Martin Loughlin

Handbuch Ius Publicum Europaeum


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      Deren Anwendung sollte vom ersten Verfassungsstreit endgültig geprägt werden. Am 16. Mai 1877 brach zwischen dem Präsidenten der Republik und der Abgeordnetenkammer die Krise aus: Das Staatsoberhaupt zwang den Regierungschef, der das Vertrauen der Parlamentskammern genoss, zum Rücktritt. Die Abgeordnetenkammer hatte der neuen Regierung das Vertrauen verwehrt, woraufhin der Präsident mit der Auflösung reagierte. Das Lager des Staatschefs verlor die Wahlen und dieser war gezwungen, eine der Abgeordnetenkammer wohlgesonnene Regierung zu ernennen, um nach erneut zu seinen Ungunsten ausgefallenen Neuwahlen sein Amt schließlich niederzulegen. Mit dieser Krise fasst das parlamentarische Regime in der Dritten Republik insofern endgültig Fuß, als nunmehr jede Regierung das Vertrauen des Parlaments haben muss. Gleichzeitig bringt die Krise das Instrument der Parlamentsauflösung in Misskredit, dessen man sich bis ans Ende des Regimes nicht mehr bediente. Das Resultat ist ein aus dem Gleichgewicht geratenes System, in dem kein Gegengewicht zur Macht der Parlamentskammern existiert: Die Auflösung ist de facto unmöglich, die Akte des Parlaments, insbesondere die Gesetze, sind gegen jeglichen Einwand gefeit. Die Regierungen sind voll und ganz von den Parlamentskammern abhängig. Diese Situation verschlechtert sich dadurch, dass es dem indirekt gewählten Sénat gelingt, sich mit gleicher Macht zu behaupten wie die Nationalversammlung.

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