Klaus Ulsenheimer

Arztstrafrecht in der Praxis


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Tod nicht mehr hätte verhindern können.

      Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Schöffengericht hatten fälschlicherweise keinerlei Abgrenzung zwischen den Zuständigkeitsbereichen des HNO-Arztes und des Anästhesisten vorgenommen, sondern gingen ohne nähere Auseinandersetzung mit dieser Frage einfach davon aus, dass der Anästhesist – trotz Fehlens einer konkreten Absprache oder Anordnung – für die Überwachung des Kindes auf der HNO-Station verantwortlich sei. Das Landgericht Gießen hat erfreulicherweise in der Berufungsinstanz die Unhaltbarkeit dieser Auffassung erkannt und den Anästhesisten freigesprochen, da das Kind sich nach dem Eingriff auf der Station im Aufgaben- und Verantwortungsbereich des – nicht einmal angeklagten(!) – HNO-Arztes befand und dieser daher für die postoperative Überwachung des Kindes Sorge zu tragen hatte.

       „Dies folgt nicht etwa daraus, dass Komplikationen, die sich aus der Operation selbst ergeben, in die Verantwortung des HNO-Arztes fallen, denn die Störung bei dem Patienten war narkosebedingt. Die Zuständigkeitsverteilung in der postoperativen Phase ergibt sich im […] Hospital aus den räumlichen Umständen und den Absprachen zwischen Anästhesisten und Operateuren. Da kein Aufwachraum vorhanden war, dessen organisatorische Leitung in die Hände des Anästhesisten fiel, wurden die Patienten auf die jeweiligen Stationen verbracht. Der Leiter der Anästhesieabteilung hat bekundet, dass die Abgrenzung der Zuständigkeiten so geregelt gewesen sei, dass mit Übernahme der Patienten auf die Station die postoperative Überwachung von dort aus durchgeführt werde. Damit habe die Verantwortlichkeit des Anästhesisten geendet, schon deshalb, weil der Anästhesist auf der Station keinerlei Kompetenzen und Weisungsbefugnisse gehabt habe“.

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      Nach Entfernung eines gutartigen Tumors an der Bauchspeicheldrüse in Allgemeinnarkose, kombiniert mit einer Katheterperiduralanästhesie (sog. Epiduralanästhesie), wurde der Patient auf die Chirurgische Station (zurück-)verlegt. Dort entwickelte sich im Bereich der Kathetereinstichstelle über Tage ein Abszess und eine Querschnittslähmung, die trotz der Klagen des Patienten über anhaltende Rückenschmerzen nicht rechtzeitig erkannt wurden. Erst am 10. postoperativen Tag stellte man die Diagnose „Querschnittslähmung“, die jedoch auch durch eine neurochirurgische Operation nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte, so dass der Patient heute an den Rollstuhl gefesselt ist.

      Auch in diesem Falle ist nicht der Anästhesist, der durch die Periduralanästhesie den Abszess verursacht hatte, für die eingetretene Körperverletzung verantwortlich, vielmehr war der Patient bereits auf die Chirurgische Station zurückverlegt, für die die dort tätigen Chirurgen die Verantwortung tragen. Das Landgericht Karlsruhe wertete die unterbliebene Hinzuziehung der Anästhesisten durch die Chirurgen deshalb als (groben) Behandlungsfehler. Eine Haftung des zuständigen Anästhesisten käme jedoch dann in Betracht, wenn er am 2. postoperativen Tag über die Rückenschmerzen des Patienten informiert wurde, den Periduralkatheter entfernte und dabei einen auffälligen Befund (Rötung an der Einstichstelle) bemerkte, darüber aber seine chirurgischen Kollegen nicht informiert hätte.

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      „Für die unterlassenen diagnostischen Maßnahmen während der postoperativen Phase der Behandlung der Patientin nach der Kaiserschnittoperation ist der Zweitbeklagte nicht verantwortlich. Er ist nur als Anästhesist tätig geworden, und nur insoweit ist er an der Behandlung der Patientin beteiligt gewesen. Die Anästhesie bei der Kaiserschnittentbindung hatte nicht er geführt, so dass ihn auch deswegen keine nachwirkenden Pflichten bei der postoperativen Beobachtung und Weiterbehandlung der Patientin trafen. Es war nach allem nicht seine Aufgabe, sich an diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen zu beteiligen, die nicht mit der Vorbereitung und Durchführung der Anästhesie bei der Wundrevision zusammenhingen. Vielmehr war die Behandlung der Patientin im Übrigen nach der Arbeitsteilung zwischen dem Gynäkologen und ihm als Anästhesisten allein die Aufgabe des Gynäkologen.

      Es begründet aber keine Haftung für Unterlassungen bei der Behandlung der Patientin, dass er in seinem anästhesiologischen Aufgabenbereich die Befunde nicht erhoben hat. Er war für die Therapie im Übrigen nicht zuständig und hatte in sie allenfalls einzugreifen, wenn er über zusätzliches und besseres Wissen verfügte oder wenn er offensichtliche ärztliche Versäumnisse erkannte, auf die er dann seine Kollegen hinzuweisen hatte.“

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