Rechtliche Grenzen vertraglicher Haftungsausschlüsse und -begrenzungen in B2B-Exportverträgen
Rn. 6. Zu den unterschiedlichen Auffassungen zum Umfang des Aushandelns bzw. dessen grundsätzlicher Anwendbarkeit: Borgmann/Jungk/Schwaiger, Anwaltshaftung, § 40 Rn. 49–51. 162 GAIER/WOLF/GÖCKEN-Tauchert, § 51a BRAO Rn. 14. 163 Fuchs spricht in den Fällen, in denen der Versicherer an Stelle des Schädigers tritt von einer „Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz“, was im vorliegenden Fall einer Rückabsicherung von Ansprüchen gegen den Schädiger durch den dahinter stehenden Versicherer jedoch – auch nach Ansicht von Fuchs selbst – nicht der Fall ist, vgl. Fuchs, BB 1992, S. 1217ff. (1224).
C. Zwischenfazit
Aus den zuvor dargestellten Beispielen lässt sich entnehmen, dass dem Gesetzgeber die Möglichkeiten von Haftungsbeschränkungen zur Vermeidung unbilliger Haftungsrisiken sowohl im Bereich der Gefährdungshaftung als auch im Bereich semi-vertraglicher Haftungsbegrenzungen nicht fremd sind. Interessanterweise hat der Gesetzgeber zu Gunsten der freiberuflichen Berufsgruppen, wie Anwälten und Steuerberatern, gleich ein Modell entworfen, das den Unterschied zwischen individuell ausgehandelten und vorformulierten Haftungsbegrenzungen berücksichtigt, und zwar im Rahmen der Höhe des zu übernehmenden Risikos. Es überrascht also, dass der Gesetzgeber in spezialgesetzlichen Regelungen vertragliche Haftungserleichterungen eher zulässt, als er dies – was noch zu belegen ist – bei B2B-Geschäften im Rahmen des BGB tut164. Allen dargestellten Haftungsprivilegierungen ist gemein, dass diese zu Gunsten des Verwendungsgegners durch Versicherungslösungen abgesichert werden. Der Verwendungsgegner tauscht somit eine unlimitierte Haftungshöchstsumme gegen die abgesicherte Einbringbarkeit einer beschränkten Kompensationssumme. Aus kaufmännischer Sicht ist dieser Ansatz nachvollziehbar: Wendet man das Prinzip des Erwartungswertes an, welches alternative Zukunftsszenarien mittels Gewichtung von Wertigkeit (in diesem Fall Schadenshöhe) und Eintrittswahrscheinlichkeit bewertet165, so ist die Realisierung einer geringeren Schadenshöhe wahrscheinlicher als die gehäufte Realisierung exzessiver Schäden (die über der eingeräumten Maximalhaftung liegen und somit uneinbringlich wären). Dass diese Methode im Fall extremer Situationen, also einem Großschadensereignis, zu einer Falschbewertung (also einer fehlenden Haftung über den Maximalbetrag hinaus) führt, wird bei der Erwartungswertmethode offen kommuniziert166. Für die statistisch wahrscheinlichere Konstellation eines niedrigeren Schadenswertes bildet die Versicherungslösung aber eine interessensgerechte Lösung.
164 Koch, BB 2010, S. 1810ff. (1812). 165 Schmalen, Grundlagen und Probleme der Betriebswirtschaft, S. 170. 166 Schmalen, Grundlagen und Probleme der Betriebswirtschaft, S. 170.
A. Einschränkung des Betrachtungsgegenstandes
Die Frage der Anwendbarkeit des scharfen Schwerts der AGB-Kontrolle entscheidet nach Ansicht der Kritiker der AGB-Kontrolle vielfach bereits über Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Klausel. Dies kann für Unternehmen zumeist dann entscheidend (weil ggfs. überlebensentscheidend) sein, wenn es darum geht, ob ein vertraglich vereinbarter Haftungsausschluss oder -begrenzung durchsetzbar ist oder nicht167.
Aus praktischer Sicht wird dies an mehreren Stellen relevant: In den Einkaufs- und Verkaufsprozessen des Massengeschäftes führt der stark verbreitete Einsatz von EDI (Electronic Data Interchange) in aller Regel zu einer rechtlichen Einstufung als (vorformulierte) AGB, weil je nach Bestellgegenstand in Bestellungen und Auftragsbestätigungen Textbausteine elektronisch zusammen gesetzt und – ohne direkte Verhandlungen – zwischen Verkäufer und Käufer ausgetauscht werden168. Die Anwendbarkeit der AGB-Kontrolle wird hier zumeist gegeben sein, und wird auch vergleichsweise wenig problematisiert169. Die Leitplanken, innerhalb derer Haftungsbeschränkungen und -ausschlüsse zulässig sind, sind – bei aller inhaltlicher Kritik, insbes. an dem Element der Berücksichtigung der im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche gem. § 310 Abs. 1 S. 2 2. HS170 – in Schrifttum und Rechtsprechung einmütig bekannt und weisen somit das notwendige Maß an Vorhersehbarkeit und Planungssicherheit auf. Deshalb wird in dieser Arbeit der Stand nur kurz zusammengefasst und im Rahmen einer Rechtsprechungsanalyse auf spezielle und bislang eher wenig diskutierte Rechtsprechungen verwiesen, welche für den vorliegenden Betrachtungsgegenstand relevant sind.
