Magdalena Pauzenberger

Feuerglimmen


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einem amüsierten Grinsen schüttelt er kurz den Kopf.

      »Ich sagte, wenn es dir lieber ist, können wir uns auch ›Waffengeschwister‹ nennen? Auch wenn sich das echt beschissen anhört.«

      »Lass mal, hört sich echt beschissen an«, gebe ich zu und bin dieses Wortspiel plötzlich leid, denn mein Körper reagiert gerade viel zu stark auf den seinen, als er sich mir noch weiter nähert und mein Gesicht etwas zu akribisch mustert. Er hebt eine Hand … und ich ducke mich darunter hinweg.

      »Nicht!«, ich weiche zurück. Adrenalin pulsiert in meinen Adern. Scheiß Fluchtinstinkt. »Bitte. Ich kann das nicht … Zumindest noch nicht.« Letzteres füge ich hinzu, als wieder dieser Schmerz sein hübsches Gesicht zeichnet. Diese Aussage ist zwar irgendwie dumm, weil wir uns schon öfter nähergekommen sind, doch scheint er zu verstehen. Und ein klein wenig Hoffnung scheint auch in ihm aufzukeimen, was wiederum auf unsinnige Weise ein Kribbeln in meinem Bauch auslöst.

      »Marlena«, haucht er voller Sehnsucht. Doch dann blinzelt er mehrmals, als hätte er eine Wimper ins Auge bekommen und sieht plötzlich aus, als würde er nach einem Trancezustand endlich wieder einen klaren Gedanken fassen. »Könntest du vielleicht etwas trockenes Holz suchen? Damit wir ein kleines Feuer machen können? Wir gehen dadurch zwar ein höheres Risiko ein, aber langsam geht uns das Essen aus und das Knäckebrot kann ich sowieso nicht mehr sehen.«

      »Und deshalb ernähren wir uns jetzt von …? Feuer alleine wird uns wohl kaum weiterhelfen«, frage ich, bevor ich mich auf die Suche nach Feuerholz und Zunder mache.

      »Ich werde versuchen, uns Wild zu jagen, du Klugscheißer.«

      Bei dem Gedanken daran, ein Reh zu essen, möchte ich heulen. Ich habe früher viel zu oft Bambi geguckt. Außerdem könnten wir zu zweit niemals das ganze Fleisch verbrauchen, bevor Ratten und Füchse darauf aufmerksam würden.

      »Ich hoffe mal, du denkst da gerade an Hasen oder so? Die tun mir zwar auch leid, aber die vermehren sich eh zu schnell. Und lass ja die Eichhörnchen in Ruhe! Das sind meine Lieblingstiere!«

      Dafür kassiere ich ein belustigtes Schmunzeln.

      »Hasen, keine Eichhörnchen, ist notiert.«

      »Womit willst du die überhaupt erlegen?«

      Als er seine Violine hinter seinem Rücken hervorzieht, mache ich panisch ein paar Schritte von ihm weg. Ähnlich reagiere ich übrigens auch auf Schusswaffen. Und Schafskäse. Damit kann man mich auch verängstigen. Aber das nur nebenbei. Er scheint, ganz in Überlegungen versunken, meine, zugegeben etwas übertriebene, Reaktion nicht bemerkt zu haben. Das Streichinstrument wird sich schon nicht plötzlich selbstständig machen und dich abmurksen, Marlena. Und Valentin hätte dich schon vor Tagen um die Ecke gebracht, wenn er das wollen würde. Wie wahr und erschreckend zugleich das doch ist.

      »Bei Tieren ist das zwar etwas anders als bei Menschen, aber das dürfte ich auch hinkriegen,« versucht er zu erklären, was er vorhat.

      »Wenn du noch einmal darauf anspielst, dass du es einfacher findest, einen Menschen als ein Tier zu töten, dann …« Dann was? Kollabiere ich? Kotze ich ihm vor die Füße? Mache ich mir vor Angst in die Hose? Eventuell eine Mischung aus allem.

      »Es tut mir leid, so war das nicht gemeint, aber … es funktioniert schlichtweg anders.«

      Verwirrt glotze ich ihn an. Ich verstehe nur Bahnhof. Liegt wahrscheinlich daran, dass ich immer noch nicht ganz glauben kann, dass die wunderschöne, aus Ebenholz gefertigte Violine in seinen Händen nicht nur ein Musik-, sondern auch ein Mordinstrument ist. Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, hätte ich darüber gelacht, als wäre es ein schlechter Witz. Auch so spiele ich immer wieder mit dem Gedanken, dass ich schlichtweg verrückt bin. Doch ich bin grundsätzlich bei relativ klarem Verstand und Valentin kann Lebewesen mit einer Geige quälen und töten. Ja, ja, die Welt ist creepy. Hin und wieder macht sie mir eine Heidenangst.

      »Wie wäre es, wenn wir das mit dem Essen und Holz besorgen auf später verschieben und wir stattdessen ein wenig Aufklärungsunterricht machen? Setz dich.« Er deutet mit der Hand auf einen umgefallenen Baumstamm vor ihm, den man gut als Bank nutzen kann. Ich lasse mich etwas perplex darauf nieder.

