Steffen Stern

Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren


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– erstrebte, als sicher vorausgesehene oder in Kauf genommene – und verwirklichte Selbsttötungen oder Selbstverletzungen[8] unterfallen deshalb nicht dem Tatbestand eines Tötungs- oder Körperverletzungsdelikts. Unsere Rechtsordnung wertet eine Selbsttötung – von äußersten Ausnahmefällen abgesehen – zwar als rechtswidrig[9], stellt die versuchte Selbsttötung jedoch straflos[10]. Scheitert der Selbstmordversuch, ist der Suizident strafbar, soweit er im Zuge der Selbstmordhandlung und seiner Vorbereitung Strafgesetze verletzt hat, insbesondere dadurch, dass er Menschen gefährdet oder zu Schaden gebracht hat[11]. Zu denken ist etwa an gescheiterte Mitnahmesuizide, Amokläufe oder Amokfahrten oder gemeingefährliche Suizidversuche mittels Gasexplosion.

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      Auch die strafbare Teilnahme an einem gegen sich selbst gerichteten Tötungsdelikt scheidet nach diesen Grundsätzen aus. Wer einen einvernehmlichen Doppelselbstmord überlebt, kann folglich nicht wegen Anstiftung des Partners oder wegen Beihilfe zum Totschlag oder zur Tötung auf Verlangen bestraft werden.

2. Tatbestandslosigkeit der „Beteiligung“ an Selbsttötungen

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      Grundsätzlich ist zwischen der – generell straflosen – Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung oder Selbstgefährdung und der – grundsätzlich strafbaren – Fremdschädigung eines anderen zu unterscheiden. Maßgebliches Abgrenzungskriterium ist die Tatherrschaft.

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      Grobe Hinweise, die auf Mord oder Selbstmord hindeuten, sind den nachfolgenden Übersichtstafeln zu entnehmen.

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Unnatürlicher Tod I
I. Erhängen
Indizien für Selbstmord Indizien für vorgetäuschten Selbstmord
• Ansteigen der Strangulationsfurche gegen die Schlaufe oder zum Knoten • weder der Fundort selbst noch die Kleidung oder etwaige Verletzungen bieten Anhaltspunkte für eine Gegenwehr • Vorhandensein und Erreichbarkeit von Behelfsmöglichkeiten zur Anbringung des Aufhängewerkzeugs (Leiter, Tisch, Stuhl, Fensterbank, Truhe) • echter Abschiedsbrief • vertikale Speichelabrinnspur • zweite Strangfurche • Kampfspuren am Fundort (umgeworfene Vasen und Lampen etc.) • Verletzungen (Unterblutungen) • abgebrochene Fingernägel • Injektionsstellen • Kleidungsdefekte • frei hängende Leiche ohne erreichbare Behelfsmöglichkeiten zur Anbringung des Aufhängewerkzeugs
II. Erdrosseln
Indizien für Selbstmord Indizien für Mord
• um den Hals liegendes, mit einem Gegenstand zugedrehtes Drosselwerkzeug, das sich auch bei Verlust der Besinnung nicht eigenständig lockern oder lösen konnte • Leichenfundort aufgeräumt und unauffällig • Kleidung geordnet und intakt • keine Verletzungen an Händen oder Armen • plausibles Selbstmordmotiv • Schürf- oder Würgespuren am Hals • zweite Strangfurche • fest verknotetes Drosselwerkzeug • Kampfspuren am Fundort (umgeworfene Vasen und Lampen etc.) • Abwehrverletzungen • Kleidungsdefekte • fehlender Nachlass

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Unnatürlicher Tod II
III. Scharfe Gewalt (Stich, Schnitt und Hieb)
Indizien für Selbstmord Indizien für vorgetäuschten Selbstmord
• Lage der Schnitte oder Stiche in vom Menschen selbst gut erreichbaren Körperregionen mit lebenswichtigen Blutgefäßen (Herz) • Einstichstelle auf entblößter Haut • Probierschnitte oder -stiche • Parallelschnitte (Pulsaderschnitte) • Fehlen typischer Abwehrverletzungen • geringe Schnitt-Tiefe • blutige Stich- oder Schnitthand des Toten • Blutabrinnspur vertikal • Abschiedsbrief • plausibles Selbsttötungsmotiv