Fehlvorstellung ablehnt, in Konsequenz hieraus lediglich nicht geheilt zu werden oder möglicherweise eine weitere Gesundheitseinbuße zu erleiden, ihm aber die Kenntnis fehlt, dass diese Behandlungsverweigerung sein Leben gefährden könnte. Kommt es dann zu einer lebensbedrohlichen Zuspitzung der Krankheit, so würde insoweit keine ernst gemeinte und freiverantwortliche Entscheidung zur Selbstgefährdung vorliegen; das Nichtverhindern des Todes durch den ärztlichen Garanten (kraft Behandlungsübernahme) könnte dann seine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen[1021] auslösen.[1022] Anders hingegen dann, wenn nach einem patientenschädigenden Behandlungsfehler die medizinisch gebotene Versorgung aufgrund einer Patientenverfügung des nicht mehr ansprechbaren Geschädigten unterlassen oder abgebrochen werden muss und hieraus sein Tod resultiert. Auch in diesem Fall hat sich zwar ein vom behandelnden Arzt pflichtwidrig geschaffenes Risiko im Erfolg realisiert. Der Patient hat aber durch seine vorab verfügte Behandlungsverweigerung für bestimmte Krankheits- und Behandlungskonstellationen sein Recht auf selbstbestimmtes Sterben geltend gemacht, welches das Recht umfasst, nach freiem Willen lebenserhaltende Maßnahmen abzulehnen und auf diese Weise einem zum Tode führenden Krankheitsgeschehen seinen Lauf zu lassen.[1023] Damit ist als Kehrseite dieses Selbstverfügungsrechts auch der sich hieraus ergebende Erfolg allein seinem Verantwortungsbereich zuzuschreiben, so dass nur der fahrlässige Behandlungsfehler (Körperverletzung) als solcher dem Arzt zur Last fällt.[1024]
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Fahrlässigkeitsstrafbarkeit des Arztes kann auch dann begründet sein, wenn das Opfer sich dadurch gefährdet, dass es sich in eine bereits bestehende, von einem anderen (bspw. durch fahrlässig herbeigeführte Infektion eines Patienten) rechtswidrig geschaffene Gefahrenlage begibt.[1025] Dies ist allerdings nur dann der Fall, wenn vom Vorliegen einer selbstverantwortlichen Vornahme der riskanten Handlung nicht mehr gesprochen werden kann. Dies wäre zum einen dann der Fall, wenn in vorhersehbarer Weise Personen zu selbstgefährdendem Verhalten motiviert werden, die zur Erkenntnis des Risikos bzw. sachgemäß selbstschützendem Handeln außerstande sind. Zum anderen wird dies dann anzunehmen sein, wenn die Veranlassungshandlung oder ihre eingetretenen oder vorhersehbaren Folgen derart beschaffen sind, dass der dadurch Veranlasste nicht nur hinsichtlich des „Ob“, sondern auch bzgl. des „Wie“, nämlich der Inkaufnahme eines Risikos, rechtlich gebunden ist. Im erwähnten Beispiel einer fahrlässig verursachten Infektiosität des Patienten werden Angehörige ärztlicher oder pflegerischer Berufe aber regelmäßig in der Lage sein, sich hinreichend selbst zu schützen. Gefährden sich hingegen Angehörige des Patienten infolge nicht hinreichender Selbstschutzmaßnahmen beim Krankenbesuch selbst, so würde deren Infizierung dem erstinfizierenden Arzt allerdings noch zugerechnet werden können. Die Schaffung von Situationen, die einen nachvollziehbaren Motivationsdruck zum Eingreifen erzeugen, genügt, da der Unterschied zwischen einem moralischen Motivationszwang zum Handeln und einer Rechtspflicht hierzu kein sachgerechtes Unterscheidungskriterium darstellt: In beiden Fällen ist der sich daraufhin selbst Gefährdende einem gleich starken Motivationsdruck ausgesetzt.[1026]
III. Objektive Vorhersehbarkeit des Verletzungserfolgs
