und dem des Feindes klarer definiert wurde und dass damit präziser bestimmbar wurde, wann der Kriegsfall eintrat: nämlich bei der Überschreitung dieser Grenze.12 Das galt vor allem für die sich langsam entwickelnden Nationalstaaten. In den Imperien – dem Osmanischen Reich, dem Habsburgerreich, dem Russischen Reich –, in denen Grenzen ohnehin nicht klar bestimmbar waren und deshalb eher von Grenzzonen als von Grenzlinien gesprochen werden muss, war das weniger der Fall. Aber Nationalstaaten beschrieben sich durch klare Grenzen, die sie durch den Bau von Verteidigungsanlagen präzise festlegten; umgekehrt wurde auch ihre Entwicklung durch die klarere Bestimmung von Grenzen begleitet. Der französische Festungsbauer Sebastian de Vauban, Pionier seines Faches, zog einen Ring von hochentwickelten Festungen um das, was nun als „Frankreich“ zu gelten hatte. Diese Festungen dienten nicht nur als Verteidigungsorte und als permanente Drohung gegen den Nachbarn, sondern auch als Zeichen nach innen: Hier herrschte nur der französische König. Die klare Abgrenzung von Territorien diente demgemäß ebenso der Durchsetzung eines einheitlichen Rechts wie auch der finanziellen Abschöpfung. „Untertan“ – später sollte der Staatsbürger daraus werden –, war nun derjenige, der auf diesem Territorium lebte, von gewissen Ausnahmen abgesehen. Und auf diesen Untertanen hatte die Obrigkeit Zugriff, nicht nur in ökonomischer oder militärischer Hinsicht, sondern auch, was seinen Glauben betraf. Diese territoriale Grenzziehung hatte sich schon mit dem Prinzip „Cuius regio, eius religio“ des Augsburger Religionsfriedens von 1555 angedeutet. Der Westfälische Friede von 1648 stellte dieses Prinzip auf Dauer. Danach wurden eindeutige Grenzziehungen zu einem Standardmoment auf Landkarten, um unterschiedliche Staaten zu bezeichnen.
An den Rändern Europas waren diese Grenzen auch Kulturgrenzen, was ebenfalls nicht hieß, dass dies „harte“ Grenzen waren. Die Grenze zur muslimischen Kultur, etwa an der iberischen frontera, war das ganze Mittelalter hindurch nicht nur kriegerische „heiße Grenze“, sondern auch Zone des Austauschs. Gleichzeitig haben diese Grenzgesellschaften den Aufbau staatlicher Strukturen erleichtert, weil hier die Ressourcen so energisch wie möglich zusammengehalten und mobilisiert werden mussten.13 Man könnte zuspitzen: Die – kriegerische oder friedliche – Grenze zur muslimisch-arabischen Kultur war ein Grund dafür, warum sich in Spanien ein Staat im modernen Sinn relativ früh ausgebildet hat.
Im Unterschied zu den Menschen, für die der permanente Krieg die Planung der Zukunft erschwerte, führte er für die entstehenden Staaten dazu, dass sie strategischer zu wirtschaften begannen, weil sie ja damit rechnen mussten, dass nächstes Jahr wieder Krieg war. Dadurch veränderte sich der Blick auf Land und Leute. Die Fürsten begannen ihre Territorien als ökonomische Einheiten zu sehen, die für politische (meist: militärische) Zwecke zu gestalten und strategisch auszubeuten waren. Die Frage, ob man mehr ein- oder ausführe, ob man sozusagen am Handel verdiente oder draufzahlte, war die Leitfrage einer neuen Wirtschaftspolitik, die sich im 17. Jahrhundert zunächst in Frankreich etablierte, dann aber auch in anderen Ländern aufgenommen wurde. Sie hat den Namen „Merkantilismus“ erhalten, ein Begriff, der inzwischen in die Kritik geraten ist, weil er sehr viele unterschiedliche Wirtschaftspolitiken zusammenfasst und eine einheitliche „Idee“ suggeriert.14 Aber einiges war doch geteilt zwischen einer französischen, auf die Intensivierung von innerstaatlichem Handel fokussierten Politik, einer „kameralistischen“ Politik in Deutschland, die nach den die staatlichen Finanzen zerstörenden ewigen Kriegen die Staatsfinanzen restaurieren wollten, oder der britischen Politik, die auf Außenhandel und Infrastruktur setzte:15 Ausgehend von der Vorstellung, dass der Reichtum der Welt sich nicht vermehrt, sondern stets nur anders verteilt werden kann, wollte diese Wirtschaftspolitik möglichst viel Reichtum im eigenen Land ansammeln. Das konnte geschehen durch eine aktive Außenhandelspolitik, die eine positive („aktive“) Wirtschaftsbilanz zustandebringen sollte und deshalb die Einfuhrzölle drastisch erhöhte. Das konnte auch dadurch geschehen, dass im Inneren Binnenzölle eingeschränkt, Manufakturen und Handelsbetriebe gefördert und eine effizientere