Klaus Hoffmann-Holland

Strafrecht Allgemeiner Teil


Скачать книгу

Prinzip fehlt.[21] Denn auch gegenüber nur geringfügigen Straftaten wirkt eine drastische, unverhältnismäßige Strafe spezial- und generalpräventiv. Dies aber ist mit den Vorgaben des Grundgesetzes, das die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1GG), die Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung (Art. 2 Abs. 1GG) sowie das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 und 28 Abs. 1GG) als Eingriffsgrenzen statuiert, nicht in Einklang zu bringen.

      c) Vereinigungstheorie

      20Im Hinblick auf die soeben aufgezeigten Kritikpunkte an (rein) absoluten und relativen Strafzwecklehren hat sich heute weitgehend ein integrierender Ansatz durchgesetzt, der im Sinne einer Vereinigungstheorie die Aspekte der Repression und Prävention kombiniert:[22] Hiernach hat die Strafe im Sinne der relativen Theorien spezial- und generalpräventiven Zwecken zu dienen, wird aber durch den aus der absoluten Theorie abgeleiteten Aspekt begrenzt, dass sie das Maß der Schuld nicht überschreiten darf. Für diese Kombination der Strafzwecke spricht insbesondere, dass das geltende StGB nicht an ein bestimmtes Konzept zur Bestimmung des Sinns der Strafe gebunden ist, sondern vielmehr Elemente einzelner Ansätze aufgreift: [23] Solche der absoluten Theorie in § 46 Abs. 1 S. 1 StGB, der die Schuld als Grundlage der Strafzumessung erklärt, ebenso wie spezialpräventive Aspekte in § 46 Abs. 1 S. 2 StGB („Wirkungen … für das künftige Leben des Täters“) sowie generalpräventive Gesichtspunkte (z.B. „Verteidigung der Rechtsordnung“ in § 47 Abs. 1 StGB). Nach dem BVerfG kann eine angemessene Strafsanktion auf Aspekte von „Schuldausgleich, Prävention, Resozialisierung des Täters, Sühne und Vergeltung für begangenes Unrecht“ gestützt werden.[24] Auch nach Auffassung des BGH liegt dem aktuellen StGB der Gedanke zugrunde, dass „die Strafe nicht die Aufgabe |8|hat, Schuldausgleich um ihrer selbst willen zu üben, sondern nur gerechtfertigt ist, wenn sie sich zugleich als notwendiges Mittel zur Erfüllung der präventiven Schutzaufgabe des Strafrechts erweist.“[25]

      III. Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 Abs. 2GG; §§ 1, 2 StGB; Art. 7 Abs. 1EMRK)

      21Da die Strafgesetzgebung ebenso wie die Strafrechtsanwendung besonders eingriffsintensive Formen staatlichen Handelns darstellen, bedürfen sie einer eindeutigen Begrenzung. Diese soll insbesondere das Gesetzlichkeitsprinzip liefern, welches in § 1 StGB nicht nur an den Beginn des Strafgesetzbuches gestellt, sondern in Art. 103 Abs. 2GG auch verfassungsrechtlich verankert ist. Ferner begründet Art. 7 Abs. 1EMRK auch auf völkerrechtlicher Ebene eine Verpflichtung zur Achtung des Gesetzlichkeitsprinzips.[26] Gegenstand des Gesetzlichkeitsprinzips ist gemäß § 1 StGB, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde – nulla poena sine lege. Daraus werden insgesamt vier zentrale Schutzprinzipien für die Adressaten der Verbots- und Gebotsnormen des Strafrechts abgeleitet, die teilweise durch den Gesetzgeber, teilweise durch die Organe der Judikative zu beachten sind:

       keine Strafe ohne (formelles) Gesetz, d.h. der Ausschluss strafbegründenden (sowie strafschärfenden) Gewohnheitsrechts (lex scripta),

       das Bestimmtheitsgebot (lex certa),

       das Rückwirkungsverbot (lex praevia),

       das Analogieverbot (lex stricta).

      1. Keine Strafe ohne (formelles) Gesetz

      22Nach § 1 StGB muss die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt sein. Das Strafrecht ist auf Gesetze im Sinne geschriebener Rechtsnormen (lex scripta) beschränkt. Dies bedeutet, dass Strafbarkeit (und Strafen) in einem parlamentarischen Gesetz festgelegt sein müssen („Parlamentsvorbehalt“).[27] Ausgeschlossen ist damit der Rückgriff auf strafbegründendes oder strafschärfendes Gewohnheitsrecht. Unter Gewohnheitsrecht versteht man dasjenige Recht, das nicht durch einen formellen Rechtssetzungsakt, sondern durch eine langdauernde, von der Rechtsüberzeugung der Beteiligten getragene Übung entstanden ist.[28] Nach § 1 StGB scheiden gewohnheitsrechtlich entwickelte Vorschriften als strafbegründende bzw. -schärfende Rechtsquellen aus.

