präventiven Kontrolle steht – zumindest traditionell – die Baugenehmigung im Vordergrund: Vor Beginn des Bauens gleicht die Behörde die Bauunterlagen mit dem relevanten geltenden Recht ab; nur wenn die Planungen des Bauherrn damit in Einklang stehen, wird die Baugenehmigung erteilt[587]. Dagegen geht es bei der repressiven Kontrolle für die Bauaufsichtsbehörde darum, den Bau selbst kontrollierend zu begleiten – und beispielsweise eine Baueinstellung zu veranlassen. Auch nach Fertigstellung des Bauwerks stehen der Bauaufsichtsbehörde, etwa mit der Nutzungsuntersagung und der Beseitigungsanordnung, weiterhin Befugnisse zur Verfügung, um ggf. für die Wiederherstellung baurechtmäßiger Zustände zu sorgen[588].
112
Der Rückbau der präventiven Kontrolle im Zuge der Deregulierung (siehe oben Rn. 21 f.) hat die repressiven Eingriffsbefugnisse unberührt gelassen[589]. Der Wegfall der Baugenehmigung bei genehmigungs- und verfahrensfreien Vorhaben, die Reduzierung des Prüfungsumfangs der Bauaufsichtsbehörde bei der Baugenehmigung (sowohl beim einfachen als auch beim klassischen Verfahren) sowie die Abkehr vom klassischen Baugenehmigungsverfahren als Regelmodell – all diese Schwächungen der präventiven Kontrolle haben dazu geführt, dass es nunmehr – teilweise ausschließlich – der repressiven Bauaufsicht obliegt, die Einhaltung der relevanten öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu kontrollieren und durchzusetzen. Dadurch hat die repressive Bauaufsicht an Bedeutung gewonnen. In der Praxis wird allerdings häufig die personelle Überforderung der repressiven Bauaufsicht beklagt[590], weshalb diese Entwicklung durchaus kritisch zu bewerten ist[591].
113
Aus den Aufgabenzuweisungsnormen, die die Landesbauordnungen enthalten, ergeben sich freilich noch keine Befugnisse für die Bauaufsichtsbehörde. Wie allgemein im Öffentlichen Recht, so ist auch im Bauordnungsrecht strikt zwischen Aufgabenzuweisungsnormen und Befugnisnormen zu unterscheiden[592]. Wenn daher den Bauaufsichtsbehörden aufgegeben wird, darauf zu achten, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften über die Errichtung, Nutzung, Änderung und den Abbruch von (baulichen) Anlagen sowie die dazu erlassenen Anordnungen eingehalten werden[593], sind damit zwar abstrakt die Aufgaben der Behörden umrissen; konkrete Maßnahmen können aber wegen des Vorbehalts des Gesetzes nur auf Befugnisnormen gestützt werden. Diese werden typischerweise in drei Kategorien eingeteilt: Kontrollrechte im engeren Sinne, die klassischen bauordnungsrechtlichen Spezialbefugnisse sowie die bauordnungsrechtliche Generalklausel. Diese drei Kategorien werden im Folgenden vorgestellt.
II. Bauaufsichtsrechtliche Kontrollrechte im engeren Sinne
114
Die Bauordnungen kennen alle die sog. laufende Bauüberwachung[594], die auch als Bauüberwachung im engeren Sinne bezeichnet wird[595]. Mit ihr stellen die Bauaufsichtsbehörden sicher, dass der Bauherr die Vorgaben der (ggf. vereinfachten) Baugenehmigung einhält; bei verfahrens- oder genehmigungsfreien Vorhaben (aber auch beim vereinfachten Genehmigungsverfahren, soweit man sich jenseits der Legalisierungswirkung der Baugenehmigung befindet) bezieht sich die Überwachung auf das gesamte materielle Öffentliche Recht[596]. Im Einzelnen sind Informationsrechte der Bauaufsichtsbehörde (Anzeige von Beginn und Ende von Bauarbeiten[597]; Einsicht in die Bauunterlagen[598]), Untersuchungsrechte (Entnahme von Materialproben[599]; phasenweise Bauzustandsbesichtigung, ggf. einschließlich Rohbauabnahme und/oder Schlussabnahme[600]; sonstige Ermittlungsrechte), sonstige Maßnahmebefugnisse zur Gefahrenabwehr sowie Betretungsrechte vorgesehen, um die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Untersuchungen und Maßnahmen überhaupt durchführen zu können[601].
