jeglichen parlamentarischen Mandats inkompatibel ist, völlig der parlamentarischen Tradition Frankreichs zuwider. Ein in die Regierung berufenes Parlamentsmitglied muss, sofern es seine Ernennung annimmt, von seinem Mandat zurücktreten. Nach Ausscheiden aus der Exekutive muss der Betroffene wiedergewählt werden, um seinen Sitz im Parlament zurückzuerlangen. Die Trennung von Regierungsmitgliedschaft und parlamentarischem Mandat geht mit einer strikten Trennung der Organe einher. Im Geiste des Verfassunggebers von 1958 kam dieser Inkompatibilitätsregel beträchtliche Bedeutung zu, zumal sie der Bequemlichkeit ein Ende setzen sollte, die ihren Teil zur Instabilität der Regierungen in den vorangegangenen Republiken beigetragen hatte: Der ständige Wechsel der Minister zog keine unabänderlichen Einbußen für die politischen Karrieren der jeweils Betroffenen nach sich, da ihnen zumindest das Mandat im Parlament erhalten blieb, ganz gleich welches Schicksal sie in den Ministerien ereilte.[135]
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Nach mehreren Skandalen wurde das Regime der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Regierungsmitgliedern durch das Verfassungsgesetz vom 27. Juli 1993 grundlegend verändert. Im Grundsatz wurde die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Minister für die in Ausübung ihres Amtes unternommenen Handlungen aufrechterhalten, zumindest wenn diese Handlungen sich als Verbrechen oder Vergehen qualifizieren lassen. Allerdings befindet über solche Sachverhalte nun nicht mehr die Haute Cour in einem Verfahren, das in ähnlicher Weise bei Hochverrat des Präsidenten eingeleitet wird, sondern ein Sondergericht, namentlich der aus Parlamentsmitgliedern und Berufsrichtern zusammengesetzte „Gerichtshof der Republik“ (Cour de justice de la République).[136] Die Anklage ist nicht mehr Gegenstand einer parlamentarischen Abstimmung, sondern wird vom Generalstaatsanwalt nach Zustimmung einer Richterkommission vor dem Kassationshof erhoben. Das alte, den Regierungsmitgliedern de facto Straflosigkeit garantierende System wurde durch ein neues ersetzt, dessen Funktionsfähigkeit sich schon mehrmals gezeigt hat.[137]
aa) Das Bikameralismusprinzip
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„Das Parlament besteht aus der Nationalversammlung und dem Senat.“ – Art. 24 CF legt das Bikameralismusprinzip offen dar. Der Ausdruck „französisches Parlament“ bezeichnet demnach formell einen aus zwei getrennten Häusern – Nationalversammlung und Senat – zusammengesetzten Gesamtkomplex. Der Senat ist eine Parlamentskammer, die die Gesamtheit parlamentarischer Kompetenzen und Funktionen innerhalb der ihr zugewiesenen Schranken ausübt (Gesetzgebung, Haushaltsplanung, Kontrolle der Regierung). Im Unterschied zum französischen Bikameralismus in der Dritten Republik ist der der Fünften Republik – wie der der Vierten auch – inegalitär: Obgleich der Senat mit denselben Kompetenzen ausgestattet ist wie die Nationalversammlung, so sind seine Befugnisse doch weniger weitreichend. Mit Ausnahme der Verfassungsgesetze[139] und einiger Organgesetze[140] kann die Nationalversammlung auf Antrag der Regierung und nach mindestens zwei Lesungen in jeder der beiden Kammern (Art. 45 CF) letztinstanzlich alleine über Gesetze, auch Haushaltsgesetze, abstimmen. Zwar hat die Regierung die Möglichkeit, an den Senat ein Gesuch auf Zustimmung zu einer Erklärung zur allgemeinen Politik heranzutragen, doch kann nur die Nationalversammlung über die Zurückweisung der Vertrauensfrage oder die Annahme eines Misstrauensantrags die Existenz der Regierung selbst in Frage stellen. Ein negatives Votum von Seiten des Senats bleibt für die Aufrechterhaltung der Regierung folgenlos. Diese Ungleichheit ermöglicht einer Regierung, sobald eine ausreichende Mehrheit der Nationalversammlung hinter ihr steht, sogar in Kohabitation gegen die Mehrheit der Senatoren zu regieren.
bb) Die Parlamentswahlen
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Gemäß der in Art. 3 CF enthaltenen Generalklausel beruhen die Parlamentswahlen, wie alle politischen Wahlen (europäische, nationale und lokale), auf einem allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrecht. Doch fügt Art. 3 CF hinzu, dass die Wahl direkt oder indirekt erfolgen kann, was auf Art. 24 CF verweist: „Die Abgeordneten der Nationalversammlung werden in unmittelbarer Wahl gewählt. Der Senat wird in mittelbarer Wahl gewählt.“ Die Verfassung enthält keine weiteren Vorschriften zum parlamentarischen Wahlverfahren; das Nähere regelt ein einfaches Gesetz (Art. 34 Abs. 8 CF).
