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Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten


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zur Regelung der konkreten Verhältnisse möglich. Der besondere Teil gliedert sich in die Dicaeodotica, die Lehre von der Zuteilung der Rechte an den Menschen, und die Dicaeocritica, die Lehre vom streitig gewordenen Recht, enthält also das Prozeßrecht. – A.s Systematisierungsbemühungen führen auch zu einer Reihe neuartiger, die Kasuistik der römischen Quellen überwindender, Lösungen einzelner zivilrechtlicher Probleme: |22|So versteht er etwa die Haftung für Mängel der verkauften Sache als Ausdruck der allgemeinen kaufvertraglichen Pflichten des Verkäufers (und nicht mehr als eine dem Käufer erst durch besonderen Rechtsbehelf gewährte Vergünstigung), gibt Ansätze zu einer selbständigen Erfassung der verschuldensunabhängigen Haftungstatbestände und fundiert den Persönlichkeitsschutz in einem subjektiven Persönlichkeitsrecht. Häufig berühren sich die Lösungen A.s mit Gedanken des 30 Jahre älteren französischen Juristen → Hugo DonellusDonellus, Hugo (Doneau, Hugues) (1527–1591).

      Das Schwergewicht liegt in der „Dicaeologica“ beim Privatrecht, unter dessen Kategorien auch öffentliches und Strafrecht eingeordnet werden. Die tiefere Begründung für dieses Verfahren findet sich in der Gesellschaftslehre, die A. in den „Politica“, seinem wohl bedeutendsten Werk, vierzehn Jahre vorher dargelegt hatte.

      A. will mit diesem Werk die Politik als eine selbständige Gesellschaftswissenschaft neben Rechtslehre, Ethik, Theologie, Physik und Logik aufbauen. Seine Darstellung ruht auf der calvinistischen Lehre von der göttlichen Prädestination alles gesellschaftlichen und staatlichen Lebens; in Konsequenz dieser Auffassung hat der Staat für A. weltliche und geistliche Aufgaben zu erfüllen, eine Trennung von Staat und Kirche (wie in Luthers „Zwei-Reiche-Lehre“) kennt A. nicht. Dieser religiöse Hintergrund darf bei Würdigung der Einzelheiten in den „Politica“ nicht außer acht gelassen werden.

      Ausgangspunkt ist eine von A. durchaus als Beschreibung der Wirklichkeit verstandene „Vertragslehre“, die z.T. wohl an die spanische Schule von Salamanca (Covarruvias, Vazquez) anknüpft: Die menschliche Gesellschaft beruht auf einem Vertrag, der entweder stillschweigend oder ausdrücklich geschlossen ist. Den Zusammenschluß bewirkt ein natürliches Bedürfnis der Menschen, das zu seiner Erfüllung den Gesetzen des Verkehrs, der Leitung und der Verwaltung untersteht und zu den Formen der Familie, der Genossenschaft, der Gemeinde, der Provinz und des Staates führt. Alles Recht der Gemeinschaft wird aus dem angeborenen Recht des Individuums hergeleitet. Dieses individualistische Grundprinzip wird von der naturrechtlichen Schule in ihre Staatslehre aufgenommen (Grotius) und taucht von da an in zahlreichen Variationen bei allen einflußreichen naturrechtlichen Theoretikern wieder auf.

      Neben dem Gesellschaftsvertrag besteht ein Herrschaftsvertrag. Er hat jedoch nur den Wert eines Anstellungsvertrages, Geschäftsherr ist das Volk, der Herrscher ist nur Beamter. Hier ist die Brücke zu A.s Lehre von der Volkssouveränität.

      |23|In der Auseinandersetzung mit dem Souveränitätsbegriff Bodins findet A. zu einer eigenen Definition und baut dabei wiederum auf den Lehren von Covarruvias und Vazquez auf. Er übernimmt den Souveränitätsbegriff der Absolutisten – die absolute Unteilbarkeit, Unveräußerlichkeit und Unverjährbarkeit der Majestätsrechte – und überträgt ihn auf die Volkssouveränität. Alle Souveränität bleibt beim Volk, eine Souveränität des Herrschers, wie Bodin behauptet hatte, kann es nicht geben, da nur eine Souveränität im Staate möglich ist. Zur Wahrung der Volksrechte räumt A. den gewählten Repräsentanten (eine antike Bezeichnung wiederaufnehmend, nennt er sie „Ephoren“) bzw. der Volksversammlung nicht nur eine ständige Mitregierung und Kontrolle, sondern in den wichtigsten Dingen die alleinige Beschlußfassung und die Verpflichtung des Regenten zur Ausführung der ihm übermittelten Beschlüsse ein. Nur in einem wichtigen Punkt korrigiert A. den Souveränitätsbegriff des Bodin: Es gibt für ihn keine potestas absoluta, und folglich ist die souveräne Gewalt nicht nur durch göttliches und natürliches Recht, sondern ebenso durch die positiven Gesetze und vor allem durch die Verfassungsgesetze gebunden. Damit wird ein Rechtsbereich für die legitim konstituierte Gewalt geschaffen.