Besteuerung erreicht werden sollte (ohne allerdings die Privilegien von Adel und Kirche anzutasten). Es konnte auch geschehen durch die Ansiedlung ökonomisch aktiver und innovativer Gruppen, wie etwa der in Frankreich verfolgten Hugenotten in Preußen seit dem späten 17. Jahrhundert. Für alles dies benötigte man eine effizientere Verwaltung; das Handels- und Gewerbebürgertum wurde gefördert. Es entwickelte sich die Idee eines staatlichen (und langsam auch: nationalen) Gesamteinkommens, das in Konkurrenz zu anderen Staaten die Machtressourcen definierte. Auch dafür bedurfte es eines klaren Wissens vom staatlichen Raum und seinen Bewohnern, das im 18. Jahrhundert unter dem Begriff der „Statistik“ (= Wissenschaft vom Staat) systematisiert wurde.16 Die entstehenden Staaten förderten systematisch wirtschaftliche Aktivitäten und suchten deren Bedingungen zu verbessern; sie etablierten regelmäßige Steuersysteme, die durch den Krieg (und für den Krieg) auch besser begründbar waren, aber vor allem auf einen ständigen Geldzufluss zielten. Zunft- und Zollschranken wurden abgebaut, die Existenz einer Marktökonomie erleichtert und so die Entwicklung des Kapitalismus unterstützt. Sofern sie Zugang zu kolonialen Ressourcen hatten, wie Spanien und Portugal in der ersten Phase, die Niederlande und dann England und Frankreich danach, so versuchten sie diese im Sinne des Staatshaushaltes auszubeuten.
2.3 Krieg, Staatsbildung und europäische Expansion
Die (kriegerische) Konkurrenz spielte sich auch außerhalb des europäischen Territoriums ab; mehr noch: Man kann die Herausbildung des modernen Staates nicht ohne die gleichzeitig vor sich gehende Kolonisierung der außereuropäischen Räume verstehen.17 Sie war nicht nur ein Ort, an dem die Konkurrenten aufeinandertrafen, die Eroberung außereuropäischer Räume war nicht nur Zweck der Konkurrenz. Sondern sie war auch Mittel, insofern sie Ressourcen abzuschöpfen ermöglichte, die sich wiederum trefflich zum Zweck der europäischen Machterweiterung einsetzen ließen.18 Die globale Expansion lieferte neue Finanzmittel – nicht zuletzt Edelmetalle –, neue Waren und Märkte, sie führte aber dazu, dass Außereuropa selbst zum Schauplatz für die neue staatliche Konkurrenz wurde. Im Siebenjährigen Krieg wurde auch in Amerika und Asien im Zeichen einer europäischen staatlichen Konkurrenz gekämpft. Der Niedergang der iberischen Kolonialmächte der ersten Stunde zugunsten Großbritanniens und der Niederlande zeigte sich in überseeischen Niederlagen gegen die europäischen Konkurrenten. Mehr noch: Es war gerade die politische Fragmentierung, die Konkurrenz, die den europäischen Staaten gegenüber den teils (noch) weiter entwickelten asiatischen Großreichen die Durchsetzung ermöglichten. Denn die Konkurrenz brachte es mit sich, dass eine andere Macht übernahm, wenn die eine sich als überfordert erwies oder ihre Schwerpunkte änderte. Ein Herrscherwechsel, der sonst die Dinge oft völlig neu aufstellte, war in den europäischen Staaten weniger wichtig, weil hier die Struktur schon meist über die Person dominierte. Umgekehrt erforderte die Organisation der Herrschaft in den eroberten Gebieten einen Ausbau der staatlichen Kapazitäten auch „zuhause“. Ein regelmäßiges Berichtswesen, eine Entwicklung von (häufig staatlich-privatem) Personal, die Etablierung von Verkehrsverbindungen und die Ausrichtung der heimischen Wirtschaft auf die außereuropäischen Rohstoffe: Auch hier musste der Staat seinen Handlungs- und Beobachtungsraum erweitern. Natürlich besaß der spanische König nicht, wie er behauptete, vollständige Kenntnis von allem, was in seinem Reich vor sich ging.19 Aber diese Behauptung formulierte den Anspruch, dass er als oberster Regent dort präsent blieb.
Die Konkurrenz der jungen Staaten in the making war also ein maßgeblicher Anschub für die Expansion, mehr noch: Der frühmoderne europäische Staat war am Ende auch der eigentliche Sieger der kolonialen Expansion. Die Staatsbildungsprozesse wurden bedeutend beschleunigt, ebenso die finanziellen Spielräume erweitert, und auch gegenüber außereuropäischer Konkurrenz wie etwa dem ebenfalls expansionistischen Japan gerieten die europäischen Staaten in die Vorhand.
2.4 Zonen verdichteter Bellizität
Aus der überbordenden Masse an Kriegsgeschehen im Europa der Frühen Neuzeit werden hier nur drei verdichtete Zonen ausgewählt, die einerseits die Zeitgenossen tief