Valentina Gass

Das glück ist nah


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sich der Alte auf dem Sitz nieder und sah Linda dankbar an. – “Vielen Dank”!

      – “Nicht dafür. Ich kann doch nicht stillsitzen, wenn eine ältere Person neben mir steht. So bin ich eben erzogen…” – Linda lächelte abwesend als Antwort.

      – “Nicht so wie die Jugend”, nickte der alte Mann. – “Um ehrlich zu sein, bin ich ein wenig müde geworden, vom Weg zum Bus. Ich fahre zu meinem Sohn””.

      – ,,Zu ihrem Sohn?”. . – fragte Linda, aus Höflichkeit. – Gedanken begannen sie wieder zu überfluten.

      – “Ja. Mein Sohn ist sehr beschäftigt. Ein sehr wichtiger Mann. Er sagte mir, Vater, warum bist du so stur, lass mich dir ein Auto schicken. Und ich sagte ihm – was sind das denn nun für Neuigkeiten, warum machst du dir unnötig Sorgen? Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist es für mich doch interessanter. Wenigstens bewege ich mich dabei mehr, ich schaue mir die Leute an. Sehe Vögel. Wie ist die Aussicht aus dem Autofenster? Wir sind gewohnt, dass man uns überall hinfährt. Man verlässt das Haus und da steht bereits ein Auto unter deinem Arsch. So hört man ja ganz auf zu laufen und dich zu bewegen. Oder wie sehen Sie das?””

      – “ICH? Naja, ich weiß nicht so recht. Wahrscheinlich haben Sie recht”, – erwiderte Linda und dachte sich: “Solche Probleme hätt” ich gern.”

      – “Ich sage ihm immer: Du bist ein Unternehmer, kümmere dich um dein Geschäft, um mich brauchst du dir keine Sorgen machen. Wissen Sie, er beschäftigt sich mit Investitionen. Es investiert etwas hinein, es bekommt etwas heraus. Es ist ein sehr großes Unternehmen geworden. Und ständig sind alle möglichen Manager und andere Unternehmer um ihn herum. Und für den Rest bleibt keine Zeit. Deshalb muss ich ein wenig helfen”.

      – “Was ist mit der Braut?”

      – “Es gab mal eine, aber nun ist sie weg”, seufzte der alte Mann. – “So ist die Geschichte. Was ich sagen möchte, ist, du, mein Kind, vergib mir, dass ich so offen bin, aber man trifft nicht oft eine aufrichtige Person wie dich”.

      – “Ach, Quatsch, da sagen sie aber was. Ich habe ihnen nur einen Platz angeboten, das ist alles”.

      – “Oh nein, Kindchen. Nicht nur! Ich merke so etwas… Und als was arbeitest du”?

      – “ICH? Ach, hier… in der Nähe”, Linda war es irgendwie peinlich: -“Na was denn? Ich kann ihm doch nicht sagen, dass ich in einer Kammer sitze und technische Dokumentationen prüfe” dachte Linda für sich.

      – “Magst es nicht sehr, nehme ich an?” Der alte Mann sah sie plötzlich mit einem unerwartet zähen Blick an. – “Zahlen sie wenigstens anständig”?

      – “Ja, mal so, mal so”, Linda ging nicht ins Detail.

      – “Ich verstehe”, der alte Mann nickte mit dem Kopf. -“Na wenn das so ist, geben Sie mir Ihre Telefonnummer, wir lassen uns etwas einfallen”.

      Linda blickte zu dem Gesprächspartner auf, der verwundert aussah.

      – “Komm schon, komm schon”, befahl der alte Mann. – Schlimmer wird es bestimmt nicht, sagte sich Linda.

      – “Aber”…

      – “Kein ‘aber’, Kindchen! … Ich will mich nicht an dich ranmachen, in dem Alter bin ich nicht mehr”!

      Linda rannte in ihr Büro, als die Uhr eins vor acht zeigte. Sie blickte auf ihren Schreibtisch, der mit Stapeln von Papierordnern übersät war, aus dem hilflos die Seite eines dickbäuchigen Monitors hervorlugte.

      – “Wo soll ich bloß anfangen?”, dachte sie verwirrt, als sie sich in den Drehstuhl setzte. “Wenn ich die Zusammenfassung heute nicht fertig mache, gibts richtig großen Ärger!”

      – “Hallo”!