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Der objektiven Vorhersehbarkeit des Verletzungs- oder Todes-Erfolgs kommt nach dem hier mit der herrschenden Lehre vertretenen Ansatz einer Restriktion der Erfolgszurechnung mittels der Lehre von der objektiven Zurechnung keine Bedeutung zu.[1027] Nach ständiger Rechtsprechung soll es beim fahrlässigen Erfolgsdelikt genügen, dass der Erfolg nur im Endergebnis, nicht auch im Kausalverlauf voraussehbar war.[1028] Etwas anderes soll dann gelten, wenn ein äußerst ungewöhnlicher Verlauf so sehr außerhalb aller Lebenserfahrung lag, dass niemand mit diesem Erfolg zu rechnen brauchte.[1029] Tritt ein Erfolg mithin auf Grund einer fernliegenden, von einem Dritten herbeigeführten Zwischenursache ein, so soll die objektive Vorhersehbarkeit entfallen.[1030] In derartigen Konstellationen (bspw. bei einem zum Tode des Patienten führenden groben Behandlungsfehler desjenigen Arztes, der zur Behebung einer vom erstbehandelnden Arzt sorgfaltswidrig herbeigeführten Gesundheitsbeeinträchtigung tätig wurde) ist aber nach dem sog. Verantwortungsprinzip, wonach jeder sein Verhalten grundsätzlich nur darauf einzurichten hat, nicht selbst fremde Güter zu gefährden, nicht aber darauf, dass andere dies nicht tun,[1031] bereits die objektive Zurechnung ausgeschlossen,[1032] so dass es auf eine objektive Vorhersehbarkeit ohnehin nicht ankommt.[1033] Aber auch dann, wenn der Geschehensablauf als solcher so sehr außerhalb aller Lebenserfahrung lag, dass niemand mit diesem Erfolg zu rechnen brauchte, entfällt bei einer derart inadäquaten Erfolgsherbeiführung mangels rechtlich relevanter Risiko-Schaffung bereits die objektive Zurechnung.[1034] War nicht der Tod eines Patienten, sondern nur dessen Körperverletzung voraussehbar, so ist nur § 229 StGB anzuwenden, auch wenn der Todeserfolg eingetreten ist.[1035]
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Schließlich ist daran zu erinnern, dass Fragen objektiver Vorhersehbarkeit der Erfolgsherbeiführung bereits bei der Beantwortung der Frage von Bedeutung sind, ob der Täter überhaupt sorgfaltswidrig gehandelt hat: Ein Erfolg, der nicht voraussehbar ist, kann bei der Überlegung, wie ein Verhalten einzurichten ist, um schädliche Auswirkungen zu vermeiden, nicht einkalkuliert werden. So konnten z.B. vor der Erkenntnis,[1036] dass bestimmte medikamentöse Behandlungen einer Schwangeren zu embryonalen Schädigungen führen können,[1037] derartige Erfolge nicht vorausgesehen und folglich auch nicht vermieden werden.[1038] Die Voraussehbarkeit eines Erfolges und damit dessen Kalkulierbarkeit[1039] ist – jeweils bezogen auf das zum Handlungszeitpunkt objektiv vorhandene Wissen von Ursache und Wirkung – Voraussetzung für die Vermeidbarkeit der Tatbestandsverwirklichung und damit Bestandteil des Handlungsunrechts.[1040]
a) Risiko-Einwilligung
170
Insoweit kommt in Fällen bewusster Unterschreitung des Facharztstandards sowie in Fällen fehlender Indikation für die Heilmaßnahme ein Strafbarkeitsausschluss infolge Konsenses des Patienten in Betracht. Zur Behandlung derartiger Fälle einer sog. Risiko-Einwilligung siehe Rn. 135 ff.
b) Rechtfertigende Pflichtenkollision beim Unterlassungsdelikt
171
Sieht sich der Arzt in der (Garanten-)Pflicht, mehreren Patienten helfen zu müssen, ist es ihm aber nur möglich, lediglich einen Patienten – mit dem Risiko einer (weiteren) Schädigung eines anderen Patienten – zu versorgen, so ist nach den Grundsätzen der rechtfertigenden Pflichtenkollision zu unterscheiden. Eine derartige Fallgestaltung wird bei fahrlässigen Erfolgsdelikten dann eintreten, wenn der einen Patienten nicht behandelnde Arzt hinsichtlich der hierdurch bewirkten Gesundheitsverschlechterung oder gar des Todes des Patienten nicht vorsätzlich (zum Vorsatz siehe Rn. 187 ff.) handelt, er vielmehr nicht völlig grundlos darauf vertraut, dass eine gesundheitliche Verschlechterung unterbleibt oder der Patient noch rechtzeitig anderweitig wird behandeln werden können.[1041]
aa) Erfüllung der höherwertigen Pflicht
172
Erfüllt der Arzt die höherwertige auf Kosten der geringwertigen Behandlungspflicht (versorgt er bspw. einen Schwerverletzten auf Kosten eines nur Leichtverletzten), so handelt er gerechtfertigt.
bb) Kollision gleichwertiger Pflichten
173
Dasselbe gilt aber auch dann, wenn er bei einer Kollision[1042] gleichwertiger Pflichten – der Arzt kann von zwei ihm zur Behandlung anvertrauten Patienten nur das Leben des einen retten – wenigstens einer