Lisa Lamp

Wenn die Nacht stirbt und dein Herz aufhört zu schlagen


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die Chooserin und plötzlich war es mir egal, ob wir Hautkontakt hatten, solange sie mir helfen würde die Horrorszenarien zu verhindern.

      Lieber würde ich eine gewisse Zeitspanne mit Verrückten verbringen, als Unschuldigen Leid zuzufügen. Mit etwas Glück würden diese Freaks in ein paar Tagen bemerken, dass sie bei mir einen Fehler gemacht hatten und mich gehen lassen. Ich schluckte schwer, bevor ich zögerlich nickte. Die Umgebung um mich begann sich zu drehen und ich spürte, wie die Müdigkeit von mir Besitz ergriff. Ein dumpfes Gefühl breitete sich in meinem Kopf aus und ein stechender Schmerz ließ mich zusammenzucken, als mein verletztes Bein unter mir wegbrach. Kurz bevor alles um mich schwarz wurde, konnte ich nur noch das mürrische Miauen der Katze hören und sehen, wie das Lächeln der Chooserin verschwand. Sie würde auch lange nichts mehr zu lächeln haben, nicht wahr? Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass es nur der Anfang allen Übels sein würde und ich ihr am Ende mehr verdanken würde als jedem anderen. Selbst wenn sie mich zum schwarzen Wald bringen und mein Leben für immer verändern würde.

      Alles Liebe, Deine Read

      

       Die Nacht beginnt

      Liebe Marie Estelle Lauro!

      Das erste Mal, als ich im Hexeninternat aufwachte, glaubte ich in einem schlechten Horrorfilm gefangen zu sein. An den Wänden hingen alte Bilder, die großteils verstaubt waren. Die Fenster waren durch dunkelrote Vorhänge verhüllt und auf dem Tisch, in der Mitte des Raums, stand ein Kerzenleuchter, an dem drei Kerzen heruntergebrannt waren. Überall hingen Spinnennetze und die stickige Luft machte das Atmen kaum möglich. Mein Hals war ausgetrocknet und schrie nach Wasser, doch augenscheinlich gab es neben fehlendem Strom auch keine Wasserleitungen. Alles erschien mir alt, verdreckt und kurz vor dem Zusammenbrechen zu sein. Kurz dachte ich daran, was Emma wohl sagen würde, wenn sie hier wäre. Wahrscheinlich würde sie Witze über klischeehafte Hexen reißen und fragen, wo die Besen, auf denen sie durchs Wunderland reiten können, waren.

      Meine Glieder brannten schmerzhaft und es war unerträglich heiß in dem Zimmer, das dem Geruch nach nie gelüftet wurde. Ich lag auf einer weißen Matratze, die mit Flecken übersät war. In meiner Position wollte ich lieber erst gar nicht darüber nachdenken, woher die Überreste stammten. Ein wenig erinnerte mich die Schlafunterlage an meine Matratze zuhause. Auch die war mit der Zeit, trotz Spannleintuch, fleckig geworden,

      weil die Wunden an meinem Rücken nicht gänzlich geschlossen waren, als ich mich auf den Schaumstoff legte.

      Außer mir war der Raum leer und es herrschte eine unheilvolle Stille, weshalb ich aufsprang, um die Gegend zu erkunden. Jedoch legte ich mich sofort wieder unter die Decke, da ich splitterfasernackt war und mein Rucksack sich auch nicht in diesem Raum, der an Draculas Höhle erinnerte, befand. Plötzlich hörte ich ein Knarren und schloss schnell meine Augen, weil ich noch nicht bereit war, mich mit einem der Verrückten auseinanderzusetzen.

      Während ich mich schlafend stellte, öffnete sich eine der schwarzbraunen Türen, die mit goldenen Verzierungen umrandet waren.

      »Und was willst du tun, wenn sie aufwacht? Du hast sie quasi gekidnappt«, sagte eine weibliche Stimme aufgeregt.

      »Früher oder später hätten ihre Kräfte sie umgebracht. Was ist, wenn sie zu lang gebraucht hätte, um hierher zu kommen oder sich unbeabsichtigt selbst in die Luft gejagt hätte? Du hast das Feuer, das sie im Zug gelegt hat, nicht gesehen. Es war riesig und hat sich rasend schnell ausgebreitet. Außerdem hat sie zugestimmt, mir zu folgen, bevor sie das Bewusstsein verloren hat. Ich konnte doch nicht ahnen, dass sie den Blutverlust nicht verkraften würde«, erwiderte eine andere Stimme und ich hätte schwören können, dass ich die Stimme kannte.

      »Hoffentlich kooperiert sie auch jetzt, obwohl sie nicht freiwillig hierhergekommen ist. Wir brauchen sie noch«, flüsterte die erste Frau geheimnisvoll.

      Ich spitzte meine Ohren. Obwohl ich die beiden Sprecherinnen zu gern gesehen hätte, traute ich mich nicht, die Augen einen Spalt zu öffnen, da sie vermutlich ihre Unterhaltung beenden würden, wenn ich wach wäre.