      Charakteristisch für A.s System ist die allseitige Durchführung des Repräsentationsprinzips. Das Prinzip der Volkssouveränität wird dadurch nicht beeinträchtigt, da die Repräsentanten, die Ephoren, nur gewählte Verwalter sind. Die herrschende ständische Gliederung ist als Grundlage der Repräsentantenversammlung anzusehen, doch ist für A. weniger die ständische Gliederung als das Prinzip der korporativen Delegation bestimmendes Element der Konstitution politischer Vertretungskörper.

      Während im Mittelalter und bei Bodin gerade der Begriff der Souveränität der Stärkung aller zentralistischen Bestrebungen diente, baut A.s System auf einem verschärften Souveränitätsbegriff in Verbindung mit einer föderativen Struktur auf. Das ist nur möglich durch das Zusammenspiel des Gedankens der Volkssouveränität mit einem rein naturrechtlichen Gesellschaftsaufbau, der vom Individuum ausgehend erst über Familie – Genossenschaft – Gemeinde – Provinz zum Staat führt. Die Staatsgewalt wird durch das Recht der engeren Verbände beschränkt, aus denen sie sich aufbaut. Das ist eine Umkehrung der bisher herrschenden romanistisch-kanonistischen Korporationslehre, A. wird so auch zum Schöpfer eines neuen Korporationsbegriffes. Mit der Durchführung seines Systems des Gesellschaftsvertrages wird alles öffentliche Recht in Privatrecht aufgelöst und damit eine Grundlage für die weitere Entwicklung föderalistischer Ideen geschaffen, etwa den |24|Begriff vom zusammengesetzten Staat oder die Entstehung der Idee der Gemeinde- und Genossenschaftsfreiheit aus der naturrechtlichen Gesellschaftslehre (→ GierkeGierke, Otto v. (1841–1921)).

      Die Idee des Rechtsstaates durchzieht das ganze Werk. Es gibt keine potestas legibus soluta, auch das Volk als Souverän ist an die positiven Gesetze gebunden. Widerstand ist nicht möglich gegen einen legitimen Herrscher und gegen das souveräne Volk. Dem einzelnen steht nur ein Notwehrrecht gegen die Staatsgewalt zu. Ein Widerstandsrecht steht jedoch dem Volk in seiner Gesamtheit und in dessen Stellvertretung den Ephoren zu. Die Ephoren haben sogar die Pflicht, dem vertragsbrüchigen Herrscher Widerstand zu leisten, notfalls auch durch Abtrennung von Staatsteilen. Damit gibt A. kein Revolutionsrecht, sondern ein streng formelles und allseitig bindendes Verfassungsrecht.

      Von A.s Werken haben wohl die „Politica“ die größte Wirkung ausgestrahlt. Sie gewannen über → ArumaeusArumaeus, Dominicus (1579–1637) und → LimnaeusLimnäus, Johannes (1592–1663) Einfluß auf die juristische Konstruktion der deutschen Reichsstaatsgewalt. Einfluß auf Rousseaus „contrat social“ ist aus der gleichartigen Behandlung der Souveränitätslehre zu schließen. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts verdammt neben vielen anderen vor allem → ConringConring, Hermann (1606–1681) das Werk des A. als Aufruhrdoktrin und zählt ihn zu den gefährlichsten Monarchomachen. Unter dem Eindruck der englischen und französischen Parolen von der Volkssouveränität (→ LockeLocke, John (1632–1704), → HobbesHobbes, Thomas (1588–1679), Rousseau) gerieten das Werk und sein Autor bald in Vergessenheit. Erst → Otto von GierkeOtto (1815–1867); bayer. Prinz, König v. Griechenland machte 1880 wieder auf A. aufmerksam.

      Hauptwerke: Juris Romani (ab 2. Aufl. 1589: Jurisprudentiae Romanae) libri duo, ad leges methodi Rameae conformati, 1586, 21588 (1589, 1592), 51623. – Politica, methodice digesta et exemplis sacris et profanis illustrata, 1603, 21610, 31614 (Ndr. 1961, 1980, dt. Übers. von H. Janssen: Politik, in Auswahl hrsg. v. D. Wyduckel, 2003), 51654. – Dicaeologicae libri tres, totum et universum ius, quo utimur, methodice complectentes, 1617, 21649 (Ndr. 1967). Bibliographie: U. Scheuner/H.U. Scupin (Hrsg.): Althusius-Bibliographie, bearb. v. D. Wyduckel, 2 Bde., 1973, 1–9; Wolf: Rechtsdenker, 216.

      Literatur: H. Antholz: Die politische Wirksamkeit des Johannes Althusius in Emden, 1955. – P. Blickle u.a. (Hrsg.): Subsidiarität als rechtlichen und politisches Ordnungsprinzip in Kirche, Staat und Gesellschaft, 2002. – E. Bonfatti u.a. (Hrsg.): Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica methodice digesta des Johannes Althusius, 2002. – W. Buchholz: Rousseau und Althusius. Eine staatsrechtliche Untersuchung, Diss. jur. Breslau 1922. – L. Calderini: La politica