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Filmgenres: Horrorfilm


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um die Distanz zwischen Ur-Ur-Ur-Großvater Dracula und seinem Nachkommen als einen Weg zu skizzieren, der von der Verfeinerung der blutschänderischen Motive zum Verfall vampiristischer Gewissheiten führt. Mit dem charismatischen Steven hat Po-Chih Leong einen Großstadtvampir geschaffen, der nur noch um Metaphern- und Fangzahnlänge von der existenziellen Krise seiner Opfer entfernt ist. Steven braucht nicht nur das Blut der einsamen und lebensmüden Frauen, sondern vor allem die Essenz ihrer Emotionen. Wenn der dekadente Held einer therapiebedürftigen Endzeit seine naturgemäß häufig wechselnden Freundinnen im Liebesakt ausbluten lässt, wird er von Krämpfen geschüttelt. Aus seinem seelenlosen Inneren würgt er gläserne Nadeln hervor: jeder Kristall die Manifestation der Gefühle, die sein Opfer beherrschten und ohne die er nicht leben kann.

       Heike Kühn

      Literatur: Rudolf Kurtz: Expressionismus und Film. Berlin 1926. – Siegfried Kracauer: Von Caligari zu Hitler. Frankfurt a. M. 1984. (Engl. Orig.-Ausg. Princeton, N. J. 1947). – Lotte H. Eisner: Die dämonische Leinwand. Frankfurt a.M. 1980.

      Dr. Jekyll und Mr. Hyde

      Dr. Jekyll and Mr. Hyde

      USA 1931 f 98 (gekürzt 91) min

      R: Rouben Mamoulian

      B: Samuel Hoffenstein, Percy Heath, nach der gleichnamigen Erzählung von Robert Louis Stevenson

      K: Karl Struss

      M: Johann Sebastian Bach, Robert Schumann

      S: William Shea

      D: Frederic March (Dr. Jekyll / Mr. Hyde), Miriam Hopkins (Ivy Pierson), Edgar Norton (Poole), Rose Hobart (Muriel Carew), Holmes E. Herbert (Dr. Lanyon), Halliwell Hobbes (Brigade General Sir Danvers Carew), Tempe Pigott (Mrs. Hawkins)

      Die Frage nach Gut und Böse interessiert seit jeher Philosophen und Künstler. Existieren im Menschen Gut und Böse nebeneinander, als feste, eigenständige Größen? Oder sind sie zwei Seiten einer Medaille? In seiner berühmten Erzählung Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mister Hyde schuf Robert Louis Stevenson 1886 zwei Figuren, die zum Sinnbild der menschlichen Doppelnatur und innerer Spaltung wurden, ohne Gut und Böse miteinander in Einklang bringen zu können. Es handelt sich um eine der ersten Horrorgeschichten, deren Schrecken nicht aus der Konfrontation der Zivilisation mit dem Unerklärlichen wie Vampiren, Werwölfen oder Geistern resultiert, sondern menschlichen Ursprungs ist.

      Der 1850 geborene Autor entstammt einer streng protestantischen schottischen Bürgerfamilie und wurde zur Staatskonformität des viktorianischen Zeitalters erzogen. Als Schriftsteller und Journalist stellte er dieses System nicht in Frage, bis er sich in eine verheiratete Amerikanerin verliebte, die seinetwegen ihren Mann verließ – was in seinem Umfeld zu Irritationen führte und ihn die Doppelmoral der britischen Gesellschaft am eigenen Leib erfahren ließ. Denn während gerade in London, dem Zentrum des viktorianischen Weltreiches, die Prostitution wie zu keiner anderen Zeit blühte und für Tausende von Frauen die einzige Überlebenschance darstellte, wurden er und seine Frau dafür verurteilt, einander zu lieben. Gut und Böse, Doppelmoral, das sind Begrifflichkeiten, die sich wiederholt in seinen Geschichten finden, am häufigsten in Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mister Hyde.

      Während sämtliche der zahlreichen Verfilmungen Stevensons Idee der Spaltung einer Persönlichkeit in zwei Charaktere verarbeiten, wird der autobiografische Aspekt der Geschichte, der Wunsch nach ungezügelter Körperlichkeit, stets nachrangig behandelt. Eine positive Ausnahme stellt Rouben Mamoulians frühe Adaption Dr. Jekyll and Mr. Hyde (Dr. Jekyll und Mr. Hyde, 1931) dar, zugleich die erste Tonfilm-Version des Stoffes.

      Dem Regisseur dient die Erzählung als Rohmaterial: Wie bei Stevenson ist Henry Jekyll ein angesehenes Mitglied der viktorianischen Gesellschaft und ein genialer Arzt, der glaubt, dass die menschliche Persönlichkeit Gut und Böse getrennt voneinander in sich birgt. Bei der Personenkonstellation nimmt Mamoulian jedoch starke Eingriffe vor. Spielt Stevensons Vorlage vorwiegend zwischen Jekyll/Hyde, seinem Freund und Kollegen Dr. Lanyon, seinem Anwalt Mr. Utterson und seinem Butler Poole, aus deren Perspektiven die Geschichte erzählt wird, so wird Letzterer in Mamoulians Film zu einer Nebenfigur, und Mr. Utterson fehlt gänzlich. Nur Lanyon bleibt Teil der Handlung, in deren Mittelpunkt der Regisseur und seine Autoren Samuel Hoffenstein und Percy Heath nunmehr zwei Frauen stellen: Jekylls Verlobte Muriel und die Prostituierte Ivy, die der Arzt zufällig kennen lernt, als er ihr während eines Überfalls zusammen mit seinem Freund Dr. Lanyon zu Hilfe kommt.

