See führte. Ein See, hinter dem die Adelsvillen lagen.
»Ist es möglich, dass er eine ähnliche Magie wie deine Schatten benutzt hat?«, fragte ich mich laut.
»Nein.« Lucan warf mir einen pikierten Blick zu. Scheinbar hatte ich ihn mit meiner Frage beleidigt. »Mit Sicherheit nicht.«
»Aber es gibt ähnliche Zauber?«
»Ja.«
Hm.
»Prinzessin …« Er zog das Wort in die Länge und ich verstand es als genau das, was es war: eine Warnung.
»Ich halte mich raus.«
Das hieß jedoch nicht, dass ich nicht ein wenig nachforschen konnte. In meiner Bibliothek. Mit Olli. Vielleicht konnte ich Malik und den anderen so helfen.
Erst einmal würde ich jedoch tatsächlich weiter im Text machen. Olli und ich hatten einen Plan und aktuell sah dieser Plan so aus, dass ich Narcos das Leben schwer machen würde. Phase Eins dieses Plans beinhaltete das Auflösen unserer Handelsverträge. Unsere Beziehungen zu Crinaee waren überschaubar und wir betrieben bei weitem nicht so viel Handel mit Narcos wie Drake, aber es reichte aus, um den falschen König – so nannte ich Narcos stets in meinen Gedanken – vor den Kopf zu stoßen.
Nach ein paar weiteren, nicht nennenswerten Floskeln trennten sich unsere Wege. Es gab so vieles, was Lucan und ich zu bereden hatten, aber dafür fehlte mir aktuell jegliche Motivation. Benimm dich wie die Monarchin, die du bist und sein willst.
Ein wirklich guter Rat.
Als ich die Palastküche betrat, war Nick bereits verschwunden und hatte Alina und Cora mit Olli zurückgelassen.
Also durfte mein Bruder mithelfen, ich jedoch nicht. Wut durchfuhr mich und ich begrüßte sie mit offenen Armen. Wut war so viel besser als die nervöse Überforderung, die ich seit heute Morgen empfand.
Ich trat an den großen Esstisch und meine Freunde sahen zu mir auf, wobei ihnen das aufgebrachte Funkeln meiner Augen nicht entging. Mittlerweile kannten sie mich einfach zu gut.
»Ist alles in Ordnung?«
»Du meinst abgesehen davon, dass man mich in Watte packen und in mein Zimmer sperren will?« Ich schnitt eine Grimasse.
»Alles bestens.«
»Lilly, ich weiß, dass sich raushalten nicht unbedingt deinem Naturell entspricht …« Wer hätte das jemals gedacht? »Aber du solltest den Palast wirklich nicht verlassen, solange wir nicht mehr wissen.«
»Ich stimme Alina zu«, Cora musterte mich streng. »Wir haben ein paar mehr Minister, aber nur eine zukünftige Königin.«
»Ich weiß.«
»Außerdem musst du …«
»Cora, ich weiß das, okay? Immerhin sitze ich doch hier und bin nicht da draußen.« Ich wies in Richtung Tür. »Was wollt ihr denn noch?« Grummelnd griff ich nach der Tasse, die Olli über den Tisch in meine Richtung schob.
»Wie geht es Laura und Jace?«
»Niemand außer uns hat etwas von dem Zwischenfall mitbekommen. Auch die beiden nicht. Ob du es ihnen sagst, ist dir überlassen.«
Laura würde ich bestimmt nicht einweihen, das kleine Mädchen war traumatisiert genug, aber Jace war erwachsen und er war ein Ghoul. Ein Ghoul, der von Minister Laurenti über fünf Jahre lang gefangen gehalten worden war. Eventuell würde ihm etwas Brauchbares einfallen, wenn ich ihm erzählte, was passiert war. Ich schrieb einen Besuch bei Jace auf meine mentale To-Do-Liste und wandte mich an Olli.
»Was ich heute Morgen gesagt habe, meine ich auch so. Ich will, dass du alle Handelsverträge mit Crinaee kündigst. Alles, was für unser Volk oder das Volk von Crinaee nicht überlebensnotwendig ist.«
Alina und Cora wechselten einen erstaunten Blick miteinander. Aber sie schwiegen.
