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Innenillustrationen: Elena Flor
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ISBN: 978-3-95452-836-3
Magdalena Pauzenberger wurde 1998 im schönen Oberösterreich geboren und wohnt auch heute noch dort. Studiert hat sie allerdings in Salzburg, wo auch ihr Debütroman spielt. Bücher und fantastische Geschichten sind aus ihrem Alltag als Bücherbloggerin, Biologin und dauerverspätete Tagträumerin nicht mehr wegzudenken, obwohl sie erst im Teenager-Alter begonnen hat, so viel zu lesen. Fantasie hat sie hingegen schon immer besessen. Im Alter von 18 Jahren hat sie dann begonnen, die Geschichten aus ihrem Kopf niederzuschreiben – vor allem als Ausgleich zu ihrer naturwissenschaftlichen Ausbildung.
Für meine Mama,
weil sie immer an mich glaubt und mein größter Fan ist.
Ich hab dich lieb, Mama.
Vorwort
Triggerwarnung!
Diese Geschichte und die darin vorkommenden Charaktere sind fiktiv.
Trotzdem spielen unter anderem schwerwiegende Themen eine Rolle, die leider auch im echten Leben ernst zu nehmen sind und für manche Personen möglicherweise belastend sein oder sogar negative Reaktionen hervorrufen können. Hierbei sind vor allem Gewaltszenen, psychischer und physischer Art, sowie Beschreibungen von Wunden zu nennen.
Darauf möchte ich dich hinweisen.
Solltest du sensibel auf solche Themen reagieren, sei bitte achtsam und überlege dir, ob du diese Geschichte lesen willst oder lieber nicht. Bitte triff diese Entscheidung für niemand anders als für dich selbst.
Kapitel 1 – Marlena
Kalter Wind lechzt über meine unbedeckte Wange und reißt mich zitternd aus dem Schlaf. Es dauert einen Moment, bis ich die dunkelgrüne Plane über mir zuordnen kann. Ich bin im Zelt. Mitten am Arsch der Welt. Schnell verstecke ich mein Gesicht in meiner Armbeuge, verkrieche mich vor der kalten Außenwelt, doch ich kann es nicht gänzlich unterdrücken und so bahnt sich eine Träne den Weg über meine kühle, blasse Haut und hinterlässt eine feine Spur. Wenn ich daran denke, wie schnell sich alles in meinem Leben geändert hat, wie ich von einem Moment auf den anderen alles verloren habe, wie ich alle, die ich liebe, unwissend zurücklassen musste, werde ich von einem Schwindelanfall überrollt. Glücklicherweise liege ich ja bereits. Auf meiner ehemaligen Fitnessmatte, die zu meinem Schlafplatz umfunktioniert wurde. Immerhin kommt sie so doch noch mal zum Einsatz.
»Du bist wach.« Keine Frage. Eher eine überraschte Feststellung. Seit wir Salzburg verlassen haben, ist Valentins besorgter und reumütiger Blick mein ständiger Begleiter. Er hat einen Mann getötet. Vor meinen Augen. Egal was ich geglaubt habe, für ihn zu empfinden: es wird nie mehr das Gleiche sein. Ich habe ihm vertraut. Er hat mich belogen. Und er hat getötet. Er ist ein Mörder verdammt noch mal!
Und damit er das nie vergisst, habe ich nicht nur mein Leben, sondern auch meine Stimme in der Mozartstadt zurückgelassen.
