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Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten


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in der erst im 19. Jahrhundert ausgebildeten Verwaltungsrechtswissenschaft. Auch hier stellte → MohlMohl, Robert v. (1799–1875) mit seiner „Polizeiwissenschaft“ (die ältere, von einem umfassenderen Polizeibegriff als die Gegenwart ausgehende, Bezeichnung) einen Anfang dar, der auch rechtspolitisch, durch seine Ansätze zu der dann von → GneistGneist, Rudolf v. (1816–1895) durchgesetzten Forderung nach einer selbständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit, von Bedeutung war. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich dann auch hier endgültig die juristisch-formalistische Betrachtungsweise mit dem „Klassiker“ → Otto MayerOtto (1815–1867); bayer. Prinz, König v. Griechenland durch, der gegenüber die mehr soziologische Erfassung der Verwaltung (im 19. Jahrhundert repräsentativ vor allem → L. v. SteinStein, Lorenz v. (1815–1890)) zurücktrat. Erst die moderne „Verwaltungslehre“, deren Wurzeln bis zu → SeckendorffSeckendorff, Veit Ludwig v. (1626–1692) zurückreichen, hat diese wieder belebt.

      Auch das Kirchenrecht verdankt der historischen Schule eine wissenschaftliche Neubelebung. Zwei der bedeutendsten Anhänger der Schule (→ EichhornEichhorn, Karl Friedrich (1781–1854), → PuchtaPuchta, Wolfgang Heinrich (1769–1845); Justizamtmann, später Landrichter) verfaßten umfangreiche Darstellungen, und auch das erfolgreiche Werk Richters ist nach den Schulengrundsätzen gearbeitet. Das unvollendete „System“ → HinschiusHinschius, Paul (1835–1898)’ gehört gleichfalls noch in diesen Zusammenhang. Schwerer einzuordnen ist der grundlegende Neuansatz → SohmsSohm, Rudolf (1841–1917) am Jahrhundertende.

      2. Soziologischer und strikter Rechtspositivismus

      Schon in der ersten Jahrhunderthälfte hatte die Übernahme naturwissenschaftlicher Vorstellungen, vor allem des Kausalitätsprinzips, zu den Anfängen einer selbständigen Gesellschaftswissenschaft (Comte, John Stuart Mill, Spencer) geführt. Deren Vorstellungen waren dann etwa von der Jahrhundertmitte an auch in andere „Geisteswissenschaften“, etwa in die Literaturwissenschaft (Scherer), eingedrungen. In der Jurisprudenz wurden sie in sehr unterschiedlicher Weise und Intensität aufgenommen. Allgemein läßt sich sagen, daß an die Stelle des Idealismus der historischen Schule und der Erklärung der Rechtssätze aus dem vernünftigen inneren System des Rechts eine empirisch-positivistische Rechtswissenschaft treten sollte. Diese konnte dann als soziologischer Positivismus und kausale Erklärung der Rechtssätze aus ihren gesellschaftlichen Grundlagen (bzw. als unmittelbarer Rückgriff auf diese als Rechtsquelle) auftreten, aber auch – wie später in |10|→ Kelsens „Reiner Rechtslehre“ – als von allen sozialen und idealen Elementen gereinigter strikter Rechtspositivismus. Ganz herrschend war zunächst die soziologische Variante, die auch neue Wissenschaftszweige wie Rechtssoziologie und Kriminologie hervorgebracht hat.

      Im Privatrecht hat man schon immer in der Wendung → JheringsJhering, Rudolf von (1818–1892) von der „Begriffs-“ zur Zweckjurisprudenz den Beginn der neuen Richtung gesehen. Neben ihr, aber ihr verwandt, entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in vielen europäischen Ländern eine soziologische Bewegung, deren bedeutendster Vertreter wohl der Franzose → GényGény, François (1861–1959) war. In Deutschland blieb unter dem unglücklich gewählten Namen „Freirechtsschule“ das wirkliche Anliegen eher verborgen (→ KantorowiczKantorowicz, Hermann (1877–1940), → EhrlichEhrlich, Eugen (1862–1922), → FuchsFuchs, Ernst (1859–1929)). Es bestand darin, Lücken des gesetzten Rechts (die als sehr häufig dargestellt wurden) durch Rückgriff auf die gesellschaftlichen Rechtsvorstellungen zu schließen. Die in dieser Forderung vorausgesetzte Identität von Recht und gesellschaftlicher Ordnung war auch die Grundlage für → EhrlichsEhrlich, Eugen (1862–1922) Rechtssoziologie; sie trieb neue Wissenschaften wie die privatrechtliche Rechtstatsachenforschung (Nußbaum) hervor. Im Zivilrecht drangen diese Ansätze jedoch nur in gemäßigter Form durch, einerseits als „Interessenjurisprudenz“ (→ HeckHeck, Philipp (1858–1943), der unmittelbar an → JheringJhering, Rudolf von (1818–1892) anknüpfte), andererseits als weniger scharf ausgeprägte „Zweckjurisprudenz“.