»Habt ihr noch zu tun?«, fragte ich meine Freundinnen, »oder wollt ihr mir in der Bibliothek helfen?«
»Ich habe für heute frei. Runak untersucht die Leiche des Ministers, ein paar der älteren Heiler helfen ihm und alle Schüler wurden nach Hause geschickt.«
Cora nickte ebenfalls. »Ich wollte Laura später noch einen Besuch abstatten, aber ein paar Stunden hätte ich.«
Fragend sah ich zu Olli. »Es wird eine Weile dauern, die Verträge durchzugehen. Sobald ich soweit bin, dass du unterzeichnen kannst, stoße ich zu euch.« Er warf mir einen verschwörerischen Blick zu.
»Du kennst dich in der Bibliothek aus. Falls du etwas suchst oder Hilfe brauchst, lass nach mir rufen.«
Damit stand der Plan für den heutigen Tag. Nachdem ich bereits zweimal an diesem Morgen mit der Leiche des Ministers konfrontiert worden war, gönnte ich mir eine erneute Dusche – ich hatte ihn zwar nicht angefasst, fühlte mich aber dennoch irgendwie schmutzig –, nahm die Wechselklamotten von Alina dankbar an und verschanzte mich für den Rest des Tages in der Bibliothek. Barfuß und in ein zartrosa Wollkleid gehüllt, saß ich, die Beine angewinkelt, so lange in einem der schweren Sessel der Bibliothek, bis mir der Hintern einschlief. Alina und Cora verschwanden immer mal wieder für ein paar Minuten oder auch Stunden, ich hingegen bewegte mich so gut wie gar nicht. Nur, um mir ein neues Buch aus dem Regal zu holen. Wenigstens beherrschte ich meine Magie soweit, dass sie mir dabei helfen konnte, den schweren Lederbänden einen kräftigen Schubs zu geben, sodass sie direkt aus dem Regal und hinein in meine Hände fielen. Ein netter Partytrick, mehr nicht. Am frühen Nachmittag brachte Olli mir nicht nur etwas zu essen, sondern auch einen ganzen Stapel Papiere.
»Wenn es dir ernst ist«, sagte er, »dann unterzeichne…«
Ich unterzeichnete sie. Alle sieben. Zwei davon betrafen den Handel mit sirovine, die anderen überflog ich nur grob.
Offensichtlich versorgten wir Crinaee mit Getreide und halfen ihnen bei ihren Verhandlungen mit Fenodeere.
»Wir helfen Narcos, Waffen zu kaufen?«
»Jedes Königreich hat das Recht, sich zu verteidigen«, erklärte Olli mir. »Seit den Tagen des Clash sind alle noch lebenden Welten extrem wachsam geworden. Außerdem lieben Unsterbliche ihre Spielzeuge. Besonders die Kriegerinnen und Krieger. Ist dir das noch nicht aufgefallen?«
Und ob es das war. Ich selbst stand ganz oben auf der Liste, denn ich liebte valge und tume, meine beiden Schusswaffen aus Zwergenstahl.
»Crinaee spielt ganz weit oben mit, wenn es um den Verkauf von Pfeil und Bogen geht. In den Sümpfen rund um Thalos wachsen die besten und robustesten Bäume der gesamten Anderswelt, aber sie haben keinerlei Möglichkeit, Stahl zu produzieren und zu verarbeiten. Dafür sind sie, wie wir auch, auf Fenodeere und das Bergvolk angewiesen.«
»Dann bin ich nicht dafür verantwortlich, dass das Volk von Crinaee Hunger leidet, wenn ich das hier alles unterzeichne?« Olli schüttelte den Kopf. Mit meinen Unterschriften, brachte ich den Stein ins Rollen.
Alliandoan besaß guten, fruchtbaren Boden und unsere Farmer versorgten uns mit Fleisch, Getreide, Obst und Gemüse. Was wir nicht selbst anbauen konnten, bezogen wir aus Vesteria. Drakes Königreich war bekannt für die Zucht und den Verkauf von ausgefallenen Früchten.
Wir waren in der glücklichen Lage, dass wir uns, außer mit Waffen und Zaubern, selbst versorgen konnten, aber nicht alle Königreiche hatten solch ein Glück. Umso hirnrissiger war es, dass die Welten einander mit so viel Missgunst und Misstrauen gegenüberstanden. Wir waren aufeinander angewiesen. Wenn wir alle zusammenarbeiteten, dann würde die Anderswelt florieren und wachsen können, wie sie es einst getan hatte. So aber war jeder lediglich auf seinen eigenen Vorteil aus. Ich jedenfalls wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass das Leben für die Unsterblichen in Crinaee noch anstrengender wurde als es ohnehin schon war. Narcos war ein Tyrann und ich konnte mir seine Reaktion auf den Stapel Papier, mit dem Olli soeben abrauschte, lebhaft vorstellen.