Der festgestellte Verlust kann sich aus der letzten Jahresbilanz oder einer Zwischenbilanz ergeben. Letztere muss weder geprüft noch testiert oder festgestellt sein.[62] Erforderlich ist jedoch, dass der bilanzierte Verlust „auf einer Prognose nachhaltiger negativer Veränderungen der Vermögensstruktur durch den Vorstand beruht, der nach kaufmännischen Maßstäben sachlich begründet ist“.[63] Nach der Rechtsprechung des BGH müssen die zum Verlust der Gesellschaft getroffenen Feststellungen vertretbar sein und einer Plausibilitätskontrolle standhalten.[64] Der Grund hierfür ist der Schutz der Altaktionäre vor der mit der Kapitalherabsetzung verbundenen Verminderung ihrer Mitgliedschaftsrechte. Dies ist erforderlich, da § 232 AktG nur die Gläubiger der Gesellschaft vor einer willkürlichen Inanspruchnahme schützt und die Altaktionäre – im Gegensatz zu neu eintretenden Aktionären – bei einer gleichzeitigen Kapitalerhöhung nicht von den Zuführungen in die Rücklage profitieren.[65]
2.2.2 Erschöpfung von Reserven
351
Zum Schutz der Aktionäre und der Gläubiger der Gesellschaft bestimmt § 229 Abs. 2 AktG, dass die vereinfachte Kapitalherabsetzung nur zulässig ist, nachdem die gesetzliche Rücklage und die Kapitalrücklage, soweit sie 10 % des herabgesetzten Grundkapitals übersteigt, aufgelöst und zur Deckung des Verlustes vorweg verwendet worden sind. Weiterhin vorweg aufzulösen sind die Gewinnrücklagen. Darüber hinaus darf gem. § 229 Abs. 2 S. 2 AktG kein Gewinnvortrag mehr vorhanden sein. § 229 Abs. 2 AktG ist zwingendes Recht. Ein Verstoß gegen die Vorschrift macht den Kapitalherabsetzungsbeschluss anfechtbar, nicht jedoch nichtig.[66]
352
Bei einer vereinfachten Kapitalherabsetzung mit anschließender direkter Kapitalerhöhung bleibt es bei der Regelung, dass für die Berechnung der 10-%-Grenze der Grundkapitalbetrag entscheidend ist, der nach der Herabsetzung, aber vor der Wiedererhöhung besteht.[67] Etwas anderes gilt jedoch, wenn der Betrag des Grundkapitals im Zuge der vereinfachten Kapitalherabsetzung bei gleichzeitiger Kapitalerhöhung unter das gesetzliche Mindestgrundkapital sinkt. Da dieses Vorgehen gem. § 228 AktG zulässig ist, ist für die Berechnung der Quote dann das gesetzliche Mindestkapital maßgeblich.[68]
353
Technisch erfolgt die Auflösung der Rücklagen durch Umbuchungen.[69] Die Aufstellung eines besonderen Abschlusses ist hingegen nicht erforderlich.[70]
2.3 Kapitalherabsetzungsbeschluss
354
Gem. § 229 Abs. 3 AktG gelten (mit Ausnahme von § 222 Abs. 3 AktG und § 225 AktG) die Vorschriften über die ordentlich Kapitalherabsetzung für die vereinfachte Kapitalherabsetzung sinngemäß. Auf den Kapitalherabsetzungsbeschluss, mit dem die vereinfachte Kapitalherabsetzung beschlossen werden soll, findet § 222 Abs. 1 AktG entsprechende Anwendung. Auch die vereinfachte Kapitalherabsetzung ist demnach eine Satzungsänderung und muss von der HV mit einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln des vertretenen Grundkapitals beschlossen werden. Eine Delegation auf Vorstand und Aufsichtsrat ist nicht zulässig. Die Satzung der AG kann an die Mehrheitsverhältnisse strengere Anforderungen stellen, diese jedoch nicht herabsetzen.[71]
355
Soweit mehrere stimmberechtigte Aktiengattungen existieren, ist darüber hinaus ein Sonderbeschluss von Aktionären jeder dieser Gattungen erforderlich. Unbeachtlich sind insoweit stimmrechtslose Vorzugsaktien.[72]
356
An den Inhalt des vereinfachten Kapitalherabsetzungsbeschlusses sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie bei einer ordentlichen Kapitalherabsetzung. Aus dem Beschlussinhalt muss zunächst hervorgehen, dass es sich um eine vereinfachte Kapitalherabsetzung handelt.[73] Des Weiteren muss die HV den Zweck der vereinfachten Kapitalherabsetzung festlegen.[74]
357
Der vereinfachte Kapitalherabsetzungsbeschluss kann mit einer Kapitalerhöhung verbunden werden.[75] Dies ist in der Praxis üblich und zumeist auch erforderlich, denn durch eine bloße Buchsanierung erhält die Gesellschaft nicht das zum Fortbestehen notwendige neue Kapital.[76]
358
Der Kapitalherabsetzungsbeschluss ist gem. § 223 i.V.m. § 229 Abs. 3 AktG zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Die Kapitalherabsetzung wird mit der Eintragung wirksam (§ 224 i.V.m. § 229 Abs. 3 AktG).
