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Filmgenres: Horrorfilm


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Corman einmal mehr als Seismographen der US-amerikanischen Jugendkultur der frühen sechziger Jahre. Das imposante Domizil der Ushers wurde aus England herübergebracht und Stein für Stein jenseits des Atlantiks wieder aufgebaut. Die Botschaft ist eindeutig: Das Böse kommt aus der Alten Welt, der gegenüber Poes Vorlage deutlich gealterte Roderick Usher ist ihr letzter Repräsentant, während Philip Winthrop als positiver Gegenentwurf das junge Amerika vertritt, das den Niedergang des überkommenen Gestrigen in die Wege leitet.

       Guido Bee

      Literatur: David Pirie: Roger Corman’s Descent Into the Maelstrom. In: Paul Willemen [u. a.] (Hrsg.): Roger Corman. Edinburgh 1970. – Jean Epstein: Quelques notes sur Edgar A. Poe et les images douées de vie (1928). In: Jean Epstein: Écrits sur le cinéma 1921–1953. Bd. 1. Paris 1974. – Béla Balázs: Schriften zum Film. Bd. 2. Budapest 1984. – Eva-Maria Warth: The Haunted Palace. Edgar Allan Poe und der amerikanische Horrorfilm (1909–1969). Trier 1990.

      Dracula

      USA 1931 s/w 75 min

      R: Tod Browning

      B: Garrett Fort, Dudley Murphy, nach einem Bühnenstück von Hamilton Deane und John Balderstone und dem Roman von Bram Stoker

      K: Karl Freund

      M: Peter Tschaikowsky, Richard Wagner

      D: Bela Lugosi (Graf Dracula), Helen Chandler (Mina Seward), David Manners (Jonathan Harker), Edward van Sloane (Prof. van Helsing), Dwight Frye (Renfield),

      »Die ältesten Vampyre, wovon wir Nachricht haben, waren bei den Griechen zu Hause«, schrieb 1791 im Taschenbuch für Aufklärer und Nichtaufklärer Carl von Knoblauch zu Hatzbach. Die neueste Kunde vom Treiben der Wiedergänger, die Bram Stokers 1895 entstandener Roman Dracula berühmt und gesellschaftsfähig machte, stammt bis heute aus dem Kino. Mehr als vierhundert Filme haben bislang die Sage aufgegriffen, der zufolge sich in einen Vampir verwandelt, wer zu Lebzeiten als Ehebrecher, Sodomit, Blutschänder und Tyrann gegen Gottes Gesetze verstieß. Nach F. W. Murnaus Stummfilmvariante Nosferatu (1922) legte vor allem Tod Brownings Dracula den Grundstein dafür, dass der Vampirfilm bis hin zu aktuellen Produktionen wie Blade (1998, Stephen Norrington), The Wisdom of Crocodiles (Die Weisheit der Krokodile, 1998; Po-Chih Leong) und Van Helsing (2004, Stephen Sommers) zu einem der vitalsten und facettenreichsten Subgenres des Horrorfilms wurde.

      Was aber macht die Ausgeburt der Finsternis so unwiderstehlich fürs Kino, dass sich schon Georges Méliès ein Jahr nach Erfindung der Siebten Kunst 1896 an einer Vampirgeschichte versuchte? Wenn man will, ein Paradox, das dem Dasein der zu ewiger Wiederholung verdammten Kreatur zugrunde liegt wie den Gesetzen des Kinos. Im Kino, das den Körper zur Erscheinung zwingt, ist der unstoffliche Wiedergänger die Idealbesetzung eines medienimmanenten Horrors: Als »Rückkehr der Geister« hat Jacques Derrida die Kunst des 20. Jahrhunderts beschrieben, die den Körper zum Leinwand-Gespenst dekonstruiert und die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit verwischt. Das Dunkel, in dem alle Geschöpfe des Kinos erst zu sich und zu uns kommen, ist das Element des Vampirs, das Licht seine Nemesis. So konnte das Kino seine Verwandtschaft mit dem Unheimlichen pflegen und sich zugleich der selbsterzeugten Schatten in den grellen Lichtblitzen des Expressionismus entledigen. Als erste Stoker-Verfilmung fiel Nosferatu 1922 nicht umsonst in die Hoch-Zeit des expressionistischen Stummfilms.

      Inspiriert von literarischen Vampir-Geschichten wie John William Polidoris Der Vampyr (1819) oder der klassischen ›Gothic Novel‹ Melmoth der Wanderer (1820) von Charles Robert Maturin fand und überhöhte der Ire Stoker Ende des 19. Jahrhunderts die Figur, die zum Inbegriff des Vampirismus werden sollte. Dracula nimmt nicht nur die in ganz Europa, vor allem aber in Serbien weit verbreitete Überlieferung von blutsaugenden Untoten auf, sondern vermischt damit das historisch verbürgte Leben des in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in der rumänischen Walachei herrschenden Fürsten Vlad Ţepeş (gesprochen ›Zepesch‹). Dessen Vater Vlad war seit 1431 Ritter des christlichen Drachenordens, dem Kaiser Sigismund vorstand; sein Beiname »Dracul« geht auf das rumänische Wort für den Drachen zurück, das aber auch ›Teufel‹ bedeutet. Als »Dracula« ging die zusätzliche Bezeichnung auch auf seinen Sohn Vlad junior über. Dieser verdiente sich seinen Beinamen Ţepeş« (›der Pfähler‹) als grausamer Kriegsherr im Winter 1461, im Kampf gegen den Eroberer von Konstantinopel Sultan Mehmed II. Die Verstümmelung von Sexualorganen, die puritanische Abstrafung junger Frauen, die vorehelichen Geschlechtsverkehr hatten, fügen sich ebenso ins Bild eines impotenten Sadisten, der den Körper als prinzipiell strafwürdig und den Menschen als Folterbank wahrnimmt, wie seine Vorliebe, die Mahlzeiten zwischen den von ihm Gefolterten einzunehmen.

