Holger Dahl

Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, Band 3


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der Betriebsvereinbarung zu beseitigen, es aber zugleich auch eine Schranke der betriebsverfassungsrechtlichen Regelungsreichweite darstellt, kann für den Beurteilungsmaßstab weder der Wille der Arbeitsvertragsparteien noch der Wille der Betriebspartner von Bedeutung sein, vielmehr richtet sich der Beurteilungsmaßstab nach objektiven Merkmalen. Da das Günstigkeitsprinzip, soweit es arbeitsvertragliche Abreden ermöglicht, als Vorbehalt für die individuelle Vertragsfreiheit wirkt, ist für den Günstigkeitsvergleich nicht das Gesamtinteresse der Belegschaft, sondern das Interesse des einzelnen Arbeitnehmers in dem zur Beurteilung stehenden Zeitraum maßgebend. Betrifft die Regelung eine Entgeltleistung des Arbeitgebers, so ist der Vergleichsmaßstab, auf den die Günstigkeitsbeurteilung zu beziehen ist, das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung.62

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      In der Betrachtung des von der Rechtsprechung eingeführten Grundsatzes der Betriebsvereinbarungsoffenheit allgemeiner, individualrechtlich wirkender Regelungen, ist die Abschaffung einer dem Kollektivrecht gegenüber offenen einzelvertraglich vereinbarten Vergütung zugunsten einer Festvergütung möglich und zwar selbst dann, wenn sie für die Arbeitnehmer ungünstiger ist. Das Prinzip trägt der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit Rechnung und spiegelt damit den Grundgedanken des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG wider.

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      Abschließend bleibt die Frage zu diskutieren, ob der Arbeitgeber durch die lückenlose Vertragsgestaltung das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG umgehen kann.

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      Unstreitig finden ausgestaltende Betriebsvereinbarungen Anwendung auf ausfüllungsoffene individualvertragliche Regelungen.

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      Wenn nun im Gegenzug der Arbeitgeber in Entlohnungsfragen die Arbeitsverträge der Arbeitnehmer mit konkreten und nicht ausfüllungsbedürftigen Regelungen versieht, kann dies dazu führen, dass das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG leerläuft? Oder muss der Arbeitgeber – solche „lückenlose“ Arbeitsverträge vorausgesetzt, in diesen Fällen zugunsten des kollektiven Arbeitsrechts modifizierende Änderungskündigungen aussprechen, damit das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht ausgehöhlt wird?

      aa) Änderungskündigung

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      Zunächst ist festzuhalten, dass Änderungskündigungen wie jede Kündigung an den Vorgaben des KSchG zu messen sind. Dabei sind insbesondere ein Kündigungsgrund und eine intensive Interessenabwägung vonnöten. In der vorliegenden Ausgangslage könnte eine Änderungskündigung hypothetisch allein aus dringenden betriebsbedingten Gründen erfolgen. Aus den vom BAG aufgestellten Grundsätzen ergibt sich jedoch, dass die Voraussetzungen an eine Änderungskündigung in Bezug auf Entgeltregelungen besonders hoch sind und eine Änderungskündigung nur in engen Ausnahmenfällen zulässig sein kann:

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      Diese Annahme des BAG ist nicht verwunderlich, denn schließlich haben sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer verbindlich geeinigt. Von außen kommende Ereignisse können daher nur bedingt Einfluss auf die konkrete Ausgestaltung des Arbeitsvertrages nehmen. Aus diesen Gründen sprechen diese Argumente gegen die Möglichkeit einer Änderungskündigung, selbst wenn dadurch das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG eine erhebliche Einschränkung erfährt.

      bb) Kollektiver Regelungsbezug

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      Ferner ist beachtlich, dass eine Änderungskündigung, wie oben ausgeführt, zumindest in dem Fall, dass allgemeine einzelvertragliche Entgeltregelungen, die für eine Vielzahl von Arbeitnehmern gelten, wegen der anzunehmenden Betriebsvereinbarungsoffenheit ohnehin überflüssig wäre. In diesen Ausgangssituationen ist die Rechtsprechung zur Betriebsvereinbarungsoffenheit von Arbeitsverträgen anzuwenden.

      cc) Zusammenfassung

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      Es lässt sich zusammenfassend festhalten, dass die Frage, ob eine einzelvertraglich festgelegte variable Vergütung zugunsten einer Festvergütung abgeschafft werden kann, sehr komplexe Regelungszusammenhänge aufwirft, die sachgerecht nur im Einzelfall beurteilt werden können. Insgesamt ist eine Ablösung allgemeiner Individualabreden durch das kollektive Arbeitsrecht in den Fällen eines kollektiven Regelungsbezuges vorstellbar.

       5. Informationsanspruch des Betriebsrats

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      Zum Schluss sei noch die Frage nach der Reichweite der Informationsrechte des Betriebsrats im Rahmen der Mitbestimmung des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG aufgeworfen.

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      Zur Veranschaulichung der Thematik ein kleiner Beispielsfall:

      Der Betriebsrat möchte mit dem Arbeitgeber ein Entlohnungssystem nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG verhandeln. Hierzu möchte der Betriebsrat selbst ein eigenes Entlohnungssystem erarbeiten. Es stellt sich damit die Frage, in welchem Umfang, für welche Dauer und in welcher Form (schriftlich/elektronisch) der Arbeitgeber dem Betriebsrat neben den Informationen aus der Lohn- und Gehaltsliste zur Verfügung stellen muss.

       a) Allgemeiner Informationsanspruch

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      Gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben rechtzeitig und umfassend vom Arbeitgeber zu unterrichten. Dem Betriebsrat sind dabei nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 BetrVG auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen.

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