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Die Abgeordneten der Nationalversammlung werden traditionell in einem Wahlbezirk und in einer zwei Wahlgänge beinhaltenden Mehrheits- und Persönlichkeitswahl gewählt, eine Regelung, die im Wesentlichen das Wahlsystem der Dritten Republik wieder aufgreift. Die Verhältniswahl wurde einmal in der Fünften Republik anlässlich der Wahlen von 1986 eingeführt, um kurz darauf wieder durch das Mehrheitswahlsystem ersetzt zu werden. Nach der in de Gaulles Augen verheerenden Erfahrung der Verhältniswahl in der Vierten Republik konnte für ihn allein das Mehrheitswahlsystem zufrieden stellende Regierungsmehrheiten gewährleisten. Mittels einer Interpretation des Wahlgleichheitsprinzips hat der Conseil constitutionnel präzisiert, dass die Nationalversammlung auf „im Wesentlichen demographischer Basis gewählt“ werden muss, weswegen bei der Aufteilung der Wahlbezirke ein gewisses Gleichgewicht zwischen ihren jeweiligen Bevölkerungsanteilen zu berücksichtigen ist.[141]
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Die Senatoren werden je nach Gewicht des Départements, d.h. je nach Zahl der in dem jeweiligen Département zu wählenden Senatoren, entweder in einer Mehrheitswahl oder einer Verhältniswahl gewählt. Die Wahl selbst übernimmt ein Wahlausschuss, der sich aus den in den verschiedenen Wahlbezirken des Départements gewählten Abgeordneten und lokalen Repräsentanten zusammensetzt. Die Repräsentation der Gemeinden in diesen Wahlausschüssen und ihre besondere Struktur (rund 36 000 Gemeinden, deren überwältigende Mehrheit aus ländlichen Kommunen besteht) führen dazu, dass in diesen Ausschüssen die Gemeinden, und vornehmlich kleine, überwiegen. Der Senat bleibt in dieser Hinsicht dem Gründungskonzept von 1875 entsprechend der „große Rat der Kommunen Frankreichs“ (Léon Gambetta).[142]
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Die bedeutendste Modifikation des Wahlsystems zog wohl das Verfassungsgesetz vom 8. Juli 1999 nach sich, mit dessen Verabschiedung das Prinzip der Parität zwischen Mann und Frau Eingang in das französische Verfassungsrecht gefunden hat. Das Gesetz „fördert den gleichen Zugang von Frauen und Männern zu Wahlmandaten und Wahlämtern“ (Art. 3 Abs. 5 CF), und die Parteien „tragen zur Umsetzung dieses Prinzips bei“ (Art. 4 Abs. 2 CF). Diese beiden Verfassungsprinzipien beinhalten zwar selbst nicht das Paritätsprinzip, doch haben sie das seiner Einführung im Weg stehende Hindernis überwunden, das die bis dato aufrechterhaltene Interpretation der Rechtsprechung des Conseil constitutionnel zur Wahlgleichheit darstellte. Laut dieser Interpretation ist jede Unterscheidung nach Wähler- und Wählbarenkategorie abzulehnen und demzufolge insbesondere auch jegliche nach dem Geschlecht der Kandidaten.[143] Die neuen Vorschriften der Verfassung wurden ihrem Zweck entsprechend dahingehend ausgelegt, dass sie den Gesetzgeber berechtigen, Gesetze fördernder oder beschränkender Natur zu verabschieden, um „effektiv“ gleichen Zugang zu Wahlämtern zu gewährleisten.[144] Für Streitigkeiten bei der Wahl der Abgeordneten oder Senatoren ist der Conseil constitutionnel zuständig (Art. 59 CF).
cc) Die Organisierung der Parlamentskammern
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Seltsamerweise ist die Dauer parlamentarischer Mandate nicht in der Verfassung festgesetzt, sondern wird durch ein Organgesetz bestimmt (Art. 25 Abs. 1 CF). Die Mandatsdauer der Abgeordneten hat sich seit 1958 nicht verändert und bleibt auf fünf Jahre festgeschrieben. Im Gegenzug wurde die Mandatsdauer der Senatoren durch das Organgesetz vom 30. Juli 2003[145] um drei Jahre von neun auf sechs Jahre verkürzt. Die extreme Länge von neun Jahren ging bis auf die Dritte Republik zurück, wobei schon seinerzeit der Einwand vorgebracht wurde – und das nicht ohne Grund –, hierdurch werde der Senat von „der klaren und treuen Repräsentation der Wählerschaft“ abgebracht.[146] Dieser Anomalie in Hinblick auf die demokratische Idee, der zufolge Repräsentativmandate von relativ kurzer Dauer sein