2.4 Verwendung der durch die Herabsetzung erlangten Beträge
359
Die Verwendung der Beträge, welche im Wege der Kapitalherabsetzung und aufgrund der Auflösung der Kapital- und Gewinnrücklagen frei werden, ist in § 230 AktG geregelt. Die Vorschrift enthält ein Ausschüttungsverbot und ein Verwendungsgebot.[77]
360
Aufgrund des Ausschüttungsverbots nach § 230 S. 1 AktG dürfen die durch die Kapitalherabsetzung oder durch die Auflösung von Rücklagen oder Gewinnvorträgen gewonnenen Beträge nicht an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Hiervon betroffen sind Zahlungen von Dividenden oder Einlagebefreiungen, Zahlungen in verdeckter Form sowie jegliche Umgehungskonstruktionen hierzu.[78] Das Verbot ist zeitlich unbegrenzt.[79] Zulässig sind hingegen Zahlungen an Aktionäre, die auf anderen Rechtsverhältnissen wie Kauf oder Miete etc. beruhen, soweit es sich hierbei nicht um eine verbotene Einlagenrückgewähr handelt.[80]
361
Das Verwendungsgebot des § 230 S. 2 und 3 AktG besagt, dass die von § 230 AktG erfassten Beträge nur zum Ausgleich von Wertminderungen und zur Deckung von Verlusten oder zur Einstellung in die Rücklagen verwendet werden dürfen. Dabei sind Vorstand und Aufsichtsrat an die Zweckvorgabe der HV gebunden. Es besteht insoweit kein Ermessensspielraum der Verwaltung.[81] Jeder Verstoß führt zu einer Haftung des Vorstands und des Aufsichtsrats nach §§ 93, 116 AktG.[82]
362
Etwas anderes gilt lediglich, wenn die Zweckvorgaben der HV durch die Verwaltung tatsächlich nicht erreicht werden können, weil die ursprünglich angenommenen Verluste gar nicht angefallen sind.[83] In diesem Fall sind die frei gewordenen Beträge gem. § 232 AktG in die Kapitalrücklage einzustellen.
363
Die vereinfachte Kapitalherabsetzung hat auch Auswirkungen auf künftige Gewinnausschüttungen. Solche dürfen nach § 233 Abs. 1 S. 1 AktG erst wieder vorgenommen werden, wenn die Kapitalrücklage und die gesetzliche Rücklage zusammen 10 % des Grundkapitals der AG erreicht haben.
2.5 Rückwirkung
364
Um der sanierungsbedürftigen AG die erfolgreiche Sanierung zu erleichtern, ermöglichen es die §§ 234 und 235 AktG, die vereinfachte Kapitalherabsetzung und ggf. die anschließend sogleich durchgeführte Kapitalerhöhung bilanziell auf den Jahresabschluss des abgelaufenen Geschäftsjahres rückzubeziehen. Die Normen sollen der Gesellschaft bei der Erhaltung ihrer Kreditfähigkeit helfen, indem sie es ihr ermöglichen, die zwischenzeitliche Verlustsituation der Gesellschaft bilanziell nicht offenbaren zu müssen.[84]
365
§§ 234 und 235 AktG ermöglichen daher die Durchbrechung des Stichtagsprinzips des § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB, die AG kann also die Eigenkapitalposten bereits im Jahresabschluss für das vorhergehende Geschäftsjahr verwenden, wie sie sich nach der geplanten vereinfachten Kapitalherabsetzung und ggf. der anschließenden Erhöhung darstellen.[85]
2.5.1 Rückwirkung der Kapitalherabsetzung
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