      »Alsooo …so unerfahren bin ich nun auch wieder nicht«, stelle ich fest, was zur Folge hat, dass er in schallendes Gelächter ausbricht. Wie ich es hasse, ausgelacht zu werden, weil ich etwas falsch verstanden habe.

      »Das ist zwar gut zu wissen, aber ich habe Aufklärung auf dem Gebiet des Übernatürlichen gemeint.«

      »Könntest du vielleicht ein wenig konkreter werden?« Meine Stimme klingt gereizt. Langsam werde ich ungeduldig. Entweder er rückt endlich mit der Sprache raus oder ich geh selbst Hasen suchen.

      »Herrgott, Marlena. Ich rede davon, dass mit mir etwas nicht stimmt, weil Menschen normalerweise nicht sterben, wenn jemand in ihrer Nähe Geige spielt oder ist dir das neu? Du bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen.«

      Ich atme ein paar Mal ruhig durch, bevor ich etwas erwidere, weil ich ihn nicht anschreien will, auch wenn er das nach diesem Kommentar verdient hätte.

      »Dann erzähl mir endlich, was mit dir los ist, du Sonderling.« Ich schenke ihm ein schelmisches Lächeln, um die Situation einerseits ein wenig zu entschärfen und andererseits zu zeigen, dass ich die Beleidigung nicht ernst gemeint habe. Das Ganze ist aber nun mal ein ernstes, wenn auch ungewöhnliches, ja nahezu irres Thema.

      Kurz scheint er zu überlegen, wie er beginnen soll. Er hadert mit sich, doch dann beginnt er doch zu sprechen. Mit fachlicher Stimme trägt er seine Erklärung vor, als wäre er einer meiner Professoren, der gerade eine Vorlesung abhält.

      »Also, fangen wir doch ganz von vorne an. Seit ich denken kann, lebe ich bei den praediti iuveni …«

      »Bei den was?«, unterbreche ich ihn. »Warte …«, überlege ich, »iuveni … erster Fall Plural … heißt das nicht irgendwas mit jung?«

      Das entlockt ihm ein Grinsen. »Da hat wohl jemand aufgepasst im Lateinunterricht. Es stimmt. Iuveni heißt so viel wie Jugendliche, denn im Singular steht es für einen jungen Mann oder ein junges Mädchen. Und praeditii bedeutet so viel wie begabt oder ausgestattet mit. Die praeditii iuveni sind der Zusammenschluss, der uns nun jagt. Er nimmt immer wieder Jugendliche oder eher Kinder auf, die sonderbar sind. Die Eigenschaften haben, die aus der Masse herausstechen. Die stärker oder schneller sind als andere. Das hört sich nun nach einer Art kindlicher Avengers an. Doch diese Vorstellung ist falsch. Wir leben vom Kindesalter an unter der Stadt. In den alten Geheimgängen, unbenutzten Kanälen und teils auch in den Katakomben vergessener Kirchen. Isoliert von der Außenwelt werden wir ausgebildet. Unser Allgemeinwissen wird zwar auch gefördert, doch das körperliche und mentale Training steht im Vordergrund. Tag ein Tag aus lernen wir unseren Körper zu stärken, unseren Geist zu kontrollieren und wir lernen allem voran, Befehle auszuführen und kein Mitgefühl zu zeigen. Das ist eines der Dinge, die die meisten am schnellsten begreifen: keine Fragen zu stellen, sondern einfach zu tun, was einem gesagt wird. Ich hatte da anfangs so meine Schwierigkeiten.« Verstohlen streift seine linke Hand über seine rechte Schulter, während sein Blick sich kurz in der Weite hinter mir verliert. Als er bemerkt, dass ich ihn anblicke, tut er so, als müsste er sich lediglich kratzen. Doch mir ist klar, dass er unter seiner Kleidung etwas vor mir versteckt. Etwas, das ihn in seiner Vergangenheit geprägt hat. Kurz räuspert er sich verlegen, doch dann setzt er seine Erzählung mehr oder weniger unbeirrt fort.

      »Jedenfalls haben sie mir dort ein neues Zuhause gegeben. Ich kann mich an nichts erinnern, das vorher in meinem Leben passiert ist. Es war damals als würde ich unter Schock stehen. Ich nahm kaum etwas so richtig wahr. Erst, als sie mir halfen, mich lehrten meinen Geist und meinen Körper zu stärken, fand ich wieder ins Leben zurück. Später erfuhr ich, dass meine Eltern tot sind. Mein Vater ist bei einem Unfall gestorben. Meine Mutter konnte mit dem Verlust nicht leben. Kurz bevor sie sich das Leben nahm, drückte sie mir – ihrem damals fünfjährigen Sohn – ein wenig Geld in die Hand und erlaubte mir, zwei Kugeln Eis zu kaufen. Als ich zurück zur Bank an der Salzach kam, wo sie auf mich warten wollte, war ich alleine.