Jörg-Martin Schultze

Compliance-Handbuch Kartellrecht


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oder bestimmten Formen der Submissionsabsprachen), werden die Umsatzerlöse herangezogen, die ohne die Zuwiderhandlung vermutlich erzielt worden wären.57 Das so festgesetzte Schadenspotenzial wird mit folgenden Faktoren multipliziert, um der Gesamtunternehmensgröße Rechnung zu tragen:

Faktor2–33–44–55–6> 6
Gesamtumsatz d. Unternehmens i.S.d. § 81 Abs. 4 S. 2 GWB< 100 Mio. €100 Mio. € bis 1 Mrd. €1 Mrd. € bis 10 Mrd. €10 Mrd. € bis 100 Mrd. €> 100 Mrd. €

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      Das Bundeskartellamt behält sich vor, die wirtschaftlichen Vorteile aus der Zuwiderhandlung im Rahmen des Bußgeldverfahrens oder eines separaten Verfahrens nach §§ 32, 34 GWB zu entziehen.

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      Anstelle der Verhängung eines umsatzbezogenen Bußgeldes kann das Bundeskartellamt Verstöße auch nach dem festen Bußgeldrahmen des § 81c Abs. 1 GWB ahnden. Schwere Kartellrechtsordnungswidrigkeiten können mit einer Geldbuße von bis zu EUR 1 Mio., sonstige Kartellrechtsordnungswidrigkeiten gemäß § 81 Abs. 4 S. 5 GWB mit einer Geldbuße von bis zu EUR 500.000 belegt werden.

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      Für die hier in Rede stehenden Verstöße, die mit einem wirksamen Compliance-Programm aufgedeckt bzw. verhindert werden sollen, spielt der feste Bußgeldrahmen in der Regel keine Rolle. Diese Verstöße werden nach dem umsatzbezogenen Bußgeldrahmen sanktioniert. Mit der zunehmenden Bedeutung zivilrechtlicher Folge-Schadensersatzklagen (sog. follow-on damage claims), ist der Gedanke der Vorteilsabschöpfung bei der Bemessung von Bußgeldern durch das Bundeskartellamt schon lange in den Hintergrund getreten. Die derzeitigen Bußgelder des Bundeskartellamtes sind reine Ahndungsbußgelder.

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      Das Bundeskartellamt ist eine sehr aktive Verfolgungsbehörde, die der Kommission auch in der Höhe der für Kartellrechtsverstöße verhängten Bußgelder kaum nachsteht.

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      Zuvor waren Compliance-Programme schon im Kontext von Submissionsabsprachen relevant: Hier ist der Nachweis eines Compliance-Programms in Form von konkreten „technische[n], organisatorische[n] und personelle[n] Maßnahmen“ gesetzlich verankerte Voraussetzung der Selbstreinigung, um gemäß § 125 GWB eine vorzeitige Löschung des Unternehmens aus dem Wettbewerbsregister zu erwirken und so sicherzustellen, dass es wieder bei Vergabeverfahren berücksichtigt werden kann.68 Auch in den Reformüberlegungen zum Verbandssanktionenrecht wurden Compliance-Programme erwähnt.69

      Das Bundeskartellamt verhängt wegen Kartellrechtsverstößen auch Bußgelder gegen bestimmte für das Unternehmen handelnde Mitarbeiter. Dies ist ein wichtiger Unterschied zum Verfahren der Kommission, das sich nur gegen Unternehmen richtet. Anders als das reine Verwaltungsverfahren der Kommission richtet sich das Bußgeldverfahren nach dem GWB nach OWiG und StPO und geht somit stets von der Haftung des Individuums aus. Die Unternehmensmitarbeiter sind im deutschen Bußgeldverfahren die handelnden Verletzer, die Unternehmen dagegen nur Nebenbetroffene, denen das Verhalten bestimmter Mitarbeiter zugerechnet wird.

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       – Zum einen die unmittelbar handelnden Mitarbeiter, die selbst „Unternehmenseigenschaft“ haben71 oder denen die Unternehmenseigenschaft nach § 9 OWiG zugerechnet wird, weil sie gesetzlicher Vertreter eines Unternehmens sind und/oder für dieses eigene Aufgaben mit Leitungsfunktion wahrnehmen (z.B. Leiter der Rechtsabteilung, Leiter der Vertriebsabteilung etc.);

       – sodann beteiligte Mitarbeiter, die eine Person mit Unternehmenseigenschaft oder zugerechneter Unternehmenseigenschaft mit einer physischen oder psychischen Beihilfehandlung im Sinne des § 14 OWiG unterstützen (z.B. die Sekretärin eines Vorstandsmitglieds, die dieses bei der Organisation des Kartells unterstützt);

       – und schließlich aufsichtspflichtige Mitarbeiter nach § 130 OWiG, für den Fall, dass ein Unternehmensmitarbeiter, der selbst nicht bußgeldpflichtig ist, einen Kartellverstoß begeht, den die aufsichtspflichtige Person vorsätzlich oder fahrlässig nicht verhindert hat.

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      Der maximale Bußgeldrahmen