Christian Jäger

Examens-Repetitorium Strafrecht Allgemeiner Teil, eBook


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man von der Gefahr übermäßig harter Strafen absieht, laufen die spezialpräventiven Theorien jedenfalls in solchen Fällen leer, in denen der Täter zum Zeitpunkt der Verurteilung als voll sozialisiert gelten kann und wegen fehlender Wiederholungsgefahr nicht notwendig abgeschreckt, gebessert oder gesichert werden muss (Bsp.: SED-Unrecht; NS-Verbrechen etc.).

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      3. Aufgrund der jeweiligen Schwächen der soeben behandelten Theorien ist heute die sog. Vereinigungstheorie vorherrschend. In ihr sind neben dem Vergeltungsaspekt vor allem general- und spezialpräventive Elemente enthalten. Dieser Theorie geht es um die Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen absoluten und relativen Straftheorien. Richtig dürfte an ihr sein, dass es bei der Strafzweckfrage zumindest mittelbar stets auch um die Frage nach der Verwirklichung von Gerechtigkeit geht. Will man in diesem Sinne die Auferlegung von Strafe zweckhaft begründen, so kann dies umfassend nur unter Einbezug von Tat und Täter sowie Gesellschaft und Opfer geschehen. Wer dies anerkennt, wird einen gewissen tatbezogenen Vergeltungsaspekt der Strafe genauso wenig leugnen können wie ihren notwendigen Täter- und Gesellschaftsbezug.[23]

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      4. Welche Strafzwecke dem geltenden Strafrecht vorschweben, ist schwer auszumachen. Aus dem Gesamtgefüge der §§ 38 ff. StGB lässt sich jedoch entnehmen, dass das geltende Recht auf dem Boden der Vereinigungstheorie steht.[24] Eser/Burkhardt führen dafür unter anderem folgende Gesichtspunkte an:[25]

- Strafe ist kein Schuldausgleich um seiner selbst willen → Absage an reines Vergeltungsstrafrecht.
- Strafe erfüllt eine präventive Schutzaufgabe → Zweckstrafe.
- Innerhalb der präventiven Zielsetzung ist ein Vorrang der Spezialprävention i. S. des Resozialisierungsgedankens zu verzeichnen, vgl. §§ 46 I S. 2, 47 I, 56 I StGB.
- Dem spezialpräventiven Ziel dienen der Vorrang der Geldstrafe vor der Freiheitsstrafe sowie die Bewährungsmöglichkeiten bei der Freiheitsstrafe, vgl. §§ 47 I, 56 I StGB.
- Für generalpräventive Erwägungen bleibt nur insofern Raum, als dies zur Verteidigung der Rechtsordnung notwendig ist, vgl. § 56 III StGB.
- Nach § 46 I S. 1 StGB bildet die Schuld des Täters die Grundlage für die Zumessung der Strafe. Das Schuldprinzip bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Strafe, anders als die Maßregeln, s. o. Rn. 3, Schuld voraussetzt und das Maß der Schuld nicht überschreiten darf.

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      Dieser Grundsatz ist in Art. 103 II GG mit Verfassungsrang ausgestattet und beinhaltet vier Einzelausprägungen:

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       1. Ausschluss von Gewohnheitsrecht (lex scripta)

      Gesetzlichkeit erfordert schon nach dem Wortsinn gesetztes, d. h. geschriebenes Recht. Strafbegründendes oder strafschärfendes Gewohnheitsrecht ist daher ausgeschlossen.

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       2. Bestimmtheitsgebot (lex certa) [26]

      a) Es gibt keinen allgemein gültigen Bestimmtheitsgrad.

      b) Das Erfordernis der Tatbestandsbestimmtheit schließt nicht die Verwendung von Begriffen aus, die der wertenden Deutung durch den Richter bedürfen.

      c) Einzelkriterien:

- Voraussehbarkeit der richterlichen Handhabung für den Normadressaten.
- Tatbestand muss zumindest das geschützte Rechtsgut erkennen lassen. Zu unbestimmt wäre z. B. ein Gesetz mit dem Wortlaut: „Wer sich unangemessen benimmt, wird angemessen bestraft“. Entscheidend ist das sog. Konkretisierbarkeitskriterium, d. h. wenn ein Tatbestand ohne große Schwierigkeiten kasuistisch erfasst werden kann, so ist grundsätzlich hinreichende Bestimmtheit gegeben.
- Verhältnismäßigkeitsprinzip: Je schwerer die angedrohte Strafe ist, desto präziser muss das Gesetz die Strafbarkeit bestimmen. Ist dies nicht der Fall, so wird man aufgrund des ultima ratio-Prinzips den Tatbestand im Zweifel teleologisch reduzieren müssen.

