalstände) der Niederlande, die kriegerisch aus dem Habsburgerreich ausschieden, und zwar gestützt auf ihr wehrhaftes Bürgertum, was den Niederlanden in marxistischer Lesart die Ehre