III. Die klassischen bauordnungsrechtlichen Spezialbefugnisse
115
Zur Wiederherstellung (bau)rechtmäßiger Zustände sind den Bauaufsichtsbehörden Maßnahmebefugnisse an die Hand gegeben worden, die mit den Standardmaßnahmen aus dem Allgemeinen Polizeirecht verglichen werden können. Es handelt sich um die Baueinstellung, die Nutzungsuntersagung sowie die Beseitigungsanordnung. Diese drei klassischen Maßnahmen sind in allen Bundesländern geregelt[602]. Als Spezialbefugnisse verdrängen sie die bauordnungsrechtliche Generalklausel[603].
116
Neben den klassischen Eingriffsbefugnissen kennen einige Bauordnungen eine spezielle Befugnisnorm zur Beseitigung verfallender, ungenutzter baulicher Anlagen[604]. Hintergrund für die Normierung dieses Spezialfalls ist, dass oft Unsicherheiten bestehen, ob ein Vorgehen nach den klassischen Eingriffsbefugnissen oder der Generalklausel rechtmäßig wäre, etwa weil eine Verunstaltung oder eine konkrete Gefahr durch eine verfallende bauliche Anlage noch nicht eindeutig feststellbar ist[605]. Ist ein weiterer Verfallprozess zu erwarten, soll der Verwaltung bereits zu diesem Zeitpunkt ein Einschreiten ermöglicht werden.
117
Die drei klassischen Standardmaßnahmen verlangen typischerweise den „Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften“[606]. Insoweit sind drei Kategorien von Verstößen denkbar: Zum einen kommt eine Verletzung von formellem Bauordnungsrecht in Betracht (sog. formelle Baurechtswidrigkeit); in einem derartigen Fall fehlt dem Bauherrn die Baugenehmigung, obwohl die (bauliche) Anlage genehmigungspflichtig war[607]. Daher scheidet bei einem verfahrensfreien Vorhaben eine formelle Baurechtswidrigkeit von vornherein aus[608]. Differenzierter sind formelle Verstöße indes bei der Genehmigungsfreistellung (Bauanzeigeverfahren bzw. Kenntnisgabeverfahren) zu bewerten (siehe unten zu der jeweiligen Spezialermächtigung).
Zum anderen sind die Fälle der sog. materiellen Baurechtswidrigkeit zu nennen; in solchen Fällen verstößt die Anlage gegen materielles Baurecht, etwa die Abstandsvorschriften. Bei der materiellen Baurechtswidrigkeit ist allerdings zu berücksichtigen, dass von einer wirksamen – rechtmäßigen wie rechtswidrigen – Baugenehmigung eine Legalisierungswirkung ausgeht. Aus diesem Grund kann bei Vorliegen einer Baugenehmigung eine materielle Baurechtswidrigkeit nur angenommen werden, sofern entweder mit dem Bau die Grenzen der Baugenehmigung überschritten worden sind oder die Baugenehmigung keine Legalisierungswirkung vermittelt, etwa bei außerhalb des Prüfprogramms des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens liegenden Verstößen.
Schließlich ist noch an einen Verstoß gegen sonstiges Öffentliches Recht zu denken, soweit die Befugnisnormen nicht explizit einen Widerspruch zum öffentlichen Baurecht verlangen[609]. Denn wiewohl das Prüfprogramm bei der präventiven Kontrolle für diese „dritte Säule“ (Rn. 38 ff.) in vielen Bundesländern verringert wurde und die Bauaufsichtsbehörde für die Erteilung der Genehmigung häufig Verstöße gegen sonstiges Öffentliches Recht nicht prüfen darf[610], kann sie repressiv doch tätig werden – etwa dann, wenn der Bauherr zwar eine Baugenehmigung hat, es aber an einer anderen erforderlichen Genehmigung fehlt und der Bauherr trotzdem mit dem Bau beginnt[611]. Es gibt also regelmäßig keinen Gleichlauf des Prüfungsumfangs von präventiver und repressiver Bauaufsicht[612].
118
Bei den klassischen Eingriffsbefugnissen ist stets zu fragen, inwiefern eine bloß formelle Baurechtswidrigkeit die Bauaufsichtsbehörde bereits zum Eingreifen ermächtigt. Die Antwort muss für jede Ermächtigungsgrundlage gesondert gegeben werden. Jedoch ist bereits an dieser Stelle festzuhalten, dass die Rede von der formellen Baurechtswidrigkeit aus einer Zeit stammt, in der die Errichtung (und Veränderung etc.) jeder baulichen Anlage eine Baugenehmigung voraussetzte und diese in ihrem Prüfungsumfang nicht beschränkt war. Es versteht sich von selbst, dass mit der Deregulierung, also dem partiellen Abschied von der Baugenehmigung, einige Verschiebungen in der Dogmatik verbunden sind.
1. Die Baueinstellung
119