(dazu noch Rn 110) befassen sich mit Situationen, in denen einer in einem Mitgliedstaat wirksam gegründeten Gesellschaft von einem anderen Mitgliedstaat Beschränkungen hinsichtlich Zuzug, Niederlassungsgründung oder Rechtsfähigkeit nach Sitzverlegung auferlegt wurden. Die als Wegzugsverbot wirkende Versagung eines identitätswahrenden Statutenwechsels bedeutet nur eine Beschränkung der Freizügigkeit gegenüber deutschen Gesellschaften und damit allenfalls eine Inländerdiskriminierung. Der EuGH hat dies in der Entscheidung Cartesio[12] entgegen der verbreiteten Gegenansicht bestätigt: Es steht jedem Mitgliedstaat frei, das Recht zu bestimmen, dem Gesellschaften unterliegen, die als Gesellschaften dieses Mitgliedstaates zu behandeln sind; dies gilt auch bei Sitzverlegung. Daran hat sich auch durch die Entscheidung Polbud[13] nichts geändert, weil auch diese Entscheidung den Wegzugsstaat nur zur Anerkennung der Weiterexistenz als Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats zwingt. Deutsches Recht darf also eine mit Verwaltungs- oder Satzungssitz wegziehende deutsche Gesellschaft als nicht mehr deutsche Gesellschaft behandeln; es darf auch, wie dies nun § 4a GmbHG tut, nur die Verlegung des Verwaltungssitzes erlauben. Gegen Art. 49, 54 AEUV kann es nur verstoßen, wenn der Wegzug aus Sicht des bisherigen Heimatstaats zwingend die Gesellschaft auflöst und ihr damit verboten wird, sich unter Änderung des Gesellschaftsstatuts in eine Gesellschaftsform des neuen Sitzstaats umzuwandeln.[14]
e) Rückverweisung durch neues Sitzrecht
90
Die Verlegung des Verwaltungssitzes könnte jedoch ohne Bedeutung sein, wenn es auch nach der Sitztheorie durch Rückverweisung nicht zu einem Statutenwechsel käme. Die Anknüpfung an den jeweiligen effektiven Verwaltungssitz (vgl Rn 79) führt nach dem Umzug des Geschäftsführers Weise nach London in das Recht des UK. Die Verweisung ist Gesamtverweisung (Art. 4 Abs. 1 EGBGB). Das UK ist ein Mehrrechtsstaat (England und Wales, Schottland, Nordirland). Das IPR ist nur teilweise vereinheitlicht; das Internationale Gesellschaftsrecht ist unkodifiziert. Es ist daher eine Unteranknüpfung nach Art. 4 Abs. 3 EGBGB zu ermitteln. Mangels eines einheitlichen interlokalen Rechts des UK ist an die engste Verbindung, hier (London) englisches Recht, anzuknüpfen. Das englische IPR folgt der Gründungstheorie (MAT c); es verweist deshalb zurück auf deutsches Recht. Damit kommt es auch bei Anwendung der Sitztheorie auf die wegziehende Gesellschaft nicht zum Statutenwechsel; die GmbH besteht mit einem deutschen Gesellschaftsstatut fort.
f) Parteifähigkeit nach deutschem Recht
91
Die Parteifähigkeit ergibt sich damit nach allen vertretenen Ansichten aus § 50 Abs. 1 ZPO iVm § 13 Abs. 1 GmbHG.
2. Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte
a) Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO
92
Anwendbar könnte die Zuständigkeitsordnung der Brüssel Ia-VO sein.
aa)
93
Intertemporal gilt die VO für alle Klagen, die seit dem 10.1.2015 erhoben werden (Art. 66 Abs. 1 Brüssel Ia-VO).
bb)
94
Der materielle Anwendungsbereich (Zivil- oder Handelssache, Art. 1 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) ist eröffnet, Ausnahmen nach Art. 1 Abs. 2 Brüssel Ia-VO liegen offensichtlich nicht vor.