Die Kernfrage der in der Literatur und der Praxis171 vorherrschenden Diskussion besteht darin, wann die strenge AGB-Kontrolle, wie diese zum Schutz der Verbraucher gem. §§ 305ff. BGB zur Vermeidung nicht gewollter Risikoverlagerungen Anwendung findet172, als Maßstab zur Überprüfung der Zulässigkeit von Haftungsausschluss- und Haftungsbegrenzungsklauseln in B2B-Verträgen heranzuziehen ist. Die Hürden, welche von der Praxis zur Erreichung der Rechtswirksamkeit von Vertragsabsprachen übersprungen werden müssen, finden sich v.a. in dem Erfordernis des Aushandelns gem. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB. Angesichts der sehr engen Leitplanken beim Eintritt einer AGB-Kontrolle entscheidet die Frage der Anwendbarkeit nach Ansicht der Kritiker bereits über die Wirksamkeit von Vertragsinhalten, welche in zwischen Unternehmern üblicherweise ausgetauschten, mehr oder weniger bereits vorformulierten Musterverträgen und -klauseln enthalten sind173. Spätestens seit dem Anbruch des PC-Zeitalters dürften solche Musterverträge und -klauseln in nahezu allen Unternehmen und auch bei Rechtsberatern aus Effizienz- und Kostengründen bereit gehalten werden174. Üblicherweise dienen solche Musterverträge als Einstieg in die Vertragsverhandlungen und werden vom Verwender dem Verwendungsgegner zur Prüfung und Überarbeitung (üblicherweise in Microsoft Word als sog. Mark-Up mit farblichen Hervorhebungen möglich) zugesendet175. Die Verwendung solcher Musterverträge erfolgt dabei nicht (nur) aus juristischen Gründen, sondern vor allem auch, um bei größeren Projekten technisch und kaufmännisch komplexe Lieferbeziehungen fehlerfrei abzubilden sowie transparent- und nachvollziehbar zu Papier zu bringen („Rationalisierungsfunktion“176). Mit fortschreitendem Informationsaustausch reduzieren sich die Vorteile aus der Verwendung standardisierter Musterverträge177. Im Wege der jeweils zurückerhaltenen, überarbeiteten Fassung nähern sich die beiden Vertragspartner an und schließen, sofern überhaupt nötig, die Vertragsverhandlungen durch letzte mündliche Verhandlungen ab178. Üblicherweise kommt es dabei zur Vereinbarung sog. „Paketlösungen“179, bei denen jede Vertragsseite Zugeständnisse in bestimmten Bereichen macht, um andere, als wichtiger erachtete Bereiche zum eigenen Vorteil durchzusetzen. Das verhandelte Vertragswerk stellt folglich das Gesamtergebnis von „wirtschaftlichen Vor- und Nachteilen“180 dar, die in den Bewertungsprozess der beteiligten Verhandlungspartner einfließen. So kann es z.B. dazu kommen, dass sich eine vom Käufer geforderte Preissenkung in einer Verbesserung der Zahlungsbedingungen zu Gunsten des Verkäufers widerspiegelt oder angesichts ohnehin knapp kalkulierter Margen etwaige Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche bei Mängeln beschränkt werden. Wie nachfolgend gezeigt werden soll, wird die Rechtssicherheit von auf diesem Wege zustande gekommenen Verträgen von den Kritikern der AGB-Kontrolle zunehmend lauter kritisiert. Ziel dieser Arbeit ist an dieser Stelle deshalb, nach dem Stand des Schrifttums auch insbesondere die Rechtsprechung herauszuarbeiten, wo sich (vom Grundgedanken weitgehender Vertragsfreiheit geprägte) Individualvereinbarungen und (nur in engen Grenzen zulässige) AGB überschneiden. Denn wäre es insbes. aus Sicht der Rechtsprechung für die Unternehmenspraxis möglich, sich unter der Schwelle der scharfen AGB-Kontrolle zu bewegen, würde weiten Teilen der bislang sehr scharf und überraschenderweise vielfach ohne tiefergehende Rechtsprechungsanalyse geführten Diskussion um die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Rechts die Grundlage entzogen.
Zudem erfolgt eine weitere Einschränkung in Bezug auf die zu prüfende Vertragsart. Nachdem es sich bei Exportverträgen typischerweise um Kauf- und Werkverträge handelt, für welche die Einbringung in komplexe Wertschöpfungssysteme typisch ist, wird auf diese beiden Vertragstypen, welche zumindest nach deutschem Recht auch im Bereich der Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten nahezu identisch zu bewerten sind181, insgesamt bevorzugt