Martin Loughlin

Handbuch Ius Publicum Europaeum


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abgeschlossen wurde.[4] Alexis de Tocquevilles bekannter These zufolge führte die große Revolution einen Zentralisierungsprozess des Verwaltungsapparates zu Ende, der lange zuvor von der Monarchie in Gang gesetzt worden war.[5] Die Kapetinger fügten nicht nur Territorien und Bevölkerungen wie nach Plan zusammen, sie schufen auch die nationale Ideologie, den Mythos, der dieser zusammengesetzten Substanz die äußere Form einer Einheit gab.[6] Es war das „Wunder der Kapetinger.“[7] Hobbes’ Satz war – jenseits der Fiktion – Wirklichkeit geworden: „For it is the Unity of the Representer, not the Unity of the Represented, that maketh the Person One.“[8] Diese Einheit ist jedoch ideeller Natur, da Frankreich – konkret betrachtet – eine Vielfalt bleibt: „Weder die Staatsgewalt, noch die gesellschaftliche Ordnung und das kulturelle System können eine Einheit schaffen, die mehr als nur äußerer Schein wäre.“[9]

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      § 2 Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Frankreich › I. Ursprung und Entstehung des Verfassungssystems der Fünften Republik › 2. Die Fünfte Republik und die französische Verfassungstradition

2. Die Fünfte Republik und die französische Verfassungstradition

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      Der Unterschied ist wohl darauf zurückzuführen, dass das Ursprungsereignis – eine Revolution, die in beiden Fällen die Bedeutung eines politischen Gründungsmythos erlangt hat – keine vergleichbaren Wirkungen gezeitigt hat. Wenngleich die Etablierung politischer Bundeseinrichtungen sich auch in den Vereinigten Staaten nicht ohne Widerstand und Schwierigkeiten vollzog, so hat die Verfassung in ihren ersten Jahren doch eine hinreichende Stabilisierung des Systems und die Überwindung der anfänglichen politischen Wechselfälle bewirken können. In Frankreich hingegen bleibt die erste Verfassung weniger als ein Jahr lang in Kraft, vom 3. September 1791 bis zum 10. August 1792, dem Tag, an dem Ludwig XVI. stürzt. Das tatsächlich revolutionäre Gründungsereignis in Frankreich war die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789; in institutioneller Hinsicht hat die Revolution weder 1791 (parlamentarische Monarchie), noch 1793–1794 (revolutionäre Regierung und Terrorregime), noch 1795 (erste angewandte republikanische Verfassung; sog. Direktorialregime, das mit dem Staatsstreich Bonapartes 1799 zusammenbricht) etwas Lebensfähiges und Dauerhaftes hinterlassen. Sie hat die französische Gesellschaft begründet, nicht jedoch den Staat als Institution.

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      Von 1789 bis 1875 ist Frankreich ein großes Verfassungslaboratorium gewesen, in dem alle vorstellbaren institutionellen Kombinationen durchgespielt wurden: parlamentarische Monarchie (1791–1792), Republik mit strikter Gewaltenteilung (1795–1799; 1849–1851), „Cäsarismus“ und Dominanz der Exekutive nach bonapartistischen