      Beispiel: Da Mord mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft wird, ist zu erwägen, ob man hier die Tatbestandsvoraussetzungen nicht zu lockern hat. So liest man bei Sinn zu § 211 StGB den denkwürdigen Hinweis: „Da die Strafe starr ist, muss der Begriff flexibel sein.“[27]

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       3. Analogieverbot (lex stricta) [28]

      a) Anwendungsbereich Das Analogieverbot dient dem Schutz des Einzelnen. Daher ist gegen eine täterbegünstigende Analogie nichts einzuwenden.

      b) Wesen und Bedeutung der Analogie Die Analogie ist eine Methode richterlicher Rechtsergänzung durch Ausfüllung planwidriger Regelungslücken im Wege der Übertragung eines einem Tatbestand (Gesetzesanalogie) oder einer Mehrheit vergleichbarer Tatbestände (Rechtsanalogie) zugrunde liegenden Gedankens auf einen gesetzlich nicht geregelten ähnlichen Fall.

      c) Grenze zwischen Auslegung[29] und Analogie[30] Die Grenze wird von der ganz h. M. beim „noch möglichen Wortsinn“ gezogen.[31] Neben der grammatischen Auslegung (Ermittlung des Wortsinns der gesetzlichen Begriffe) spielt die systematische Auslegung (der Zusammenhang, in dem sich die Vorschrift befindet), die historische Auslegung (Orientierung am Willen des historischen Gesetzgebers) sowie vor allem die teleologische Auslegung[32] (Interpretation nach Sinn und Zweck des Gesetzes) eine Rolle. Darüber hinaus ist aber auch auf eine verfassungs- und europarechtskonforme Auslegung zu achten.[33] Jedes Interpretationsergebnis, das zulasten des Täters den möglichen Wortsinn verlässt, überschreitet die Grenze von der zulässigen Auslegung hin zur verbotenen Analogie.

      Beispiel: A setzt den B mit dem bloßen Hintern auf eine heiße Herdplatte (RGSt 24, 372); A schlägt den Kopf des B gegen eine Hauswand (BGHSt 22, 235).

      Lösung: Hier wird von der h. M. aufgrund des Analogieverbots eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 I Nr. 2 StGB abgelehnt, weil die Benutzung festgefügter Gegenstände wie Herdplatte oder Hauswand nach dem Sprachgebrauch nicht unter den Begriff des Werkzeugs fallen könne, da dieser Beweglichkeit voraussetze. In der Lit. wird dies zwar bestritten, jedoch wird man der h. M. deshalb Recht geben müssen, weil niemand derartige Gegenstände als Werkzeug bezeichnet, mag die Wirkung auch die gleiche sein. Der Zweck der Vorschrift kann also den Wortlaut nicht überschreiten. Freilich wird man je nach Tatbild beim Schlagen des Kopfes gegen eine Hauswand ggf. § 224 I Nr. 5 StGB (lebensgefährdende Behandlung) bejahen können und bei schweren Verbrennungen wird sogar § 226 StGB in Frage kommen, sodass sich das Problem zumindest relativiert.

      Als besonders schillernder Begriff im Grenzbereich zwischen Auslegung und Analogie hat sich das Merkmal der „Gewalt“ im Rahmen des § 240 StGB erwiesen.[34] Das BVerfG[35] hat diesbezüglich mit Blick auf Art. 103 II GG klargestellt, dass ein Täter Gewalt i. S. des § 240 StGB nur anwendet, wenn er durch körperliche Kraftentfaltung Zwang auf sein Opfer ausübt und dieser Zwang nicht lediglich psychisch wirkt, sondern auch körperlich empfunden wird. Die bloße körperliche Anwesenheit