      – “Hah”? Linda zuckte zusammen. Neben ihr stand ihre Kollegin und Freundin Nina.

      – “Kovalchuk, in welchen Wolken schwebst du”? fragte sie spöttisch. Nina-Ninel nannte ihre Kollegin oft beim Nachnamen.

      – “Ach, was denn für Wolken?” Linda wedelte mit der Hand. – “Ich habe mir morgens fast das Kinn gebrochen”!

      – “Und ich dachte schon, du hättest einen Prinzen auf einem weißen Pferd getroffen und schwebst deshalb in den Wolken”.

      – “Was für ein Prinz”! Linda runzelte gespielt die Stirn und erinnerte sich an den alten Mann im Bus.

      – “In der Mittagspause laufen wir zum Diner?” fragte Nina verschwörerisch. “Zum Diner laufen” bedeutete in ihrem Slang, durch die Geschäfte zu schlendern.

      – “In der Mittagspause?” fragte Linda, die sich immer noch nicht konzentrieren konnte.

      – “Mittag”, – Ninel machte eine Handbewegung, als würde sie mit einem imaginären Löffel essen. “Ich sehe doch, dass du nicht ganz bei dir bist”.

      – “Viel Arbeit. Der Boss hat gemeckert, wenn ich nicht fertig werde…”

      – “Jaaa, meckern kann er”, nickte Nina.

      – “In Ordnung, ich hoffe, du kommst bis zur Mittagspause wieder zu dir, ich lasse Sie, gnädige Frau, mit Ihren Papieren allein”.

      “Vielleicht sollte ich Alex heute anrufen?” – dachte Linda etwas später und gab Daten in das elektronische Register ein. “Wir haben uns schon lange nicht gesehen, aber es würde der Gesundheit nicht schaden…”

      Und dann stellte sie sich das ganze vor. Wie ein Rollenspiel-Meeting. Geschmackloses Abendessen, ein Glas zuckerhaltiger Champagner, standardmäßige, “obligatorische” Umarmungen, Sex. Und das Unveränderliche: “Hat es dir gefallen?” “Ja natürlich und dir?” – “Mir auch”.

      Lindas Wangenknochen verkrampften sich. Aus Verzweiflung. Und davon, dass ihr Leben zu einem uninteressanten, mittelmäßigen, langweiligen Spiel geworden ist. Und nur die Angst, dass man ihr die Rolle nehmen könnte, bringen sie dazu die auswendig gelernten Sätze immer wieder zu sagen. Und dieses Spiel bringt ihr nicht einmal irgendeine Genugtuung, keine moralische, keine materielle, keine sexuelle. Es bleibt abzuwarten, dass das Publikum anfängt, faule Tomaten zu werfen.

      Sie war so in ihren Gedanken vertieft, ohne jedoch aufzuhören, auf die Tastatur zu klicken, dass sie auf ihrem Stuhl aufschreckte, als ihr Smartphone in ihrer Jackentasche vibrierte.

      “Hat sich doch entschieden von allein bei mir zu melden”, blitzte Linda auf. Sie war sich sicher, dass es Alex war – wenn man an den Teufel denkt, meldet er sich von selbst.

      Aber am Telefon war überhaupt nicht Alex.

      – “Gilman Bayer stört sie, der Mann aus dem Bus”, hieß es am Telefon. “Ich habe doch versprochen, sie anzurufen…”

      Drosophila

      Mit dem ersten und bisher einzigen Ex-Mann hat es bei Linda irgendwie nicht geklappt. Jetzt, nachdem sie älter geworden ist, versteht sie sich als zwanzigjährige überhaupt nicht. Was hatte sie überhaupt erwartet? Nun, abgesehen von der verrückten Zeit des Verliebtseins und der ersten sinnlichen Leidenschaft. Wie hat sie sich nach all dem ihr Leben mit Klaus vorgestellt? Wenn er sie nicht mehr bezirzen muss – warum auch? – Sie ist ja schon seine Frau geworden. Wenn die Leidenschaft im Bett unweigerlich nachlässt, denn ehrlich gesagt war Klaus in dieser Angelegenheit nie besonders leidenschaftlich oder besonders erfinderisch. Das heißt, nehmen wir diese beiden Komponenten der frühen Phase ihrer Romanze weg und was bleibt? War Linda mit zwanzig dumm genug, überhaupt nicht darüber nachzudenken und