»Hast du Hunger?«, fragt er, als ich ihm auch heute nicht antworte. Drei Tage lang strafe ich ihn nun schon mit Schweigen und Ignoranz. Nur leider funktioniert das mit der Ignoranz nicht so wie geplant. Denn wenn wir hier draußen, oder nein, wenn wir ÜBERHAUPT überleben wollen, müssen wir wohl oder übel zusammenarbeiten. Ein nicht zu überhörendes Knurren meines Magens antwortet ihm an meiner Stelle. »Wusste ich es doch.« Er grinst aufmunternd, als wäre ich ein kleines Baby, das man erst dazu überreden muss, den Mund aufzumachen, damit man es füttern kann. Der Schatten in seinen einst so hellen blauen Augen bleibt trotz seiner gespielten Freude. Das alles beobachte ich nur aus dem Augenwinkel. Ich schaffe es einfach nicht mehr, ihm ins Gesicht zu sehen, obwohl er es sein sollte, der meinem Blick ausweicht. Doch die Angst, dass ich in seinen Augen Zuneigung und sogar Liebe erkennen könnte, ist zu groß. Du kannst ihm nicht vertrauen! Und doch muss ich es. Er zieht einen abgenutzten Stoffbeutel von seiner Schulter und sucht darin nach einem Frühstück für mich. Er hat die Aufgabe übernommen, mich daran zu erinnern, nicht an Nährstoffmangel zu krepieren, während ich mich immer mehr einkapsle. Während ich versuche in meinem Kopf einen Weg zu finden, nach Hause zu kommen und gleichzeitig meine Familie zu schützen. Einen Weg, wie ich Weihnachten mit ihnen verbringen kann, anstatt die Festtage mit Valentin in dieser gefrorenen Hölle zu verbringen, die sich nach außen hin als Winterwunderland präsentiert. Es war meine Idee, in den Wald zu flüchten, so fern von der Stadt und doch nicht fremd. Zumindest für mich. Aber inzwischen würde ich überall lieber sein als hier in diesem Wald, der mich an eine unbeschwerte Kindheit erinnert. An den Tag, an dem ich auf Erkundungstour unter warmen Sonnenstrahlen gegangen bin, während meine Eltern einen platten Reifen gewechselt haben. Wir waren auf dem Weg zu einer abgelegenen Jausenstation mitten auf einem Berg. Die Straße dorthin ist schmal und ich hatte ständig Angst, von der Straße abzukommen und in den Tod zu stürzen. Doch der Ausblick als wir oben angekommen waren, hat mich all die Höhenangst sofort vergessen lassen. Es war atemberaubend. Genauso wie die alte halb-verwitterte Holzhütte, die ich bei meinem kleinen Spaziergang durch das Geäst entdeckte. Doch dort stockte mir der Atem, weil meine Fantasie mich, das kleine Mädchen, das ich damals war, überwältigte und ich mir sicher war, das Haus einer Hexe gefunden zu haben. Aufgewachsen mit den Grimm‘schen Märchen war ich vollkommen davon überzeugt, dass mich die Hexe entdecken und fressen würde. Ich glaube, ich bin noch nie so begeistert und so panisch zugleich gewesen. Ich hatte mich schon viel zu weit von der Straße entfernt, das wurde mir in diesem Schreckensmoment bewusst. Meine Eltern haben mir zwar noch nachgerufen, ich solle mich nicht zu weit von ihnen entfernen, doch die Neugier hat mich weiter ins Dickicht getrieben. Unter Tränen habe ich also versucht, den Ausweg aus diesem Gruselmärchen zu finden. Minutenlang bin ich zwischen den Baumstämmen umhergeirrt, ohne Ahnung, in welche Richtung ich laufen sollte. Die Angst trieb immer mehr Tränen in meine Augen. Ich war verzweifelt. Bis ich schließlich nach langem Suchen völlig aufgelöst aus dem Wald geprescht kam und beinahe meine Mutter umgerissen hätte. Diese Hütte hat mich das Fürchten gelehrt und doch fand ich sie so faszinierend, dass ich mir geschworen habe, zurückzukehren, wenn ich größer wäre. Kaum war meine Angst gebannt, war nur noch Platz für ungehemmte Faszination und Neugier. Ich habe mein Versprechen an mich selbst gehalten. Jetzt bin ich hier, auch wenn die Hütte nur noch ein Gerippe ist und eine ganz andere Furcht von mir Besitz ergriffen hat.
Ich wünsche mir meine kindlichen Sorgen zurück. Und vor allem die warmen, liebevollen Arme meiner Mutter. Wenn ich daran denke, was der Überfall auf mich mit ihr gemacht hat … wie fertig sie war … Die Tränen laufen mir in Strömen übers Gesicht, benetzen meinen Hals und meine dicke Winterjacke, die mich einigermaßen warmhält. Ein Schluchzer dringt aus meiner Kehle, der sich anhört, wie der Klagelaut eines verletzten Tieres. Valentin will schockiert einen Schritt auf mich zu machen … als würde er mich reflexartig in seine Arme schließen wollen, um mich zu trösten, wie er es zuvor schon so oft getan hat. Doch bei dem Gedanken an seine Berührung läuft mir ein ängstlicher Schauer über den Rücken.
»Geh weg!« Nach tagelanger Stille ist meine Stimme scheinbar eingerostet, denn mehr als ein kratziges Flüstern bringe ich nicht zustande. Vielleicht liegt es aber auch an den Tränen.
»Marlena«, er spricht meinen Namen mit solch einer Wehmut aus, dass es mich schmerzen würde, wäre mein Herz nicht bereits gebrochen.
»Hau ab!«, schreie ich ihn an. Okay, meine Stimme läuft wieder. Er sieht aus, als hätte ich ihn geschlagen, obwohl ich weiß, dass ihn das weniger geschmerzt hätte. Nach kurzem Zögern tritt er aus