cc)
95
Räumlich müsste die beklagte Komm kaufen wir‚s! GmbH Sitz in einem Mitgliedstaat haben (Art. 5 Abs. 1 Brüssel Ia-VO). Für die Bestimmung des „Wohnsitzes“ einer Gesellschaft enthält die Brüssel Ia-VO – anders als vormals das EuGVÜ – keine Verweisung auf nationales Recht, sondern in Art. 63 Brüssel Ia-VO eine autonome Definition, die alternativ den satzungsmäßigen Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung genügen lässt. Art. 63 Abs. 2 Brüssel Ia-VO definiert „im Falle des UK“ den satzungsmäßigen Sitz mit englischen Rechtsbegriffen. Nach dem Zweck des Art. 63 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, den Streit um das Gesellschaftsstatut aus der Anwendung der VO herauszuhalten, bedeutet das jedoch nicht eine Beschränkung auf die Art. 63 Abs. 2 Brüssel Ia-VO zugrundeliegende Gründungstheorie, wenn das Recht des UK berührt ist, sondern nur eine Ausfüllung des Begriffs „Satzungssitz“ innerhalb der alternativen Definition des Art. 63 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.
Da die Komm kaufen wir‚s! GmbH ihre Hauptverwaltung in London hat und das UK Mitgliedstaat iSd Brüssel Ia-VO ist (Erwägungsgrund Nr 40 Brüssel Ia-VO: Für das UK gilt die Brüssel Ia-VO aufgrund der Beteiligungserklärung nach Art. 3 Protokoll 21 zum EUV/AEUV), hat die GmbH ihren Sitz in einem Mitgliedstaat. Zudem hat sie ihren Satzungssitz in München; auch Deutschland ist Mitgliedstaat.
b) Verbrauchersache Art. 17 Brüssel Ia-VO
96
Anzuwenden sein könnten Art. 17 ff Brüssel Ia-VO, die für Verbrauchersachen gegenüber Art. 4 ff Brüssel Ia-VO mit den in Art. 17 Abs. 1 Brüssel Ia-VO genannten Ausnahmen vorrangig sind.
aa)
97
Es handelt sich um vertragliche Ansprüche; Feistl ist Verbraucher, denn er hat das Telefon nicht für seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit, sondern als Geschenk für seine Tochter gekauft.
bb)
98
Fraglich ist, ob eine der in Art. 17 Abs. 1 Brüssel Ia-VO enumerierten Vertrags- und Abschlusssituationen vorliegt. Zu erwägen ist nur Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO, da kein Teilzahlungs- oder Kreditkauf vorliegt. Die Komm kaufen wir‚s! GmbH hat den Vertrag in Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit geschlossen. Die Tätigkeit müsste im Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgeübt werden; das ist fraglich, da die GmbH vom Server ihrer Geschäftsführung in London aus tätig wird. Es genügt aber nach dem insbesondere für den E-Commerce konzipierten Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO, dass die Tätigkeit „in irgendeiner Weise“ auf diesen Mitgliedstaat ausgerichtet ist. Hierfür genügt zwar nicht die rein werbende Internetpräsenz, die angesichts der weltweiten Zugangsmöglichkeit zum Internet grundsätzlich die ganze Welt erreicht. Andererseits sind weder ein Abschluss des Geschäfts über die Website noch unmittelbare Ursächlichkeit der Internetpräsenz für den Abschluss erforderlich Maßgeblich ist, dass der Unternehmer auf seiner Website den Willen zum Ausdruck bringt, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern eines oder mehrerer Mitgliedstaaten, darunter des Wohnsitzstaates des Verbrauchers, herzustellen.[15] Erforderlich ist hierfür eine umfassende Würdigung der erkennbaren Umstände. Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO ist im vorliegenden Fall für Deutschland gegeben. Die Website ist wahlweise in deutscher Sprache zugänglich; die vorliegende Bestellung wurde (sogar) über die Website entgegengenommen. Diese online-Bestellmöglichkeit wird ausdrücklich für Kunden aus Deutschland angeboten; damit ist ein Ausrichten der Tätigkeit auf Deutschland anzunehmen.
c) Internationale Zuständigkeit
99
Für die Klage des Verbrauchers Feistl bestimmt sich die internationale Zuständigkeit damit nach Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.
Zuständig sind die deutschen Gerichte als Gerichte des Wohnsitzstaates des Verbrauchers (Art. 18 Abs. 1 Hs. 2 Brüssel Ia-VO, wo auch die örtliche Zuständigkeit mitgeregelt ist), wobei die Frage, ob Feistl in Deutschland Wohnsitz hat,