Holger Dahl

Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, Band 3


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Ansicht des 1. Senates hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Feststellung des Verhältnisses von festen zu variablen Einkommensbestandteilen.51

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      Zur betrieblichen Lohngestaltung gehöre die Festlegung des Verhältnisses von festen zu variablen Einkommensbestandteilen sowie die Festlegung des Verhältnisses der variablen Einkommensbestandteile untereinander. Zur Gestaltung des Entgeltsystems gehörte nicht allein die Entscheidung, welche Entlohnungsgrundsätze bzw. welche Kombination von Entlohnungsgrundsätzen für die Vergütung maßgebend sein soll, sondern auch, in welchem Verhältnis die einzelnen Gehaltsbestandteile (Gehaltsgrundsätze) stehen sollen, wenn ein kombiniertes Entgeltsystem gewählt wird. Dieses Verhältnis der einzelnen Entgeltbestandteile zueinander berührt die Lohngerechtigkeit, denn hier sind in verschiedenen Beschäftigtengruppen unterschiedliche Interessen zu wahren. Nach Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts sei davon auszugehen, dass das Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung des Verhältnisses der einzelnen Entgeltbestandteile zueinander (Grundgehalt, Provision, Prämie) besteht.

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      Diese Auffassung ist aus zweierlei Erwägungen inkonsequent und abzulehnen:

       – Erstens wird nach Abschluss eines Vergütungssystems die Lohngerechtigkeit erneut in Frage gestellt, wenn es möglich wäre, im Einzelfall höhere Entgelte individualvertraglich zu vereinbaren. So spricht insbesondere der Grundsatz aus § 75 BetrVG, wonach im Verhältnis zwischen Frauen und Männern eine transparente Lohngerechtigtkeit hergestellt werden soll, dafür, dass der Anspruch absolute und vollständige Lohngerechtigtkeit erfassen muss.

       – Zweitens setzt die Rechtsprechung des BAG auf eine partielle Mitbestimmung, die sowohl das Verhältnis zwischen variablem und fixem Entgelt als auch das Verhältnis der Variablen untereinander festlegt. Damit ist stets ein prozentuales Verhältnis von fixem und variablem Gehalt einschränkend vorgegeben, was dem Wortlaut der Nr. 10 des § 87 BetrVG nicht entnommen werden kann. Will der Betriebsrat absolute Beträge der variablen Bestandteile festlegen, wäre dies nach der Rechtsprechung nicht möglich, obwohl auch durch eine vertragliche Bestimmung das „Verhältnis“ zwischen variablem und fixem Entgelt festgelegt werden kann.

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      Im Ergebnis muss das Mitbestimmungsrecht daher die Herstellung einer absoluten Lohngerechtigkeit gewährleisten.

       b) Geltung des Günstigkeitsprinzips

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      Einzig für den Fall, in dem der Arbeitnehmer seinen Arbeitsvertrag tatsächlich ausgehandelt hat und es sich daher nicht um allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 ff. BGB handelt, kann nicht von einer betriebsvereinbarungsoffenen Regelungen ausgegangen werden. In dieser Konstellation bedarf es einer gesonderten Vereinbarung im Arbeitsvertrag, ansonsten greift das Günstigkeitsprinzip mit der Folge, dass die Abschaffung einer variablen Vergütung zugunsten einer Festvergütung nur dann möglich ist, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger ist.

       c) Abschaffung einer einzelvertraglichen festgelegten variablen Vergütung zugunsten einer Festvergütung

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      Das Verhältnis der Mitbestimmung des Betriebsrats in Entgeltfragen nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zur arbeitsvertraglichen Regelung steht jeher im Brennpunkt der betriebsverfassungsrechtlichen Diskussion. Die Frage, ob eine einzelvertraglich festgelegte variable Vergütung zugunsten einer Festvergütung abgeschafft werden kann, lässt sich nicht pauschal beantworten. Es kommt dabei entscheidend auf das Verhältnis zwischen den einzelvertraglichen Regelungen der Arbeitsverträge und der Ausgestaltung der abzuschließenden Betriebsvereinbarung an.

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      Grundsätzlich wirken gem. § 77 Abs. 4 BetrVG alle Betriebsvereinbarungen unmittelbar und zwingend für das einzelne Arbeitsverhältnis, sodass es zu ihrer Wirksamkeit keiner Umsetzung bedarf. Dieser Grundsatz wird durch das Günstigkeitsprinzip modifiziert. Wenn somit eine einzelvertraglich festgelegte variable Vergütung für den einzelnen Arbeitnehmer günstiger ist, können Betriebsrat und Arbeitgeber zwar in einer Betriebsvereinbarung anstelle derer eine Festvergütung vereinbaren. Für diesen Arbeitnehmer gilt die Betriebsvereinbarung jedoch nicht rechtsverbindlich, weil den Arbeitnehmer im Einzelfall das Günstigkeitsprinzip schützt, soweit die einzelvertragliche Regelung eben nicht betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet ist.

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