      In den beiden ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstanden auch die großen Darstellungen des Arbeitsrechts (Lotmar, Sinzheimer) und des Wirtschaftsrechts (für das Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht: Kohler), überwiegend von Juristen geschrieben, die der soziologischen Richtung zumindest nahestanden. Durch sie wurden weitere privatrechtliche „Nebengebiete“ gegenüber dem allgemeinen Zivilrecht verselbständigt.

      Der strafrechtliche „Schulenstreit“ bezeichnet die parallele, allerdings auf andere Sachprobleme gerichtete Diskussion. Ganz im Sinne des soziologischen Positivismus sah die „moderne“ Schule → LisztsLiszt, Franz v. (1851–1919) in der kausalen Erklärung von Verbrechen (Kriminologie) und Strafe („Pönologie“) die eigentlichen Aufgaben der Strafrechtswissenschaft. Damit rückte auch der spezialpräventive Strafzweck, den zu Beginn des 19. Jahrhunderts → GrolmanGrolman, Karl Ludwig v. (1775–1829) gegen die liberalen Ansichten → FeuerbachsFeuerbach, Paul Johann Anselm (1775–1833) nicht durchsetzen konnte, wieder in den Vordergrund. → LisztsLiszt, Franz v. (1851–1919) einflußreichster Schüler → RadbruchRadbruch, Gustav (1878–1949) hat ihn auf der Grundlage seiner neukantianisch inspirierten Rechtstheorie weiter begründet. Das dogmatische Strafrecht blieb allerdings bei → LisztLiszt, Franz v. (1851–1919) erstaunlich formal und wenig |11|beeinflußt von den soziologischen Tendenzen; zu „teleologischen“, „materialisierenden“ Betrachtungsweisen versuchte man erst in den nachfolgenden Jahrzehnten zu kommen.

      Nicht so leicht ist der Einfluß des soziologischen Positivismus im öffentlichen Recht nachzuweisen. → GierkesGierke, Otto v. (1841–1921) Kritik an → LabandsLaband, Paul (1838–1918) staatsrechtlichem Formalismus verband noch idealistische mit empirisch-historischen Vorstellungen, → PreußPreuß, Hugo (1860–1925), der Schöpfer der Weimarer Verfassung, knüpfte weitgehend an → GierkeGierke, Otto v. (1841–1921) an. Am ehesten paßt noch der wie auch → KantorowiczKantorowicz, Hermann (1877–1940) und → RadbruchRadbruch, Gustav (1878–1949) dem Heidelberger Neukantianismus nahestehende → Georg JellinekJellinek, Walter (1885–1955) in diesen Zusammenhang.

      3. Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtsgeschichte

      Die deutsche Rechtsphilosophie entwickelte sich im frühen 19. Jahrhundert: an die Stelle des mehr und mehr zurückgedrängten alten, als praktische Rechtsquelle angesehenen, Naturrechts trat eine nur noch theoretische Betrachtung der inhaltlichen Anforderungen an das Recht und seiner Struktur. Begründet wurde diese neue Disziplin der Rechtswissenschaft durch → HugoHugo, Gustav (1764–1844), bei dem, in Anknüpfung an den Kantschen Skeptizismus, Rechtsphilosophie erstmals als eine Art theoretischer Rechtspolitik erscheint. Unterschiedlichste Systeme entstanden sodann im Anschluß an die nachkantische idealistische Philosophie. Die selbständigste Stellung haben hier → StahlStahl, Friedrich Julius (1802–1861) (von Schellings später Philosophie beeinflußt) und der Gesellschaftstheoretiker → Lorenz v. SteinStein, Lorenz v. (1815–1890) (von Hegel beeinflußt). Demgegenüber bildete sich in England schon früh im 19. Jahrhundert eine positivistische „analytische“ Rechtstheorie aus (→ BenthamBentham, Jeremy (1748–1832), → Austin, im 20. Jahrhundert vor allem Hart), während der deutsche Rechtspositivismus erst im 20. Jahrhundert eine repräsentative Darstellung in → KelsensKelsen, Hans (1881–1973) „Reiner Rechtslehre“ fand. Eine Wiederbelebung der idealistischen Rechtsphilosophie versuchte der Neukantianismus der Marburger (→ StammlerStammler, Rudolf (1856–1938)) und Heidelberger (→ RadbruchRadbruch, Gustav (1878–1949)) Richtung, später tritt konkurrierend ein Neugelianismus (Erich Kaufmann, Binder, Larenz) hinzu. An → RadbruchRadbruch, Gustav (1878–1949) orientierte sich die Naturrechtsrenaissance nach dem 2. Weltkrieg.

      Auch die Rechtsgeschichte im modernen Sinn beginnt eigentlich erst mit den Gründern und Anhängern der historischen Schule. Für die römische Rechtsgeschichte wurden → HugosHugo, Gustav (1764–1844) (vorjustinianische Zeit) und →