des Jahres gefeiert wurde, demaskiert der Kultfilm alle humanistischen Interpretationen spielerisch als Vermeidungsstrategien. An ihre Stelle tritt eine hedonistisch-rebellische Haltung. Die Utopie von der Erschaffung des Lebens entlarvt sich als männliche Allmachtsphantasie von der Überwindung der ödipalen Struktur, darauf ausgerichtet, die Gebärfähigkeit der Frau zu übertrumpfen. In der Rocky Horror Picture Show wird die erotische Beziehung Frankensteins zu seinem Geschöpf nicht länger nur angedeutet wie im ›Ur-Frankenstein‹: Der bisexuelle Transvestit Frank N. Furter erschafft sich einen Gespielen. Er ruft die Idee des neuen, der polymorphen Lust offenen Menschen aus und stellt mit seinem Geschöpf den Prototyp vor, dessen stilisierter Körperlichkeit nichts Beängstigendes mehr anhaftet: Das furchterregende Monster wird zum allseits begehrten Lustobjekt, der Schöpfungsakt zum Happening. Den in Whales Verfilmung präsenten Vorwurf der Vermessenheit deutet der Schöpfer in selbstbewusstem Stolz um: »In just seven days I can make you a man!«, ganz im Sinne des camp, der »Erlebnisweise, die das Ernste ins Frivole verwandelt« (Susan Sontag).
Nicht ins Komische, sondern ins Körperliche überzeichnet wird das Frankenstein-Thema in einem der ersten Splattermovies der Filmgeschichte: Paul Morrisseys Flesh for Frankenstein, 1973 unter der Trademark ›Andy Warhol‹ produziert, gipfelt in einer Schlusssequenz voller body horror, die die Entleiblichung des Leibes, das Zerlegen des Körpers in seine Bestandteile in all seiner blutigen Drastik zeigt. Statt in ein unabhängiges Leben zu fliehen, öffnet das Geschöpf mit bloßen Händen seinen eigenen Körper und reißt sich die Eingeweide heraus. In diesem brutalen Ausgang zeigt sich eine anthropologische Dimension des Frankenstein-Mythos, die den Leib des Menschen als die Hülle seiner Leiden begreift und ihn deshalb für unteilbar hält. Der Wunsch nach der Zeugung einer ›reinen Rasse‹, wie er auch in Mary Shelleys Roman als Allmachtsphantasie schon angelegt ist, wird in seiner faschistoiden Bedenklichkeit thematisiert. So findet das grausame Ende in einem Keller statt, der in seinem geradlinigen Monumentalismus an faschistische Architektur erinnert. Im Hintergrund streckt eine Skulptur die Hand wie zum Hitlergruß empor. Auch der unverkennbar deutsche Akzent Udo Kiers als Frankenstein ist als klarer Hinweis auf die ideologische Bedeutung seiner eugenischen Experimente zu verstehen. Als er seine Objekte zerstört vorfindet, ruft er wie eine schaurige Drohung aus: »But my work will live on!«
Das Endduell zwischen Schöpfer und Geschöpf aus der Literaturvorlage unterschlagen alle Frankenstein-Filme – bis sich Kenneth Branagh 1994 mit dem Vorsatz besonderer Werktreue des Romans annahm. In seinem Mary Shelley’s Frankenstein mit ihm selbst als Dr. Frankenstein und Robert de Niro als dessen Geschöpf in prothetischem Ganzkörper-Make-up inszeniert er die ultimative Konfrontation, in der sich Kreatur und Schöpfer am Nordpol fernab jeglicher Zivilisation gegenüberstehen, um ihre Kräfte zu messen. Umgeben vom unendlichen Eis, von einer ewig unkontrollierbaren Naturgewalt wird der vermessene Mensch nun gemessen an Gottes Schöpfung und auf seine Bedeutungslosigkeit verwiesen. Obgleich er sich am genauesten an die Vorlage hält, wurde an Branagh viel Kritik geübt. Tatsächlich ist der Regisseur stets bemüht, jede Aktion seiner Figuren zu rechtfertigen, jegliche Stellungnahme immer rasch zu relativieren. Doch gerade in dieser Haltung der ›Political Correctness‹ liegt die Deutung des Frankenstein-Komplexes für die neunziger Jahre: In Branaghs ›postmoderner‹ Prometheus-Fabel werden alle Fragen noch einmal gestellt, aber keine mehr beantwortet.
Stefanie Weinsheimer
Literatur: George Levine / Ulrich C. Knoepflmacher (Hrsg.): The Endurance of Frankenstein. Essays on Mary Shelley’s Novel. Berkeley (Cal.) 1979. – Günther Blaicher (Hrsg.): Mary Shelleys Frankenstein: Text, Kontext, Wirkung. Essen 1994. – Mary Shelley: Frankenstein oder Der moderne Prometheus. Stuttgart 1995. – Judith Halberstam: Skin Shows. Gothic Horror and the Technology of Monsters. Durham/London 1995. – Thomas Koebner: Wovon träumen die Geschöpfe des Prometheus? Künstliche Menschen im Film. In: Th. K.: Halbnah. Schriften zum Film. Zweite Folge. St. Augustin 1999. – Rudolf Drux (Hrsg.): Der Frankenstein-Komplex. Kulturgeschichtliche Aspekte des Traums vom künstlichen Menschen. Frankfurt a. M. 1999. – Rolf Aurich / Wolfgang Jacobsen / Gabriele Jatho (Hrsg.): Künstliche Menschen. Berlin 2000. – Norbert Grob: Am Vertrag mit den Göttern rühren. In: N. G.: Zwischen Licht und Schatten. Essays zum Kino. St. Augustin 2001.
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