      Mamoulians Film beginnt an einer Universität. Die Studenten stürmen den Hörsaal förmlich, da Dr. Jekyll einen Vortrag hält. Im Vergleich zu den anderen Dozenten ist er noch jung, vor allem aber unkonventionell. Sein Leben hat er dem Innersten des Menschen verschrieben. Die Seele ist für ihn nichts Mystisches, sondern ein Teil des Körpers, der ebenso fassbar ist wie das Herz oder die Lunge und den er mit seinen Forschungen sichtbar machen will. Seine Theorie stößt bei seinem Schwiegervater in spe, dem ehemaligen Brigadegeneral Sir Danvers Carew, auf wenig Gegenliebe. Auch pikiert ihn Jekylls Auftreten, denn dieser benimmt sich zwar wie ein Herr des britischen Bürgertums, doch mit kleinen, an sich harmlosen Gesten, wie einem zu leidenschaftlichen Handkuss, den er Muriel gibt, zieht er sich den Unwillen des Generals zu. Eines Tages glaubt Jekyll im Rahmen seiner Experimente mit bewusstseinserweiternden Drogen, seine Thesen über die Spaltung der Seele in Gut und Böse beweisen zu können. Bei einem Selbstversuch verwandelt sich der gutaussehende Gentleman Henry Jekyll in einen hässlichen Urmenschen mit vorgewölbter Stirn, riesigem Mund und fürchterlicher Behaarung, dem er den Namen Hyde (von englisch to hide – verstecken) gibt. Die Verwandlung ist jedoch nicht nur äußerlich, Hyde ist ein Körperwesen, ein Mensch, der aus sich herausbricht. Er personifiziert nicht allein die böse Seite Jekylls, sondern auch seine animalische, von Instinkten geleitete Identität, eben das, was Sigmund Freud einige Jahre nach der Entstehung von Stevensons Text das Es nennen sollte. Regisseur Mamoulian betont diesen Aspekt: »Ich sehe Hyde nicht als Monster. Er ist primitiv, das Tier in uns, Jekyll dagegen ist der kultivierte Mann, der Intellekt.« Mamoulian zeigt Hyde als Neandertaler und stimmt darin mit Stevensons Vorlage überein. Das hat seinem Film jedoch in den späten sechziger Jahren den Vorwurf eingetragen, rassistisch zu sein, da die Präsentation Hydes den diskriminierenden Darstellungen der farbigen Bevölkerung der Vereinigten Staaten um 1930 entsprächen.

      Auch wenn der Regisseur Hyde verteidigt, führt die Verfilmung Letzteren in seiner Bösartigkeit vor. Er sucht die Prostituierte Ivy auf, um sich sexuell von ihr das zu holen, was Muriel ihm als Jekyll verweigert. Mamoulian hat sich mit dieser Darstellung Hydes 1931 weit hinausgewagt, auch wenn kein sexueller Akt zu sehen ist und das Wort »Prostitution« nicht fällt. Doch die Bilder seines Kameramanns Karl Struss und das physische Spiel des für seine Interpretation mit dem Oscar belohnten Hauptdarstellers Frederic March bauen eine derart von sexueller Energie und Spannung überschäumende Atmosphäre auf, dass es keiner Worte bedarf.

      Über sich selbst schockiert, beschließt Jekyll nach seiner Rückverwandlung, in Zukunft vorsichtiger zu sein. Doch er hat Spaß an der Rolle Hydes gefunden und forscht weiter – bis es nicht einmal mehr der Drogen bedarf, um sich in Hyde zu verwandeln. Vor allem bereitet es ihm sadistische Freude, Ivy psychisch zu brechen. Bis er ihrer überdrüssig wird und sie ermordet. In diesem Augenblick verschwimmen in Mamoulians Film die Persönlichkeiten. Hyde wird sich seiner schrecklichen Tat bewusst und wünscht die Rückverwandlung in Jekyll, die schließlich vor den Augen seines entsetzten Freundes Lanyon stattfindet. An dieser Stelle offenbart Mamoulian dem Zuschauer, dass Hyde keine von Jekyll losgelöste Persönlichkeit ist und Gut und Böse eben nicht getrennt voneinander in einem Menschen existieren.

      Von der Sucht zerfressen, kann Jekyll nicht mehr verhindern, sich in Hyde zurückzuverwandeln. Er versucht, Muriel zu entführen. Ihn leitet ein wildes Begehren, eine Lust, die er auch als Jekyll für Muriel empfunden hat, jedoch niemals hätte ausleben dürfen. Als ihr Vater Muriel zu Hilfe kommt, lässt Hyde den angestauten Aggressionen, die Jekyll für den alten Mann empfindet, freien Lauf und prügelt ihn zu Tode. Damit vollführt er das, was sich Jekyll insgeheim wünscht.

      Von der Polizei gejagt, flieht Hyde in sein Labor, wo es ihm mit Hilfe seiner Drogen noch einmal gelingt, Jekyll zu werden. Doch Lanyon verrät