      »Kümmere dich um sie und hilf ihr, zurechtzukommen! Das bist du ihr schuldig«, sagte die fremde Stimme, bevor eine Hand mir eine Strähne aus dem Gesicht strich.

      »Bring sie in ihr Zimmer, sobald sie aufwacht, decke ihre Narben ab und sei vorsichtig! Nicht auszumalen, was passieren würde, wenn andere Schüler erfahren, dass sie nicht von allein zu uns gekommen ist«, befahl die Fremde. Die kühle Hand verschwand und kurze Zeit später konnte ich wieder das Knallen der schweren Türen hören.

      »Du machst es uns wirklich nicht leicht, Read«, murmelte die helle Stimme und langsam konnte ich sie einem Gesicht zuordnen.

      Das Mädchen in meiner Schule. Natürlich kannte ich ihre Stimme, doch wovon hatten die andere Frau und sie gesprochen? Warum war es wichtig, dass ich hier war und warum hatte die Chooserin mich mitgenommen? Schon klar, nach dem Flammenmeer wäre ich sowieso nicht mehr lange auf der Flucht gewesen, aber normalerweise wurden Menschen auserwählt, von den Choosern markiert und mussten selbst den Weg zum schwarzen Wald finden oder starben auf dem Weg dahin.

      Ich zitterte und bekam eine Gänsehaut. Es war immer noch sommerlich warm in dem Raum, doch das Mal auf meinem Schlüsselbein begann sich zu erhitzen, bis ich es kaum noch aushielt, ohne einen Laut von mir zu geben. Als ich im Hintergrund auch noch eine Katze miauen hören konnte, war es mit meiner Selbstbeherrschung vorbei und ich zuckte zusammen.

      »Sehr gut, du bist endlich wach«, meinte die Chooserin belustigt. Ich öffnete die Augen und sah wieder ihr dümmliches Lächeln.

      »Wie fühlst du dich?«, fragte sie und in dem Moment wäre ich ihr am liebsten an die Kehle gesprungen.

      Wie sollte ich mich denn fühlen? Ich war kilometerweit von Zuhause entfernt, hatte riesige Brandzeichen oberhalb meiner Brust, würde meinen früheren Klassenkollegen als Freak, der markiert wurde, in Erinnerung bleiben, hatte ein Gespräch mit einer Fremden, die sich einbildete, sie könnte sich in mein Leben einmischen und wurde praktisch entführt. Natürlich sollte auf dieser Liste auf keinen Fall meine neue stalkende Katze fehlen, die sich gerade an meinem Bein rieb. Innerlich schrie ich mir die Seele aus dem Leib, doch alles, was ich resignierend herausbrachte war:

      »Gut.«

      »Dann lasse ich dich kurz allein. Im Schrank hängt eine Schuluniform für dich. Willkommen im Internat St.Ghidora, der Heimat der Hexen.«

      Ich versuchte, schwach zu lächeln, doch mein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Danke, dachte ich und wollte mich am liebsten übergeben, noch bevor die Verrückte den Raum verlassen hatte. Zittrig stand ich von der unbequemen Matratze auf und bewegte mich durch den Raum. Die Kerzen leuchteten hell und ich fragte mich, wie lange ich wohl geschlafen hatte. War es schon Nacht oder noch Nachmittag? Im Endeffekt spielte es keine Rolle, doch ich fühlte ein nagendes Gefühl in meinem Inneren, als ob es wichtig wäre, wie spät es war. Ich war sowieso schon viel zu spät dran. Ich bewegte mich weiter in die Richtung des großen Holzkastens, der mich stark an den Horrorfilm »Conjuring« erinnerte, bei dem das besessene Mädchen plötzlich auf dem Kleiderschrank lag.

      Ein wenig überrascht war ich schon, als die Uniform exakt meine Größe hatte, aber ich beschloss, nicht darüber nachzudenken, da es mit Abstand nicht das Seltsamste war, dass mir in den vergangenen Stunden passiert war und mir die Antwort keinesfalls gefallen hätte. Der Rock war in schwarz gehalten und dazu gab es eine rote Bluse mit kurzen Ärmeln. Auch wenn eine Krawatte dabei hing, verzichtete ich darauf, sie mir um den Hals zu binden und ließ sie einfach im Kasten hängen. Stattdessen zog ich lieber die schwarze Weste mit silbernem Reißverschluss über. Meine langen Haare band ich mit dem Haargummi, das um mein Handgelenk gebunden war, zusammen. Keine zehn Sekunden später stand die Chooserin in der Tür und hielt mir rote Ballerinas vors Gesicht. Sie selbst war nun ebenfalls mit Rock und Bluse bekleidet, doch sie trug die skurrile Krawatte und ihre Uniform, die im Internat nur zu besonderen Anlässen getragen wurde, war in Grüntönen gehalten. Schnell schlüpfte ich in die mädchenhaften Schuhe und sah mein Gegenüber wartend an. Innerlich verfluchte ich die Schühchen, die an