      23|9|Wie alle Teilgrundsätze des Gesetzlichkeitsprinzips ist auch der Ausschluss von Gewohnheitsrecht ein Schutzprinzip zugunsten des Täters.[29] Führt das Gewohnheitsrecht zu einem Ausschluss oder einer Einschränkung der Strafbarkeit, so stellt es auch für den Strafrechtsanwender eine zu beachtende Rechtsquelle dar. Gewohnheitsrecht kann so zu einer Aufhebung überholter Strafbarkeitsnormen führen, eine einschränkende Auslegung gesetzlicher Tatbestandsmerkmale seine Begründung im Gewohnheitsrecht finden und es können Strafausschließungsgründe gewohnheitsrechtlich anerkannt werden (z.B. die rechtfertigende Einwilligung des Verletzten).

      2. Bestimmtheitsgebot

      24Das Gebot, dass die Strafbarkeit bestimmt sein muss, richtet sich an den Gesetzgeber. Das Bestimmtheitsgebot soll verhindern, dass es infolge unklarer Strafgesetze zu Manipulationen in der Rechtsanwendungspraxis kommt. Im Gesetz selbst müssen das strafbare Verhalten und die angedrohte Strafe so genau beschrieben sein, dass Strafbarkeit und Strafdrohung für den Normadressaten erkennbar sind und er sein Verhalten darauf abstimmen kann.[30] Bestimmtheit kann zwar auch gewahrt sein, wenn Raum zur Auslegung und Weiterentwicklung der Rechtsanwendung verbleibt, so dass auch in der Strafgesetzgebung die Verwendung von Generalklauseln und wertungsbedürftigen Begriffen nicht gänzlich unzulässig ist.[31] Der Gesetzgeber hat seine ihm nach Art. 103 Abs. 2GG; § 1 StGB obliegende Pflicht aber erst erfüllt, wenn er aufgrund der Genauigkeit der gesetzlichen Vorgaben darauf vertrauen darf, dass „der Richter der ihm übertragenen Aufgabe“ der Rechtsanwendung gerecht werden kann.[32] Ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot liegt immer dann vor, wenn der Anwendungsbereich der betroffenen Norm inhaltlich unklar bleibt, was bspw. für eine Vorschrift mit dem Wortlaut „Wer gegen die öffentliche Ordnung verstößt, wird bestraft“ anzunehmen ist.[33]

      3. Rückwirkungsverbot

      25Die Strafbarkeit muss nach § 1 StGB gesetzlich bestimmt sein, bevor die Tat begangen wurde. Dieses Rückwirkungsverbot wird in § 2 StGB näher ausgestaltet.[34] § 2 Abs. 1 StGB bestimmt, dass sich die Strafe nach dem Gesetz richtet, das zur Zeit der Tat gilt. Eine Strafe darf nicht zeitlich rückwirkend begründet oder verschärft werden. Das Rückwirkungsverbot gilt nur für Gesetze, nicht für deren Auslegung. Änderungen in der Rechtsprechung zu |10|einer unveränderten Norm werden vom Rückwirkungsverbot also nicht erfasst.[35] Auch gilt das Rückwirkungsverbot nur für materielle strafrechtliche Regelungen, nicht jedoch für prozessuale Vorschriften zur Verfolgbarkeit von Straftaten, selbst wenn sich diese im StGB befinden.[36] So ist eine rückwirkende Veränderung von Strafantrags- und Verjährungsvorschriften auch im Hinblick auf die §§ 1, 2 StGB; Art. 103 Abs. 2GG zulässig.[37]

      4. Analogieverbot und zulässige Auslegung

      26Das Gebot, dass die Strafbarkeit bestimmt sein muss (§ 1 StGB), richtet sich auch an den Rechtsanwender. Die Bestimmtheit des Strafgesetzes muss auch auf der Ebene der Gesetzesanwendung verwirklicht werden. Die Grenzen des Strafbaren werden vom Gesetzgeber durch die Verwendung von Gesetzesbegriffen – d.h. Worten – festgelegt. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass eine Rechtsanwendung dann gegen das Gesetzlichkeitsprinzip verstößt, wenn sie den möglichen Wortsinn überschreitet. Eine über den Wortsinn hinausgehende Analogie zu Lasten des Täters, d.h. die Anwendung einer Strafnorm in Fällen, die von ihrem Wortlaut nicht erfasst werden, ist unzulässig.[38] Eine Analogie zugunsten des Täters, d.h. die Nichtanwendung einer dem Wortlaut nach einschlägigen Strafnorm, ist demgegenüber zulässig.

      27Abzugrenzen von der unzulässigen strafbarkeitserweiternden Analogie zu Lasten des Täters ist die erlaubte und notwendige Auslegung des gesetzlichen Tatbestands. Auch eine für den Täter ungünstige Auslegung ist nicht verboten. Auslegung ist die Ermittlung des Gesetzesinhaltes. Dabei kann in Anlehnung an den „Kanon der Gesetzesauslegung“ von Friedrich Carl v. Savigny auf vier Auslegungsmethoden, die nebeneinander zur Anwendung kommen können, zurückgegriffen werden: Die grammatische, die systematische, die historische sowie die