      Viele der Motivstränge, die Stoker mit den balkanischen Sagen über blutrünstige Untote verband, finden sich im narrativen Fundus des Kinos: beispielsweise ›Boy meets Girl‹, nur dass der Junge hier »ein besonders unreifes Wesen« (Seeßlen) aufweist. Zwei grundlegende Merkmale sind dem Subgenre eigen und kommen in den verschiedenen Verfilmungen und Bearbeitungen in unterschiedlicher Ausprägung und Stärke zum Tragen: Erlösungsbedürftigkeit und der Thrill einer angstbesetzten, einer tabuisierten Sexualität. Das Blut, das ihm gegeben wird, erlöst den Vampir, der verdammt ist, ewig zu nehmen – die Anklänge ans christliche Abendmahl sind nicht zu übersehen. Nicht umsonst steht in einem Buch über Vampire, das in Nosferatu die Runde macht, »es bedürfe einer Frau reinen Herzens, um den Vampir bis zum Morgengrauen festzuhalten«. Und eben dieses Buch ist Murnaus Mina-Figur Ellen verboten wie für Eva die Frucht vom Baum der Erkenntnis. Natürlich liest sie es dennoch. Ohne Sündenfall keine Erlösung, Blut und Leib gibt sie fort. Bei Browning erfüllt dieses Selbstopfer »in seiner doppeldeutigen Zuwendung zum Tiermann zugleich die dem Vampirmythos eingeschriebene Formel von der todbringenden, dem Tode ähnelnden Sexualität« (Seeßlen). Der Horror manifestiert sich in der Erkenntnis, dass man auf Lust oder Leben verzichten muss, wo der Vampir als Verkörperung uneingestandener Begierden umgeht.

      Minas Opfer steht in der Tradition des »Anti-Vampirs Christus« (Seeßlen). In seinem Gothic-Western Vampires (John Carpenters Vampire, 1998) erzählt John Carpenter, berüchtigt dafür, seine Gangster- und Horrorfilme wie Western aussehen zu lassen, aber noch nie einen Western gedreht zu haben, den Ex-Priester und Vampir Valek als stark sexuell konnotierte Christusfigur unter umgekehrten Vorzeichen: Begleitet von zwölf Vampir-Aposteln, verspricht diese charismatische Gestalt, der selbst Kardinäle erliegen, ihren Anhängern im Namen des Kreuzes Unsterblichkeit und das Anbrechen eines neuen Reiches. Der Film ist eine Bagatellisierung aller Genres, aber aufschlussreich in seiner antifreudianischen Fremden-, Lust- und Frauenfeindlichkeit und zelebriert im Breitwandformat Jagdszenen aus John-Wayne-Country in einer von Vampiren buchstäblich unterminierten Wüste. Die Vampire ersetzen dabei die Indianer. Carpenters Film ist der peinliche Versuch, einem von europäischen Spitzfindigkeiten ausgelaugten Kino den Mann als Helden zurückzugeben. Unter der homophoben Kraftmeierei des obersten Vampirjägers Crow kommt jedoch die Angst vor der tabuisierten Sexualität ans Licht: Vampires krankt an der unfreiwilligen Komik eines unterdrückten Coming-out.

      Im Horrorgenre ist der Vampir der mit Abstand am stärksten sexuell konnotierte Protagonist, wie es ja auch bei Carpenter der Fall ist. Seine Angriffe sind ins Negative, ins Zerstörerische gewendete Zärtlichkeiten – Bisse wie Küsse. Sein Image als gefürchteter Liebhaber wurde den Zeiten und Gesellschaften angepasst, in denen es wiederbelebt wurde. Unter der Herrschaft viktorianischer Prüderie hatte der Blutsauger aus Leidenschaft beispielsweise den Ruf eines verbrecherischen Don Juans, ebenso elegant wie stilbildend verkörpert von Bela Lugosi in Dracula. Ein Unhold, ein Europäer eben. Aber auch ein Gentleman. Bei aller Lust und Gier verschmäht der Vampir die Geschlechtsteile der Frau – von denen die Sexualwissenschaftlerin Marielouise Janssen-Jureit in ihrem Buch Sexismus notiert, sie seien in der Menschheitsgeschichte so gefährlich besetzt wie ein offenes Grab – und schafft sich am Hals den Durchbruch zu verbotenen Gefühlen. Das weibliche Geschlecht, das Männerphantasien zur Wunde verunglimpft haben, ist selbst dem Vampir unheimlich. Im Vampirismus ist nicht das Geschlecht die Wunde, sondern die Wunde das Geschlecht. Um ein Publikum zu erreichen, das mit viktorianischen Tabuisierungen nichts zu tun haben wollte, entstaubte die englische Hammer Production, die sich seit